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Warum wir im Frühling gähnen

Die Tage werden länger - und dennoch sind viele Menschen im Frühjahr müde. Warum das so ist, erklärt ein Neurologe. Stefan Seidel gibt auch Tipps, was man dagegen tun kann.

Die Sonne scheint, die Botanik sprießt – und selbst fühlt man sich sehr müde. Die Frühjahrsmüdigkeit lässt sich wissenschaftlich erklären.
Die Sonne scheint, die Botanik sprießt – und selbst fühlt man sich sehr müde. Die Frühjahrsmüdigkeit lässt sich wissenschaftlich erklären.

Die ersten Tulpen sprießen, auf den Bäumen ist ein zartes Grün zu sehen. Im Frühling treibt es in der Natur alles nach draußen - doch wir Menschen wollen oftmals nur ins Bett. Das liege daran, dass wir keine sogenannten Switch-Wesen seien, erklärt der 42-jährige Neurologe Stefan Seidel. "Wenn sich im Frühjahr die Tage verlängern, muss sich unser System erst neu kalibrieren." Es dauert eben, bis sich der Körper von der finsteren, ruhigen Zeit des Winters wieder an die Aktivität des Frühjahrs gewöhnt.

Das Gute daran sei, sagt der Neurologe der Medizinischen Universität Wien, dass es nicht von Dauer sei. Nach zwei bis vier Wochen hat sich der Körper meist auf die neue Situation eingestellt. Dabei ist das Hormon Serotonin von zentraler Wichtigkeit: Im Winter, wenn wir Menschen weniger Licht sehen, wird auch die Schlafdauer länger. Dadurch wird weniger Serotonin ausgeschüttet. Der Körper reagiert darauf, indem er die Zahl der sogenannten Rezeptoren, an denen das Hormon andocken kann, reduziert.

Serotonin und viel Licht sind wichtig

Serotonin trage uns Menschen ein bisschen durchs Leben, erklärt Seidel. Mehr Serotonin bedeutet mehr Antrieb und eine verbesserte Stimmung. Wenn nun im Frühjahr die Sonne wieder länger scheint, braucht unser System einige Zeit, bis die Rezeptoren wieder aufgebaut werden. "Das hat Auswirkungen auf die Verdauung, den Blutdruck, manche fühlen sich auch schwindlig beim Aufstehen", sagt der 42-Jährige. Betroffene können auch eine herabgesetzte Stimmung empfinden oder Schwierigkeiten beim Schlafen haben. Sollte die depressive Verstimmtheit länger als einen Monat andauern, sollte man hingegen auf jeden Fall mit einem Arzt sprechen.

„Wir brauchen im Frühjahr Zeit, um uns wieder anzupassen.“ Stefan Seidel, Neurologe
„Wir brauchen im Frühjahr Zeit, um uns wieder anzupassen.“ Stefan Seidel, Neurologe

Die Reaktion des Körpers könne aber auch völlig konträr sein, erzählt Seidel. Manchmal empfindet man im Wechsel der Jahreszeiten geradezu eine Euphorie, einen Sinn für Romantik. Das nennt man dann "spring fever" - oder Frühlingsgefühle. Was soll man nun aber tun, wenn tagsüber die Erschöpfung einsetzt, wenn einem schwindlig ist oder man sich benommen fühlt? Die wichtigste Erkenntnis sei, dass es sich dabei um keine Krankheit handle, sagt Seidel. "Es ist in erster Linie eine Störung im Empfinden." Deshalb: Dem Körper Zeit geben, die To-do-Liste etwas verkürzen, mehr Pausen einplanen. Wichtig sei auch, aktiv dafür zu sorgen, dass wir genug Licht bekämen: Wer viel draußen ist, hilft dem Körper dabei, sich schneller neu auszurichten.

Wenn die Tage länger werden, ist es freilich leichter, die Sonnenstrahlen zu genießen. Ideal wäre, wenn man nicht nur mit dem Kaffee in der Hand das Gesicht der Sonne zudreht, sondern sich auch bewegt: "Es ist perfekt, gleich am Morgen zwischen acht und neun Uhr laufen zu gehen", sagt Seidel.

In den letzten Jahren gab es keinen langsamen Übergang

Nach dem Morgenlauf empfiehlt der Neurologe ein Frühstück aus Bananen und Nüssen. Denn darin ist Tryptophan enthalten, eine Vorstufe des Serotonins. "Das hilft, dem winterlichen Serotonintief entgegenzuwirken", sagt der Arzt. Abends wäre es klug, das Licht zu dimmen und Bildschirmpausen einzulegen, damit man dann wieder leichter in den Schlaf findet.

In den vergangenen Jahren schien es, als gäbe es gar keinen Frühling: Liegt in einer Woche noch Schnee, hat es in der nächsten schon 20 Grad. Nimmt die Frühjahrsmüdigkeit zu, da es keinen langsamen Übergang mehr gibt? Gerade für ältere Personen sei das sehr schwierig, sagt Seidel. Sie hätten Beschwerden im Kreislauf, Schwindel und sogar Kollapszustände. "Wir können nicht so schnell von einer Saison in die andere umspringen."

Aber warum scheint die Umstellung für manche Personen schwieriger zu sein als für andere? "Der Körper und das Nervensystem sind bei manchen etwas träger", erklärt Seidel. Im Erbgut seien dann gewisse Anlagen da, die den Serotonintransport verlangsamten. "Doch selbst wenn ich diese Anlagen mitbringe, kann ich die Anpassung gut durch mein Verhalten beeinflussen." Das heißt also: Rein in die Sportkleidung und raus in die Sonne!