Viele fühlen sich von ihnen verfolgt. Andere verstehen es, sie zu nutzen: Träume. Wir haben uns mit dem Psychotherapeuten Uwe Böschemeyer über Träume unterhalten. Und weil er auch ein studierter Theologie und ehemaliger Gemeindepfarrer ist, leuchten seine Antworten gleich doppelt ein.
Der chinesische Dichter Zhuangzi schrieb vor 2300 Jahren: "Ein Mann träumt, dass er ein Schmetterling ist. Er fliegt von Blume zu Blume. Öffnet und schließt seine Flügel ohne die geringste Erinnerung an sein menschliches Dasein. Als er erwacht, bemerkt er erstaunt, dass er ein Mensch ist. Aber ist er ein Mensch, der geträumt hat, ein Schmetterling zu sein? Oder ist er ein Schmetterling, der träumt, ein Mensch sein? Es heißt, er habe diese Frage niemals beantworten können." Haben Sie eine Antwort? Uwe Böschemeyer: Was ist "wirklich"? Tagsüber sind wir aktiv. Wir nehmen unser Leben selbst in die Hand und gestalten es. Wir sind vernünftig und passen uns dem an, was nicht zu ändern ist. Wir versuchen zu ändern, was zu ändern ist. Wir bemühen uns, vor anderen nicht "negativ" aufzufallen, und oft genug verbergen wir uns vor uns selbst. Wir haben Sehnsucht nach dem "richtigen" Leben, und manchmal spüren wir es auch. Dann wieder glauben wir uns nur hoch ins "richtige" Leben, doch unsere Erfahrungen widerlegen uns später, was wir geglaubt haben. Ist diese Form des Daseins unsere Wirklichkeit?
Wie anders erleben wir die Nacht! Wir fliegen durch die Lüfte und führen Gespräche im Himmel. Wir begegnen unserem Feind und bringen ihn kurzerhand um. Wir erfahren die Liebe von dem, der sie uns tagsüber verweigert. Wir sind nicht gebunden an Räume und Zeiten. Wir kennen im Traum keine Grenzen. Ist das die wahre Wirklichkeit?
Die Frage ist falsch gestellt, denn beide Wirklichkeiten gehören zusammen, die Wirklichkeit des Tages und die Wirklichkeit der Nacht. In beiden erfahren wir Leben, zwar von verschiedenen Standorten aus, doch sind wir es, am Tage und in der Nacht, die unser Leben erfahren. In keinem Teil beider Wirklichkeiten erfahren wir das Leben ganz. Also gehören beide zusammen.
Darf ich daraus ableiten, dass wir nur ganz ehrlich sind, wenn wir träumen, weil wir uns am Tag verstellen? Nein, das dürfen Sie nicht. Denn die Wirklichkeit des Tages stellt uns ständig vor die Frage, ob das, worum es in unserem Alltag geht, von uns bewusst verantwortet werden kann oder nicht. Die Träume dagegen ergänzen für uns in ihrer Bildersprache das, was unser Verstand nicht weiß - oder nicht wissen will. Sie können uns allerdings behilflich sein, uns zur bewussten Wahrhaftigkeit herauszufordern, vorausgesetzt, dass wir sie regelmäßig zur Kenntnis nehmen.
Was sind Träume? Jede menschliche Seele neigt dazu, das, was in ihr vorgeht, in Bilder zu übersetzen, sodass aus inneren Gedanken, Ahnungen und Gefühlen bildhafte Gestalten und Geschichten werden. Daher sind die inneren Bilder die Brücke zwischen der unbewussten und der bewussten Welt.
Nähern wir uns den Traumbildern, dann nähern wir uns unserer unbewussten, inneren Welt und damit unseren seelischen Energien und Kräften - den dunklen ebenso wie den hellen. Träume sind keine Schäume. Wer seine Träume Schäume nennt, gleicht einem Menschen, der Kugeln aus Gold wegwirft, weil er meint, sie seien nichts wert.
Gibt es eine Technik, sich besser an Träume erinnern zu können, um sie besser "abschöpfen" zu können? Der Begriff "Technik" im Zusammenhang mit der inneren Welt erscheint mir nicht glücklich gewählt. Aber sicher gibt es Hilfen, wenn Menschen sich besser an ihre Träume erinnern möchten.
Zunächst aber: Manche erinnern sich nicht an ihre Träume, weil sie zu wenig Interesse an der Weiterbildung ihrer Persönlichkeit haben. Andere stehen so "unter Strom", dass sie beim Erwachen ungewollt die inneren Bilder rasch verscheuchen.
Wiederum andere ängstigen sich sehr vor dem, was sich in der Tiefe ihrer Seele an Problemen zeigen könnte.
Und schließlich: Es gibt auch die Auswanderung von Träumen in nahe Angehörige. So berichtete der große Traumkenner C. G. Jung, ein Vater habe seinen Mangel an Träumen beklagt. Er beneide seinen kleinen Sohn, der allerdings Dinge träume, die doch in keiner Weise zu seinem Alter passten. Welche Dinge das seien? Sexuelle. Damit konnte Jung die Arbeit mit seinem Patienten endlich beginnen. Es kann aber auch sein, dass sich Menschen über längere Zeit nur selten an Träume erinnern, weil das persönliche Leben rundum gut verläuft und sich die Traumwelt kaum an der Ergänzung des Bewusstseins zu beteiligen braucht.
Aber es gibt Hilfen, sich besser an Träume erinnern zu können. Wer still in die Nacht geht, ausreichend schläft und sich am Morgen Zeit beim Aufwachen lässt, wer auf zu viel Alkohol, Schlafmittel, fremde Bilder wie vom Fernsehen und Ähnliches verzichten kann, wird sich am ehesten an seine Träume erinnern. Wer sich am Morgen an die Bilder und Geschichten der Nacht erinnern möchte, kann sich - wie im autogenen Training - kurz vor dem Einschlafen mehrfach sagen: "Ich behalte meine Träume ... ich behalte meine Träume ..."
Da Träume zart sind wie Seifenblasen, liegt der Gedanke nahe, sie so rasch wie möglich nach dem Erwachen aufzuschreiben. Und sollte man einmal einen offenbar wichtigen Traum vergessen haben, kann man gelassen bleiben. Denn wirklich wichtige Träume kehren in großer Treue wieder, bis wir sie zur Kenntnis genommen haben und sie "bearbeitet" werden können.
Wer seinen Traum gleich am Morgen einem vertrauten Menschen erzählt, wird die Erfahrung machen, dass er noch einmal ganz nah an das Erlebte herangeführt wird. Es kann sein, dass er die eine oder andere Szene anders erinnert, als er sie geträumt hat, doch verfälscht er damit nicht gleich den Trauminhalt. Vielleicht erfährt der Erzähler auch die Gunst, dass sein Zuhörer ihm eine kluge Frage stellt, die den Träumer oder die Träumerin der Bedeutung des Traumes näherbringt.