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Wie wir im Schlaf auf Stimmen reagieren

Unser Gehirn ist im Schlaf empfänglicher für Geräusche, als es den Anschein hat, und filtert sie nach Relevanz bzw. potenzieller Bedrohung. Salzburger Psychologen um Manuel Schabus konnten nun zeigen, dass unser Denkorgan im Schlaf auf unbekannte Stimmen deutlich stärker reagiert als auf bekannte.

Das Gehirn differenziert im Schlaf zwischen bekannten und unbekannten Stimmen.
Das Gehirn differenziert im Schlaf zwischen bekannten und unbekannten Stimmen.

Eltern kennen das, sie wachen beim leisesten Geräusch ihres Babys auf. Denn das Gehirn bewertet diese akustische Information als bedeutsam, wogegen ein vorbeifahrender Zug sie vielleicht nicht blitzartig aus dem Schlaf reißt. Das Gehirn reagiert eben selektiv auf Geräusche. Diese Fähigkeit erlaubt es ihm, konträre Bedürfnisse in Einklang zu bringen: Es braucht im Schlaf ungestörte Erholung, muss aber auch rasch auf potenzielle Gefahren reagieren können.

Wie das Gehirn diesen Balanceakt bewerkstelligt, hat ein Team vom Center for Cognitive Neuroscience Salzburg (CNNS) am Fachbereich Psychologie der Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS) anhand der Reaktion auf Stimmen eingehend untersucht. Die Ergebnisse wurden jetzt im "Journal of Neuroscience" veröffentlicht.

Frühere Studien haben gezeigt, dass Menschen im Schlaf stärker auf ihren eigenen Namen reagieren als auf andere Namen. Überraschenderweise kamen kürzlich Forschende jedoch zu anderen Ergebnissen. In Untersuchungen in Basel (Schweiz) hat Christine Blume - eine Absolventin des FWF-Doktoratskollegs "Imaging the Mind" der Universität Salzburg - zum Beispiel festgestellt, dass das Gehirn im Schlaf vor allem zwischen bekannten und unbekannten Stimmen differenziert. Diesem Befund wollten die Salzburger Forscher nun noch genauer auf den Grund gehen.

"Wir konnten nicht nur die Quintessenz von Frau Blumes Studie bestätigen, sondern wissen nun auch, wie das Gehirn es schafft, in einen Wächter-Verarbeitungsmodus umzuschalten. Nämlich indem es zwar komplett unbewusst ist und schläft, aber auf relevante Reize mit Mikro-Erregungen reagiert, um Relevantes zu verarbeiten", sagt Projektleiter Professor Manuel Schabus.

„Wir wissen nun auch, wie das Gehirn es schafft, in einen Wächter-Verarbeitungsmodus umzuschalten.“ Manuel Schabus
„Wir wissen nun auch, wie das Gehirn es schafft, in einen Wächter-Verarbeitungsmodus umzuschalten.“ Manuel Schabus

17 Versuchspersonen (davon 14 Frauen) im Alter zwischen 20 und 25 Jahren verbrachten - nach einer Eingewöhnungsnacht - eine ganze Nacht verkabelt im Schlaflabor der Universität Salzburg. Während sie schliefen, wurden ihnen Aufnahmen vorgespielt. Sie hörten den eigenen Vornamen, einmal gesprochen von einer fremden Person, das andere Mal von einer eng vertrauten Person, zum Beispiel einem Elternteil. Dann wurden ihnen zwei andere Vornamen vorgespielt, wieder gesprochen von einem Bekannten und einem Unbekannten. Das ging die ganze Nacht so, mit vier halbstündigen Pausen dazwischen, insgesamt wurden die Stimuli 690 Mal präsentiert.

Währenddessen maßen die Forscher die Gehirnaktivität der Probanden mittels 256-Kanal-high-density-EEG (Elektroenzephalogramm), Augenaktivität (EOG) und Muskelaktivität (EMG). Das EEG-Muster zeigt die elektrischen Ströme des Gehirns. "Dabei haben wir gesehen, dass es auf fremde Stimmen eine wesentlich stärkere Erregungsreaktion gab als auf vertraute. Spielten wir den Testpersonen fremde Stimmen vor, wurden - unter den typischen Schlaf-Mikrostrukturen - vor allem sogenannte K-Komplexe ausgelöst", sagt Erstautor Mohamed S. Ameen. Bei den K-Komplexen handelt es sich um ein spezielles Muster von Gehirnwellen, das mit der Verarbeitung akustischer Reize im Schlaf verbunden wird. Charakteristisch für diese Wellen sind eine hohe Amplitude und eine niedrige Frequenz und die zwei Phasen, die dieses Gehirnmuster ausmachen: eine Phase, die Relevantes verarbeitet, und eine weitere, die inhibiert/hemmt, damit der Schläfer nicht sofort aufwacht. K-Komplexe treten im gesamten Non-REM-Schlaf auf, d. h. die gesamte Nacht über und wenn immer man nicht aktiv träumt.

"Zwar konnten auch die vertrauten Stimmen - vor allem mit dem Eigennamen - K-Komplexe auslösen, doch nur die von unbekannten Stimmen hervorgerufenen gingen mit weitreichenden Veränderungen der Gehirnaktivität einher, die auf eine tiefgreifendere sensorische Verarbeitung hindeuten", betonen die Studienautoren.

Unbekannte Stimmen bedeutsamer weil potenziell bedrohlicher

"Man ist in der Forschung schon bisher davon ausgegangen, dass die K-Komplexe im Gehirn umso eher getriggert werden, je relevanter der Reiz ist. Wir haben nun gezeigt, dass das Gehirn unbekannte Stimmen als bedeutsamer - bzw. vermutlich aus evolutionärer Sicht als potenziell bedrohlicher - klassifiziert als bekannte Stimmen und folglich stärker reagiert und diese nicht einfach unbeachtet lässt oder unterdrückt."

Und noch ein interessantes Ergebnis fanden die Forscher: Je länger die Nacht dauerte, je öfter also die Probanden im Schlaf die fremden Stimmen gehört hatten, desto weniger stark reagierte das Gehirn. Es ordnete offensichtlich die anfangs unbekannten Stimmen allmählich als vertraut ein. "Dies ist ein Beleg dafür, dass das Gehirn selbst im Schlaf unfassbar rasch in der Lage ist zu lernen und immer abwägt, ob ein Umgebungsreiz wichtig genug ist, um den Schlaf zu unterbrechen. Die Fähigkeit, fremde von vertrauten Stimmen zu unterscheiden, ist nur ein Beispiel für diesen Balanceakt", so die Psychologen.

Schlafmangel schadet

In unserer Gesellschaft herrscht vielfach das Bild, dass nur erfolgreich sein kann, wer wenig schläft. Wie viel Schlaf jemand für sein Wohlbefinden braucht (statistisch betrachtet sind es rund 7-9 Stunden), ist individuell sehr verschieden. Als historische Extreme gelten der Langschläfer Albert Einstein, der zwölf Stunden im Bett verbrachte, und der Kurzschläfer Napoleon Bonaparte, der sich brüstete, mit vier Stunden auszukommen (seine häufigen täglichen Nickerchen zählte er jedoch nicht mit).

Fakt ist, Schlafmangel schadet, so Schabus. "Schlafmangel macht uns weniger leistungsfähig, weil sich das Gehirn im Schlaf erholt, speziell der Frontallappen, der für die exekutiven Funktionen wie zum Beispiel die strategische Handlungsplanung notwendig ist. Deswegen machen wir unter Schlafmangel wesentlich mehr Fehler in der Arbeit, konzentrieren uns schlechter und sind emotional irritierter. Gerade in Berufen mit hohem Anforderungsprofil ist ausreichend Schlaf für gute Entscheidungen zentral. Zudem darf man nicht vergessen, dass auch die psychische Stabilität und das Immunsystem von der täglichen Erholung im Schlaf abhängen."