Lebensbejahend, tänzerisch, die Realität verändernd und reich an Theater- und Filmerfahrung. Mit diesem "Gepäck" aus Kindheit und beruflichem Werdegang möchte Deleila Piasko die aufmerksamkeitswirksamste Nebenrolle der Welt, nämlich die der Buhlschaft aus dem "Jedermann", heuer am Salzburger Domplatz neu interpretieren. Mit großem Fokus auf die Tiefe des Stoffs, mit inspirativer Muße, tief nach den Vielschichtigkeiten, Bedürfnissen und Möglichkeiten dieser Figur zu graben, und mit der unvorhersehbaren Freiheit, alles komplett zu verwerfen und sich in der Rolle immer wieder - vielleicht sogar bei jeder einzelnen Vorstellung - neu zu (er-)finden.
"Wir sind impulsive Wesen"
Die 33-jährige Schweizerin Deleila Piasko ist das neue Gesicht der Buhlschaft bei den Salzburger Festspielen. Mit den SN sprach sie Mitte Juni über ihre Interpretation der berühmten Rolle, über Äußerlichkeiten und Druck sowie ihre Kindheit in Zürich.


Deleila Piasko wurde 1991 als Tochter eines Physikers und einer Tänzerin in der Schweiz geboren. Schon als Kind entdeckte sie ihre Leidenschaft fürs Verwandeln, die sie bereits im Kindertheater in Zürich ausleben durfte. Nach ihrer Ausbildung an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin und weiteren Theaterengagements war Piasko von 2019 bis 2022 Ensemblemitglied am Burgtheater in Wien. Film- und Serienfans ist das Gesicht der jungen Schweizerin wohl aus zahlreichen Produktionen bekannt, in denen Piasko in den letzten Jahren mitwirkte. Zum Beispiel als Widerstandskämpferin in der Netflix-Serie "Transatlantic", als Hauptdarstellerin in der mit dem Deutschen Fernsehpreis 2023 prämierten TV-Serie "Der Schatten" oder aus der ARD-Serie "Die Zweiflers" über eine jüdische Familie.
Frau Piasko, Sie stecken mitten in den Proben zum "Jedermann". Wie läuft's? Deleila Piasko: Ich finde es wahnsinnig aufregend. Für mich ist es ja doch drei Jahre her, dass ich das letzte Mal auf einer Probenbühne stand. Das ist schon ein sehr besonderer Ort, an dem man sich ausprobieren und mit einem ganzen Ensemble proben darf und letztlich manches auch wieder komplett verwerfen und neu finden kann. Außerdem herrscht eine tolle produktive und offene Atmosphäre - ich bin also ganz beglückt.
Hat sich das Team schon gut zusammengefunden? Ja, das würde ich schon sagen. Aber natürlich ist das auch immer ein Prozess, denn erst mal kennt man sich ja gar nicht. Das ist am Anfang wie eine kleine Zwangsehe (lacht), aber man findet sich dann innerhalb der Proben und meistens wird das Gefüge mit der Zeit sehr organisch und man wächst als Team zusammen.

Nachdem letzten Herbst überraschend Regie und Besetzung des "Jedermann" abgesetzt wurden und von der Notwendigkeit eines künstlerischen Neustarts die Rede war, wird die neue Inszenierung von Robert Carsen mit Spannung erwartet. Können Sie uns dazu schon etwas verraten? Was ich auf jeden Fall sagen kann: Robert Carsen hat ein großes Interesse daran, das Universelle im Stück herauszuarbeiten. Ich glaube, uns allen ist sehr wichtig, eine gewisse Tiefe zu erzählen und dass die Interpretation des Stücks nicht zu oberflächlich wird. Dass man sich intensiv mit dem Stoff auseinandersetzt und wirklich tief danach gräbt, was in den einzelnen Figuren drinsteckt.
Robert Carsen wurde angeblich durch die Netflix-Serie "Transatlantic" auf Sie aufmerksam. Waren Sie überrascht, als die Anfrage kam, ob Sie die Rolle der Buhlschaft übernehmen wollen? Es kam tatsächlich überraschend, weil ich - wie gesagt - doch länger nicht auf der Theaterbühne gestanden bin. Mein Werdegang ist natürlich sehr vom Theater geprägt, doch dann (2022, Anm.) habe ich mich dazu entschieden, mich mehr auf Film und Fernsehen zu konzentrieren. Nicht weil ich das lieber mochte, sondern aus reiner Neugierde und weil ich auch mal ausprobieren wollte, freischaffend zu sein. Und so war ich tatsächlich überrascht, denn ich hatte nicht damit gerechnet, so schnell wieder auf die Bühne kommen. Aber ich habe mich wahnsinnig gefreut und finde es toll, dass gerade diese Rolle quasi mein Comeback ist.

Mit gerade mal 30 Sätzen geht die Buhlschaft kaum als Hauptrolle durch, sie gilt vielmehr als die berühmteste Nebenrolle der Welt. Dennoch ist sie eine Institution in Österreich, sie zu spielen gilt als große Ehre. Woran, denken Sie, liegt das? Zum einen liegt das sicher an den vielen großartigen Künstlerinnen, die die Rolle der Buhlschaft bereits interpretieren durften. Zum anderen, glaube ich, ist es auch das System drumherum, das die Rolle zu dem macht, was sie ist, und nicht die 30 Sätze. Denn rein inhaltlich lässt sich dieser - fast schon - Mythos für mich nicht ganz erklären. Und wenn eine Rolle mit so viel Achtung und Aufmerksamkeit bedacht wird, dann wird sie letztlich auch für diese Relevanz auserkoren.
Dennoch möchte ich die Rolle der Buhlschaft, die Texte bzw. das gesamte Stück nicht schmälern. Meines Erachtens ist auch die lange Tradition, in die der "Jedermann" eingebettet ist, ein wichtiger Aspekt, der diesen Event zu dem macht, was er ist.
Gibt es Eigenschaften, die Sie mit der Buhlschaft gemein haben? Dazu muss ich sagen, ich bin noch am Ausprobieren, was genau diese Figur ausmacht, was sie braucht, über welche Energie und Vielschichtigkeiten sie verfügt - sprich, was überhaupt möglich ist in dem Rahmen, den ich zur Verfügung habe. Aber ich glaube, es ist auf jeden Fall eine gewisse Bejahung des Lebens, also diese Lust am Leben und diese Leidenschaftlichkeit, die ich auch von mir selbst kenne.

Von Christiane Hörbiger, Senta Berger, Sunnyi Melles über Veronica Ferres, Birgit Minichmayr, Verena Altenberger bis hin zu (zuletzt) Valerie Pachner - welche Buhlschaft ist Ihre persönliche Favoritin und warum? Ich kann mich gar nicht auf einen konkreten Namen festlegen, denn da sind mehrere ganz großartige Schauspielerinnen drunter, die auch abgesehen von ihrer Interpretation der Buhlschaft eine große Inspiration und Vorbild für mich sind.
Haben Sie den "Jedermann" selbst schon einmal live in Salzburg gesehen? Ja, ein Mal. Das war mit Caroline Peters als Buhlschaft. Ich kenne sie vom Burgtheater, sie ist zum Beispiel auch eine großartige Schauspielerin. Und das ist doch so toll an der Buhlschaft, dass jede Schauspielerin mit ihrer ganzen Kraft und Fantasie neu an die Rolle - so klein diese ist und vielleicht auch ein bisschen an Komplexität zu wünschen übriglässt - rangeht und sie neu interpretieren darf.
Sie sind die 38. Darstellerin der Buhlschaft. Wie wollen Sie die Rolle "neu" interpretieren, was werden Sie anders machen als Ihre Vorgängerinnen? Das ist ein stetiges Herausfinden und ich sage immer, es ist vor allem auch eine Ensemblearbeit. Es geht dabei sehr stark darum, wie Hochmair und ich uns finden, was für eine Beziehungsdynamik wir gründen und darstellen und auch wie wir in Kontrast zueinanderstehen.
Man kann das nicht hermetisch abgeschlossen für sich entdecken, die Interpretation einer Rolle ist immer ein laufender Prozess und kann selbst zur Hauptprobe noch einmal komplett umkippen. Diese Freiheit soll und muss man sich nehmen und dementsprechend will ich mich da noch gar nicht so verlässlich darüber äußern, denn letztlich kann doch alles wieder ganz anders sein.
Philipp Hochmair stand bereits 2018 als Ersatz-Jedermann für den erkrankten Tobias Moretti auf der Bühne, damals mit Stefanie Reinsperger an seiner Seite. Holen Sie sich Inspiration von den damaligen Aufführungen? Ich sage es mal so: Alles, was ich wahrnehme, kann eine Inspiration für mich als Spielerin, als Theaterschaffende, als Künstlerin sein. Aber ich gucke mir nicht genau diese Aufführung an und denke mir: "Ah, Philipp hat das damals so gespielt und deswegen könnte ich jetzt das und das machen." So funktioniert das nicht. Wir malen nicht nach Zahlen, wir sind impulsive Wesen und am besten ist man ständig im Fluss, trifft sich, macht sich Spielangebote und entdeckt immer wieder eine neue Dynamik - zum Teil sogar bei jeder einzelnen Vorstellung.

Reinsperger meinte damals in einem SN-Interview, dass es naiv von ihr war zu glauben, den Fokus des medialen Interesses weg von den Äußerlichkeiten der Buhlschaft stärker hin auf den Inhalt des Stücks zu lenken. Wie erleben Sie den Hype rund um diese Rolle und haben auch Sie den Eindruck, dass das Kleid der Buhlschaft immer noch wichtiger ist als die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Figur? Doch, das kriegt man schon mit. Wie man wirkt, wie man aussieht, was für ein Kleid man trägt, welche Form der Weiblichkeit man vertritt: Man merkt schnell, dass diese Themen ein großer Bestandteil der Rolle sind. Das wusste ich davor, das erlebe ich wieder und das bestätigt sich. Gleichzeitig gibt es aber auch eine kritische Reflexion über diesen Fokus auf die Äußerlichkeiten und darin sehe ich doch einen Fortschritt.
Natürlich würde ich mir wünschen, dass die Verpackung eine weniger große Rolle spielt als der Inhalt, aber letztlich kann ich nur mein Bestes geben, um diesen Inhalt möglichst spannend zu gestalten. Außerdem darf man sich von diesen Themen auch nicht komplett meschugge machen lassen, schließlich will man diese Aufgabe, die Buhlschaft zu spielen, ja auch genießen können.
Verspüren Sie durch das immense öffentliche Interesse einen besonders großen Druck? Ich versuche, den Druck nicht so sehr an mich ranzulassen, sondern mich auf andere Sachen zu konzentrieren - darauf, wie ich für mich das Beste aus der Rolle herausholen kann. Und dabei gibt es ganz andere Herausforderungen als die Frage nach bestimmten Äußerlichkeiten.
Ich bin zum Beispiel eher nervös, nach so langer Zeit wieder auf der Bühne zu stehen; ich frage mich, wie groß ist mein Stimmvolumen, was sieht man vom hintersten Rand, wie klein kann ich spielen und wie kann man in der Beziehung zwischen Jedermann und Buhlschaft diese konservative Rollenverteilung aufbrechen. Das sind Fragen, die ich mir stelle, und nicht, wie ich aussehe und welches Kleid ich tragen werde.
Zu Ihnen privat: Woher kam der Wunsch, Schauspielerin zu werden? Kommen Sie aus einer künstlerischen Familie? Ich komme eigentlich aus einer mathematischen Familie, aber meine Mutter war Tänzerin. Bei uns wurde also schon früh getanzt, dazu hatte ich von klein auf eine Liebe fürs Verwandeln - ich habe mich verkleidet, habe meine Stimme verstellt und so getan, als ob jemand am Telefon wäre, obwohl da niemand war.
Ich hatte einfach Lust, diese Realität, in der ich steckte, zu verändern, und habe dann in Zürich mit Kindertheater angefangen. Das war für mich wie ein Spielplatz, wo ich mich ausleben und weiterentwickeln durfte, so wie andere beispielsweise beim Fußballspielen.
Sie haben an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin studiert, hatten Engagements am Konzert Theater Bern und am Staatsschauspiel Dresden und waren schließlich von 2019 bis 2022 Ensemblemitglied des Burgtheaters Wien. Zudem haben Sie in vielen TV-Produktionen und Kinofilmen mitgespielt. Was fasziniert Sie nun mehr, die Arbeit auf der Theaterbühne oder vor der Kamera? Immer am besten beides, alles gleichzeitig (lacht). Nein - ich kann mich tatsächlich nicht entscheiden. Es gibt so viele verschiedene Elemente, sowohl auf der Bühne als auch vor der Kamera, die ich toll finde. Angefangen bei den langen Probenphasen im Theater, wo man wirklich auch noch mal scheitern darf. Dazu der Kontakt mit dem Publikum, der ist einfach unique, da gibt es beim Film nichts Vergleichbares. Gleichzeitig ist das Theater stark vom Ensemblegeist geprägt, man verbringt viel Zeit mit den Kolleginnen und Kollegen und wächst sehr eng zusammen. Beim Film ist man öfter allein, man geht allein zu Castings, bereitet sich allein auf seine Rolle vor. Dafür ist man als Freischaffende selbstständiger, kann selbst entscheiden, wo man leben möchte, das ist auch schön. Außerdem hat man beim Film mehr Kontakt zur kompletten Crew, zu Tonmann bzw. -frau, zum Licht, zu den Cutter:innen. Im Theater beschränkt sich das eher auf die anderen Schauspieler:innen und die Regie.
Dazu kommt, dass man bei Theater und Film mit sehr unterschiedlichen Stilmitteln arbeitet, die alle ihren Reiz haben. Die beiden Medien können sich meiner Meinung nach gegenseitig befruchten, sie prägen einen und machen auch das eigene Spiel vielfältig und interessant. Und darum, wie ich vorhin schon gesagt habe, würde ich am liebsten immer beides kombinieren.
Sie sind seit Anfang Juni für die "Jedermann"-Proben in Salzburg. Kannten Sie die Stadt bereits bzw. hatten Sie schon Zeit, die Gegend ein bisschen zu erkunden? Ich war nur einmal vorher da, kenne Salzburg also nicht wirklich gut. Aber ich bin dran, die Stadt für mich zu entdecken. Ich bin ganz fasziniert von den Bauwerken und von der barocken Prägung. Und diese Felsen und die Natur - das finde ich alles wunderschön hier. Ich probiere mich gerade auch durch diverse Cafés und Restaurants, außerdem gehe ich viel spazieren.
"Jedermann" läuft noch bis Ende August. Was kommt danach? Das kann ich noch nicht sagen, das ist noch nicht offiziell. Es sind ein paar Sachen in der Pipeline, aber davon ist noch nichts spruchreif.
Wonach wählen Sie eine Rolle aus und welche Rolle möchten Sie in Zukunft unbedingt einmal spielen? Ich habe jetzt keine konkrete Rolle, von der ich sage, dass ich sie unbedingt spielen möchte. Im besten Fall liest man ein Drehbuch, das toll geschrieben ist, mit einer Figur, die mit Widersprüchen und Komplexität behaftet ist. Und dann kommt plötzlich dieses Rad der Kreativität ins Rollen, man versteht auf einmal diese Figur und weiß ganz genau, wer das ist. Auf solche Rollen, die von Widersprüchen geprägt sind, die Humor haben, mit denen man empathisch sein kann und die gleichzeitig auch immer wieder überraschend und unvorhersehbar sind, hofft man natürlich immer.
Gleichzeitig gibt es aber auch Rollen, die ich bereits gespielt habe und die ich gerne mit einem gewissen Abstand und einer gewissen Erfahrung noch einmal neu interpretieren würde, zum Beispiel Yerma von García Lorca, die ich vor etwa fünf Jahren unter Andreas Kriegenburg (dt. Theaterregisseur, Anm.) gespielt habe.
Werden wir Philipp Hochmair und Sie im nächsten Jahr wieder auf der "Jedermann"-Bühne sehen? (Lacht.) Das sehen wir dann ...