Bob Marley hat es in seinem nur 36 Jahre dauernden Leben zu zwölf offiziellen Kindern gebracht, es könnten bis zu 46 gewesen sein. Eddie Murphy hat zehn Kinder, Mel Gibson neun, Rod Stewart und Mick Jagger haben jeweils acht, beim letzten Kind war Stewart 66, Jagger 73. Eine stolze Leistung, wenn man bedenkt, in welch engem Beinkleid die beiden Männer ihr Leben lang steckten. Clint Eastwood hat mit 88 Jahren erstmals sein achtes Kind in der Öffentlichkeit präsentiert. Das Kind war 65 und stammt aus einer frühen Affäre. Luis Trenker ist angeblich mit 96 Jahren noch einmal Vater geworden. Das behaupteten zumindest einige Boulevardzeitungen. Von mehreren Seiten war diese Vaterschaft infrage gestellt worden, aber der Mythos passte doch irgendwie zu dem verwegenen Berghelden. Heldentum, Rock 'n' Roll und Mythos liegen also eng beieinander. So weit zum Mythos, doch wechseln wir nun lieber zur Wahrheit.
Die Wahrheit ist, dass das Zeugen von Kindern für manche Paare wenig mit Rock 'n' Roll zu tun hat. Es ist vielmehr ein Walzer, der sich zieht, der einen schwindelig werden lässt und den man letztlich durchhalten muss. Rund 15 Prozent der Bevölkerung ist ungewollt kinderlos, Frauen entschließen sich immer später für eine Mutterschaft, meist ist dann die Eizellenqualität nicht mehr die beste. Bei Männern ist die Ursache oft sehr schwer zu ergründen. Unfruchtbarkeit ist laut WHO-Definition gegeben, wenn ein Jahr lang trotz regelmäßigen Geschlechtsverkehrs keine Schwangerschaft eintritt. Vor drei Jahren wurde eine Studie veröffentlicht, wonach die Spermienqualität laufend abnimmt. Zwischen 1973 und 2011 ist in Nordamerika, der EU, Australien und Neuseeland die Konzentration der Spermien pro Milliliter Sperma um 52 Prozent gesunken. Wobei: Es bleiben im Schnitt noch immer durchschnittlich 47 Millionen Spermien pro Milliliter Ejakulat übrig.
Was aber setzt den kaulquappenartigen Lebewesen aus der männlichen Körpermitte so zu?

Der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der Medizinischen Universität Wien beschäftigt sich mit den Einflussfaktoren auf die Fruchtbarkeit des Mannes. Auch für ihn ist das Phänomen des immer schlechteren Spermas das Resultat vieler Faktoren, die nur schwer genau zu beziffern seien.
Hutter führt zunächst an, dass Spritzmittel bei Landwirten zu einer Verschlechterung der Spermienqualität beitragen könnten. In den letzten Jahren war auch immer wieder die Rede von Chemikalien in Kunststoffen beziehungsweise Plastik, Bisphenol A etwa, und von Pestiziden. Diese "bunte Welt" der Industriechemikalien steht schon länger in Verdacht, bei Unfruchtbarkeit bis hin zur Beeinträchtigungen bei der Entwicklung der Nachkommen eine Rolle zu spielen. Endokrine Disruptoren heißen diese Chemikalien, die Einfluss auf das Hormonsystem haben. Und davon gebe es Hunderte, sagt Hutter.
Der Wirkungsmechanismus ist sehr komplex. Solche Stoffe können beispielsweise direkt an Hormonrezeptoren binden, wodurch die Effekte des natürlichen Hormons reduziert oder erhöht werden. Viele Substanzen, die der Mensch und seine Zivilisation in die Umwelt blasen, haben eine verweiblichende Wirkung, imitieren Östrogene - und das verursacht Probleme für männliche Spermien. Herauszufiltern, welches Fremdhormon an der Unfruchtbarkeit einer Person schuld ist, sei praktisch ein Ding der Unmöglichkeit, sagt der Mediziner.

Strittig ist auch die Bedeutung des Mobilfunks: Mediziner weisen schon länger darauf hin, dass die männliche Fertilität durch Mobilfunk beeinflusst werden könne. Die Mobilfunkbetreiber sehen hier keine Gefahr, die geltenden Höchstwerte würden die Nutzer schützen, auch beim kommenden 5G-Standard. Die Universität Haifa hat jedenfalls vor wenigen Jahren eine Studie veröffentlicht, wonach die elektromagnetische Strahlung von Handys die männliche Fruchtbarkeit schädigen kann. Bei Männern, die das Telefon nahe am Körper benutzt oder geladen haben oder dieses in der Nähe der Hoden trugen, war die Anzahl der Spermien wesentlich geringer. Sicher ist sicher: für das Handy einen anderen Platz als die Hosentasche suchen.
Den größten Anteil an männlicher Infertilität haben laut Hutters Kenntnisstand aber Dinge, die der Einzelne leichter beeinflussen kann als das Inhalieren von Schadstoffen oder den Einfluss von elektromagnetischen Feldern. Kurz gesagt: Unfruchtbar macht den Mann, was ihn langfristig auch häufig umbringt.
Und die nun folgende Litanei kennen viele Mannsbilder vermutlich von ihren (zu seltenen) Hausarztbesuchen: Kritisch sind ein ungesunder Lebensstil, falsche Ernährung und Übergewicht, Rauchen und Alkohol und, speziell, psychosozialer Stress. Sexuelle Unlust bezeichnet Hutter überhaupt als gesellschaftliches Phänomen.
Zu viel Druck im Alltag und im Beruf, das ist für die meisten eine Alltagserfahrung, und dieser Druck wirkt sich negativ auf die Libido aus. Und die Medikamente, die dann dagegen eingenommen werden, noch mehr. Das Ergebnis ist für die Betreffenden deprimierend: Die Spermien kommen nicht dorthin, wo sie hinkommen sollten. Immer mehr Männer plagen Potenzprobleme, die unter dem Begriff erektile Dysfunktion subsumiert sind, die ebenfalls unzählige Gründe haben können.
Was heißt das jetzt? Stehen wir, nachdem wir uns ein Jahrhundert lang vor der Überbevölkerung gefürchtet haben, vor dem Aussterben? Der Urologe Erik Huber ist ein Mann aus der Praxis. Mehr als 60 Spermiogramme werden in seinem Urologenzentrum in Wien jede Woche erstellt.

Unfruchtbarkeit sei gegeben, wenn keine Samenzellen im Ejakulat zu finden seien, und das sei kaum der Fall. Man müsse statt über Unfruchtbarkeit vielmehr über reduzierte Fruchtbarkeit reden. Doch man müsse hier die Kirche im Dorf lassen, noch wisse man zu diesem Thema zu wenig und es gebe zu viele Faktoren, die zu reduzierter Fruchtbarkeit führen können. Auch die gern kolportierten Zahlen seien in Relation zu setzen: Wenn von zu langsamen Spermien die Rede sei, pro Milliliter aber 150 Millionen Samenzellen vorhanden seien, könnten 70 Prozent langsam sein - da blieben genügend Samenzellen, um eine Eizelle zu befruchten. "Auch Spermiogramme haben Limits", betont Huber.
Es gebe zwar Erkrankungen, die auf eine reduzierte Fruchtbarkeit hindeuten können: etwa Krampfadern im Hodensack oder eine Veränderung an der Eichel bei der Harnöffnung. Das kann, muss aber nichts damit zu tun haben. Deshalb ist eine urologische Untersuchung bei unerfülltem Kinderwunsch unbedingt notwendig. Für den Urologen ist das erste Spermiogramm jedenfalls nur wenig aussagekräftig, die Werte können durch eine vorangegangene Grippe oder durch Entzündungen verändert sein. Man weiß, auch beim komplett gesunden Mann ist jedes zehnte Spermiogramm nicht in Ordnung. Erst beim zweiten auffälligen Spermiogramm werde ein eingehendes Gespräch geführt und auf weitere Möglichkeiten hingewiesen.

Huber empfiehlt seinen Kinderwunschpaaren häufig auch eine Paartherapie. "Man weiß aus Studien, dass es zu deutlich erhöhter Fruchtbarkeit führt, wenn der Druck aus der Paarsituation einmal draußen ist." Und der sei nicht unerheblich in einer Zeit, in der immer alles perfekt nach Plan laufen soll. Dem Urologen Huber fällt auf, dass Männer oder Paare heute bereits nach wenigen "erfolglosen" Monaten zur Abklärung kommen. "Nach meiner Meinung fehlt vielfach die Lockerheit sowie das Vertrauen auf Natur und Biologie." Was zu einem wesentlichen Punkt führt: Wenn Paare ungewollt kinderlos bleiben, liegt die Ursache nicht zwingend im Spermiogramm - sondern oft woanders.
Thomas Radauer von der Sexualberatungsstelle Salzburg kennt beide Seiten: Männer, deren Spermiogramm nicht in der Norm ist, aber auch Männer, die kinderlos sind, obwohl ihre Befunde unauffällig sind. Das Augenmerk müsse in jedem Fall auf die Paarsituation gerichtet werden, weg von Schuldzuweisungen, wer nun für die Infertilität "verantwortlich" ist.

Die Ursachenabklärung ist meist komplex und braucht Zeit: Es gibt Frauen, deren Wunsch nach einem Kind unbewusst tief konflikthaft ist, es gibt Männer, die vor dem ersten Kind mit der Verantwortung hadern, es gibt Paare, deren finanzielle Sorgen eine dritte Schwangerschaft blockieren. In Bezug auf Erektionsprobleme meint Radauer, es komme vor, dass Männer Angst vor den Genitalien und der Fruchtbarkeit der Partnerin entwickeln oder man schweres Gepäck aus der Vergangenheit mit sich herumträgt.
"Es sind oft verschiedene Faktoren, die darin kumulieren, dass keine Erektion stattfindet", erklärt Radauer und nennt eine "Psychologenweisheit", die sich hier oft als zutreffend zeige: "Das Genital lügt nicht." Wie viel Prozent der ungewollten Kinderlosigkeit psychisch begründet seien, sei unklar, der psychogene Anteil sei aber jedenfalls nicht gering. Erfolge gebe es aber: Bisweilen seien Frauen schon während der Therapiephase schwanger geworden.