Drei sechsgliedrige und ein fünfgliedriger Ring aus Kohlenstoff-Atomen, ein bisschen angehängter Wasserstoff, da und dort ein Sauerstoff- und Kohlenstoffatom: So sieht das Testosteron für die Augen eines Chemikers aus. Ein Pharmakologe extrahierte das Hormon im Jahr 1935 aus Stierhoden, sein Name setzt sich aus dem lateinischen testis (Hoden) und den Molekülnamen sterol und ketone zusammen.
Wofür Testosteron?
Und der Stoff hat es in sich: Er lässt männlichen Föten die Geschlechtsorgane wachsen, Männern die Körperhaare und Muskeln - die Kopfbehaarung dagegen ist ein Feind des Kohlenwasserstoffmoleküls. Testosteron macht Lust auf Sex, es lässt die roten Blutkörperchen zahlreicher werden. Und: Bei Tieren, das gilt als erwiesen, fördert es Imponier- und Kampfverhalten. Es steigert außerdem die körperliche Leistungsfähigkeit - kaum ein Dopingmittel baut nicht auf seiner Grundstruktur auf. So weit, so unbestritten.
Macht Testosteron nur Tiere aggressiv?
Aber: Ist das Hormon, das Männer männlich macht, wirklich auch bei Menschen ein Motor für Aggression, Alpha-Männchen-Gehabe und Rücksichtslosigkeit? Das ist zumindest nicht sicher. Denn zum einen verfügen auch Frauen über das Hormon, nur eben tendenziell weniger. Zum anderen ist die Wirkweise des Stoffs komplex und noch nicht gänzlich erforscht. Im Jahr 2001 führten Angela Brook und andere Wissenschafter eine Analyse von 45 bereits älteren Studien durch und wollten eine Antwort auf die Gretchenfrage: Macht Testosteron nur Tiere aggressiver oder auch Menschen? Das Ergebnis: Ein Zusammenhang scheint zu existieren, allerdings kein allzu starker. Und auch zwischen sozialem Status und Testosteronspiegel wurden Zusammenhänge gefunden - Testosteron quasi als Aufsteiger-Hormon. Aber: "Es kann durchaus auch sein, dass höherer sozialer Status zu höherem Testosteron führt, und nicht nur umgekehrt", sagt Elisabeth Oberzaucher, Verhaltensbiologin an der Uni Wien.
Angesprochen auf Trump, Bolsonaro und Konsorten sagt Oberzaucher: "Ich glaube nicht, dass das Testosteron das größte Problem der Menschheit ist. Diese Politikertypen wurden ja gerade gewählt, weil sie laut schreien und so aufgeblasen sind. Und sie sind keine typischen Vertreter des männlichen Homo sapiens". Der durchschnittliche Mann, meint Oberzaucher, ähnle in seinem Verhalten eher Brigitte Bierlein als Donald Trump.
Soziale Kompetenzen setzen sich durch
Das sei auch erfolgversprechender, wie ein Blick ins Tierreich zeige - denn: Dass immer das größte und aggressivste Männchen sich als Herdenführer durchsetze oder das schönste Weibchen besteigen dürfe, das sei nicht zutreffend. "Das trifft bei manchen Tierarten zu, bei anderen aber gar nicht", sagt die Biologin. Gerade bei sehr intelligenten Tieren wie Affen seien es oft die kooperationsfähigsten Tiere, die langfristig die Chefs seien: "Aggressivität wirkt nur kurzfristig, dann setzen sich die sozialen Kompetenzen durch." Dann sei entscheidend, wer die meisten Verbündeten im Rudel oder in der Horde habe. Das bestätigten etwa auch Beobachtungen in Kindergärten - wo aggressiv auftretende Kinder schnell allein und isoliert dastünden und keineswegs als "Alpha-Tiere".
Testosteron als Männchen-Hormon, das gelte zwar auch für die Tierwelt. Aber: "Keineswegs rittern die Männchen überall kämpfend um Weibchen. Das ist ein Vorurteil der patriarchalen Wissenschaftsdarstellung. Man denke etwa an Stockenten oder Pfaue - die besonders schön und prächtig sein müssen, um Weibchen zu erobern. Sie tun genau das, was man bei Menschen den Frauen zuschreibt", sagt Oberzaucher. Hinzu komme, dass bei etlichen Tierarten die Weibchen größer und kräftiger seien, teils auch aggressiver; etwa unter unzähligen Insekten-, Fisch- und Vogelarten. Generell, findet Oberzaucher, täten der Welt tatsächlich Führungskräfte gut, die ein wenig leiser, bescheidender und kooperationsbereiter seien als jene der Gegenwart. Das Testosteron als alleiniger Sündenbock tauge dafür allerdings nicht.