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Wie man mit Ärger und Wut umgehen sollte

Wut müsse nicht nur negative Folgen haben, sagt Alexander Haydn. Der Therapeut erläutert, wie man verhindert, dass Emotionen in Gewalt umschlagen - und wieso Boxsäcke dabei nicht helfen.

Ein Bub spielt in einer Sandkiste mit einem Bagger. Ein zweiter Bub bemerkt das Spielzeug - und schnappt sich den Bagger. Die Reaktion lässt nicht lang auf sich warten: Bub eins reißt den Bagger wieder an sich und schupft seinen Widersacher. Die Reaktion des Vaters, der die ganze Zeit danebenstand: "Gut gemacht, mein Junge. Lass dir nur nichts gefallen."

Es sind Begebenheiten wie diese, von ihm erlebt in einem Wiener Park, die für Alexander Haydn sinnbildhaft für Sozialisationsmuster in unserer Gesellschaft stehen. Solche Muster, derartige Erziehung "bleibt übrig", halle im weiteren Leben nach, sagt der Verhaltenstherapeut. Am Dienstag, 21. Juni, referiert Haydn zum Thema "Umgang mit Wut und Ärger" im SN-Saal. Ein wesentlicher Teil des Vortrags wird sich um das drehen, was Haydn in seiner Funktion als Koordinator der Gewaltarbeit bei der Männerberatung Wien schier täglich erlebt: wie Wut und Ärger zu Gewalt führen.

Dabei seien Emotionen wie Wut nicht nur etwas Negatives, erläutert Haydn. Sie könnten helfen, um Energie freizusetzen und Dinge zu erreichen. Das sei vor allem historisch belegbar: "Wut und Aggression haben das Überleben der menschlichen Rasse ermöglicht." Das plakativste Beispiel sei jenes vom Steinzeitmenschen, der sich dem Säbelzahntiger entgegenstellt. Aber hätte der Mensch nicht auch überleben können, wäre er immer wieder rechtzeitig geflüchtet? Das widerspreche dem Verhaltensmuster kognitiver Wesen, sagt Haydn.

Erziehung und Geschlechterbild spielen eine große Rolle

Freilich brauche es ein derartiges Verhalten, wie jenes im Kampf gegen den Säbelzahntiger, heutzutage kaum noch. Vor allem die Konsequenz der einschlägigen Emotionen, die Gewalt, sei etwas, das mittlerweile verpönt sei. Umso wichtiger sei es hinzuschauen, warum manche (Männer) trotzdem darauf zurückgreifen.

Da komme neuerlich die Erziehung ins Spiel. Und da etwa auch das Geschlechterbild - belegbar durch ein zweites Beispiel aus dem angesprochenen Wiener Park: Ein Mädchen schaukelt vor sich hin, als ein zweites auftaucht und es von der Schaukel schubst. Mädchen eins läuft weinend zu seiner Mutter, diese tröstet es und sagt: "Lass uns woanders weiterspielen." Dies sei nur ein Exempel dafür, wie unterschiedlich Buben und Mädchen erzogen werden. "Ein Kind kommt unschuldig auf die Welt", sagt Haydn. Auch die Genetik spiele in diesem Zusammenhang kaum eine Rolle. "Alles macht die Sozialisation, vor allem wettbewerb- und gewaltaffine Umfelder prägen."

Für Haydn liegt ein Lösungsansatz in der Definition von Männlichkeit: "Wir brauchen eine ,Caring Masculinity', also eine Männlichkeit, die nicht den Wettbewerb, sondern das Gemeinschaftliche in den Vordergrund rückt. Auch, weil man teamorientiert viel bessere Ergebnisse erreichen kann."

Vor einem Gewaltausbruch steht meist ein Gefühl der Sprachlosigkeit

Doch was ist, wenn die Erziehung schon hinter einem liegt - und gewisse Muster bereits verankert sind? Gewalt sei ein multikausales Problem, das individuell betrachtet werden müsse, sagt Haydn. Auffällig sei aber, das schier alle Fälle - auch jene, die Haydn in seiner Arbeit als forensischer Therapeut im Justizvollzug begleitet - ein Symptom eine: Sprachlosigkeit. Viele Männer empfänden vor dem Gewaltausbruch "Ohnmachts- und Sprachlosigkeitsgefühle". Auch das habe damit zu tun, dass viele früh gelernt hätten "hinzuhauen, statt etwas auszureden". Aber: Schier alles, was erlernt wurde, könne auch wieder verlernt werden. Deshalb müsse man bei der Sprachlosigkeit ansetzen. Dabei könnten Krisentelefone helfen wie die kostenlose Männerinfo (maennerinfo.at, 0800 400777) sowie in weiterer Folge persönliche Beratungsgespräche oder Antigewalttrainings. Um den Prozess anzuschieben, brauche es aber oft jemand Dritten - etwa die Ehefrau, die ein Ultimatum stellt, oder den Vater, den besten Freund etc.

Zudem könnten Atemübungen oder Qigong helfen, um die Grundspannung zu minimieren. Dass es förderlich sei, sich in einem Fitnessstudio auszupowern oder gegen einen Boxsack zu dreschen, sei hingegen eine Mär. Derartige Aktivitäten seien sogar "kontraproduktiv", führt Haydn aus. Zwar ermüdeten sie, setzten aber auch Hormone frei, die den Körper auf Kampf programmieren. "Und bis die hormonelle Situation wieder ausgeglichen ist, kann viel passieren."

Bild: SN/privat/bauer
Gewalt ist ein gesellschaftliches, kein individuelles Problem.
Alexander Haydn, Verhaltenstherapeut

Das Gewaltproblem sei jedenfalls ein mehr als relevantes: Neben der Spitze des Eisbergs - Stichwort Femizide - gebe es jährlich 12.000 Betretungsverbote in Österreich, beschreibt Haydn. Davon werde rund ein Drittel, also 4000 Personen, als Hochrisikofälle eingestuft. Allein das mache klar, dass das Ganze ein "gesellschaftliches Problem ist".

Veranstaltung im SN-Saal

Im Zuge der Reihe "Gesundes Salzburg", veranstaltet vom Kuratorium für psychische Gesundheit, referiert Alexander Haydn am Dienstag, 21. Juni, ab 19 Uhr im SN-Saal. Der Verhaltenstherapeut widmet sich dem Thema "Umgang mit Wut und Ärger".

Den aufgezeichneten Vortrag als Video können Sie hier sehen: