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Ein uraltes Hochzeitskleid, das ganz viel Familiengeschichte erzählt

Es ist schwarz, 123 Jahre alt und im Museum ausgestellt. Ich wollte mehr über die Hochzeitskleidbesitzerin herausfinden: meine Urgroßmutter.

Ein Kleid im Hochzeitsmuseum: Meine Urgroßmutter hat es 1901 getragen.
Ein Kleid im Hochzeitsmuseum: Meine Urgroßmutter hat es 1901 getragen.
Maria und Georg Kinzl bei ihrer Goldenen Hochzeit 1951 in St. Pantaleon. Fotos wurden nur selten gemacht damals, „aber der Bäckersohn Albert Landertinger hatte schon einen Fotoapparat und hat die Leute im Dorf immer wieder fotografiert“.
Maria und Georg Kinzl bei ihrer Goldenen Hochzeit 1951 in St. Pantaleon. Fotos wurden nur selten gemacht damals, „aber der Bäckersohn Albert Landertinger hatte schon einen Fotoapparat und hat die Leute im Dorf immer wieder fotografiert“.
Das Oberteil des Hochzeitskleides aus dem Jahr 1901 wurde in Handarbeit üppig verziert.
Das Oberteil des Hochzeitskleides aus dem Jahr 1901 wurde in Handarbeit üppig verziert.
Maria Kinzl mit ihren neun Kindern. Der Jüngste, auf dem Bild ein Baby in den Armen seiner Mutter, übernahm später den Hof, als er 1948 aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte.
Maria Kinzl mit ihren neun Kindern. Der Jüngste, auf dem Bild ein Baby in den Armen seiner Mutter, übernahm später den Hof, als er 1948 aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte.
... ein paar Jahre später die gesamte Familie auf einem Foto von 1925. Vorne sitzend: Karl, Georg, Mutter Maria, Vater Georg, Elisabeth (meine Oma), Franziska. Hinten: Maria, Johanna, Johann, Katharina und Justine.
... ein paar Jahre später die gesamte Familie auf einem Foto von 1925. Vorne sitzend: Karl, Georg, Mutter Maria, Vater Georg, Elisabeth (meine Oma), Franziska. Hinten: Maria, Johanna, Johann, Katharina und Justine.
Für die Goldene Hochzeit wurde eine Einladungskarte gestaltet. Kalteneggers Gasthaus gibt es längst nicht mehr.
Für die Goldene Hochzeit wurde eine Einladungskarte gestaltet. Kalteneggers Gasthaus gibt es längst nicht mehr.
Maria und Georg Kinzl auf einem undatierten Foto. Mein Urgroßvater trug tatsächlich ein Flinserl.
Maria und Georg Kinzl auf einem undatierten Foto. Mein Urgroßvater trug tatsächlich ein Flinserl.
Mein Urgroßvater musste trotz neun Kindern und einem Bauernhof daheim in den Ersten Weltkrieg ziehen. Aus Greto schickte er 1915 eine Karte an seine Kinder, adressiert an die Älteste, Johanna: „Liebe Kinder! Habe eure Karte erhalten mit Freuden und zugleich mit Leid, weil ich nicht bei euch sein kann. Ich denke immer an euch. Oft fließen die Tränen vor den Augen, weil ich euch so gern habe. Vielleicht hilft uns doch der liebe Gott, dass ich wieder zurück kommen kann. Tut halt der Mutter folgen. Viele herzliche Grüße von eurem Vater Georg Kinzl.“
Mein Urgroßvater musste trotz neun Kindern und einem Bauernhof daheim in den Ersten Weltkrieg ziehen. Aus Greto schickte er 1915 eine Karte an seine Kinder, adressiert an die Älteste, Johanna: „Liebe Kinder! Habe eure Karte erhalten mit Freuden und zugleich mit Leid, weil ich nicht bei euch sein kann. Ich denke immer an euch. Oft fließen die Tränen vor den Augen, weil ich euch so gern habe. Vielleicht hilft uns doch der liebe Gott, dass ich wieder zurück kommen kann. Tut halt der Mutter folgen. Viele herzliche Grüße von eurem Vater Georg Kinzl.“

Ein Besuch im Hochzeitsmuseum in Göming: Ich möchte mir jenes Kleid anschauen, von dem mir meine Tanten schon so viel erzählt haben. Ihre Großmutter, also meine Urgroßmutter, hat es zu ihrer Hochzeit im Jahr 1901 getragen. Weil das Kleid so schön war für die damalige Zeit und gut erhalten ist, ist es seit ein paar Jahren im Hochzeitsmuseum im Hellbauerhaus ausgestellt. Da muss ich also hin. Im oberen Geschoß werde ich schnell fündig.

Meine zu dem Zeitpunkt 22-jährige Urgroßmutter hatte, wie vermutlich alle Bräute damals auf dem Land, an ihrem großen Tag quasi ein großes Schwarzes getragen. Groß scheint die Braut aber nicht gewesen zu sein, ahne ich im Museum. Das Kleid ist schön tailliert, besonders das Oberteil ist mit reichlich Stickereien verziert. Auch ein Kranzerl in Grün- und Goldtönen, gehörte zur Tracht.

"Sie und ihre Schwester, hat's geheißen, sollen immer fesch angezogen gewesen sein. Ihre Familie dürfte nicht so schlecht situiert gewesen sein", erzählt meine Tante Hanni. Das Hochzeitskleid ihrer Großmutter hing ewig in Hannis Kasten, sie hatte es von einer ihrer vielen Tanten geschenkt bekommen.

Hätte sich meine Urgroßmutter 1955 in ihrem Hochzeitskleid beerdigen lassen, wie das früher nicht unüblich war - niemand hätte eine Erinnerung daran. Aber so steht das Kleid jetzt ausgestellt in einem Museum - zum Stolz der anzahlmäßig immer kleiner werdenden Nachkommenschaft, die sich noch an ihre Großeltern vom Göschlhof in St. Pantaleon erinnern kann.

Am 4. Juni 1901 hat also laut Kirchenbuch der 25-jährige Georg Kinzl, der Hofbesitzer und mein Urgroßvater, die Bauerntochter Maria Neißl geheiratet. Vermerkt wurde, dass Maria "gerichtlich großjährig erklärt" worden sei, weil man damals erst mit 24 volljährig war. Maria hat an ihrem Hochzeitstag vom rund zwei Kilometer entfernten Höllererhof am Höllerersee mitten ins Dorf eingeheiratet. Ob es eine große Feier gab? "Vermutlich, immerhin hat es damals ja viele Wirtshäuser in den Ortschaften gegeben, wie hätten sich die halten sollen, wenn die Leut' nicht fortgegangen wären?", sagt mein Onkel Adi.

Neun Kindern hat meine Urgroßmutter das Leben geschenkt. Nach einem Schwung Mädchen kam irgendwann der ersehnte Hoferbe, der jedoch früh an einer schweren Krankheit verstarb. Ein später geborener Sohn fiel im Zweiten Weltkrieg. Und auch um ihren allerjüngsten mussten meine Urgroßeltern lange zittern. Erst 1948 kam er aus russischer Gefangenschaft heim, die letzten Kilometer zu Fuß. Tante Hanni kann sich noch erinnern, wie mehrere Familienmitglieder ihm, dem künftigen Bauern, entgegengegangen seien - völlig abgemagert hätten sie ihn kaum wiedererkannt.

Ihre Großmutter soll trotz all der Schicksalsschläge - auch ihr Mann musste in den Ersten Weltkrieg, sie war allein mit den Kindern - eine sehr liebe Oma gewesen sein und recht großherzig. "Sie hat die ledigen Kinder ihrer Töchter anfangs mit aufgezogen. Ihre Töchter konnten erst heiraten und vom Hof weg, wenn der Zukünftige bei sich daheim den Hof übernehmen durfte."

Zum jährlichen "Kiritag" soll die Göschl-Oma immer Krapfen gebacken haben, erinnern sich meine Tanten. Andere Mehlspeisen habe es damals nicht gegeben. "Schmalz war eben da." Geburtstage wurden nicht gefeiert, dafür Namenstage.

Sie habe schlechte Füße gehabt, die Oma, von der vielen Arbeit am Hof. "Auf unserem Schulweg haben wir gern bei ihr vorbeigeschaut", sagt meine Tante Liesi. Der Großvater sei auch Bürgermeister gewesen und Mesner, um fünf Uhr früh habe er jeden Tag zum ersten Mal die Kirchenglocke läuten müssen.

1951 feierten die beiden Goldene Hochzeit, "was in der Zeit selten war". Sogar Einladungen wurden gedruckt, die vielen Enkerl freuten sich aufs Würstelessen beim Wirt. Die 15-jährige Hanni durfte anlässlich des historischen Ereignisses Kranzlbraut sein. "Ich habe mir von der Hausschneiderin ein neues Kleid machen lassen und mit dem Zug nach Salzburg fahren dürfen, um mir neue Schuhe zu kaufen." Ihr Hochzeitskleid von 1901 habe sich ihre Großmutter für die Goldene Hochzeit umschneidern lassen. Vier Jahre später starb sie, mein Urgroßvater überlebte sie um fünf Jahre. Ohne das Kleid im Hochzeitsmuseum hätte ich über die beiden vermutlich nie etwas erfahren.