Der Thymian sei ein Paradebeispiel. "Er ist ein Fast-Alleskönner", schildert Allgemeinmedizinerin Christine Reiler. Er wirke unter anderem schmerzlindernd und antibakteriell - und das belegbar. "Durch Thymol, einen der Hauptbestandteile von Thymianöl, wird die Freigabe des Botenstoffs Noradrenalin unterdrückt. Damit kommt es nachweislich zu einem schmerzlindernden Effekt." Und weil Thymol ebenso antiviral wirke, werde Thymian auch auf manchen Krankenstationen verwendet.
Dass Pflanzen gesundheitsfördernd sein können, steht selbst für den kritischsten Mediziner außer Frage. Dennoch kämpft die Phytotherapie, die Pflanzenheilkunde, seit jeher damit, vollends anerkannt werden. "Der Stellenwert wird unterschätzt", sagt etwa Christine Reiler. Und sie ergänzt: "Vielleicht liegt es daran, dass all das, was nichts kostet, einfach nichts wert sein darf."
Reiler selbst beschäftigt sich seit Jahren mit Pflanzenheilkunde. Die Wahl-Pongauerin hat nach ihrer Ausbildung als Allgemeinmedizinerin noch jene für Phytotherapie abgeschlossen. Reiler, die im ORF auch die Sendung "Bewusst gesund" moderiert, hat dazu passend vor Kurzem das Buch "Meine besten Hausmittel aus Küche und Garten" veröffentlicht (Kneipp-Verlag). "Natürlich gibt es immer noch jene Hausmittel, die einfach von der Oma überliefert wurden." Mittlerweile sei die Heilkraft mancher Pflanzen "aber gut erforscht". Ein Beispiel, das beide Welten zusammenführe - und auch über die Pflanzenheilkunde hinausgeht -, sei etwa die gute alte Hühnersuppe. "Was sie bei Erkältungen in unserem Körper bewirkt, konnte man lang nicht festmachen", sagt Reiler. Mittlerweile gehe man aber davon aus, dass Inhaltsstoffe der Suppe die weißen Blutkörperchen in Schach halten - und sich diese dadurch weniger stark an Erkältungsprozessen beteiligen können. Parallel geben Vitamine, Eisen und Zink dem Immunsystem Kraft. Und: "Die Suppe füllt unseren Flüssigkeitshaushalt auf, der heiße Dampf befeuchtet unsere Schleimhäute."
Auch Andreas Gräff ist ein Verfechter von Hausmitteln im Allgemeinen und Pflanzenheilkunde im Speziellen. Der Allgemeinmediziner mit eigener Praxis in Salzburg-Morzg hat wie Reiler die Ausbildung für Phytotherapie abgeschlossen. Gräff ortet einen pragmatischen Grund, wieso Pflanzenheilkunde ab und an in ein eigenes Eck gestellt wird: Es sei rechtlich nicht möglich, sich pflanzliche Tinkturen patentieren zu lassen. Deshalb sei das Feld für die Pharmaindustrie wenig gewinnbringend. "Und die Firmen sind so auch nicht bereit, aufwendige Studien zu finanzieren." Somit fehle vor allem für einzelne Wirkstoffe ab und an der wissenschaftliche Beleg. Man wisse nur, dass die gesamte Pflanze - ein Vielstoffgemisch - wirke. "Jedoch ist nicht ganz klar, was davon wirkt."

Doch birgt das fehlende Detailwissen nicht ein gewisses Risiko? Oder gar allgemein der Hang zu Pflanzenheilkunde? Etwa, wenn man mit einem Hausmittel zwar ein Symptom lindere - aber die eigentliche Krankheit dahinter ignoriere. Das sei durchaus eine Gefahr, sagt Gräff. "Aber genau deshalb gehört alles, was über das simple Hausmittel hinausgeht, in die Hand eines Arztes - der dann zum Beispiel Phytotherapie mit anderen Ansätzen kombinieren kann." So halte es der Salzburger Arzt auch in seiner eigenen Praxis: Wenn jemand mit Grippesymptomen zu ihm komme, gebe es zunächst die übliche Diagnostik, also etwa ein Blutbild oder einen Nasen-Rachen-Abstrich. Wenn dabei herauskomme, dass es sich um einen bakteriellen Infekt handle, werde freilich eine Antibiotikatherapie verschrieben. Handle es sich hingegen lediglich um einen grippalen Infekt, "biete ich dem Patienten auch die pflanzliche Option an". Die Phytotherapie sei schlicht als Teil der Schulmedizin zu sehen. "Die moderne Medizin hat sich aus den gleichen Wurzeln entwickelt", beschreibt Gräff. Und er ergänzt: "Die rationale Phytotherapie erhebt für sich den Anspruch, die gleichen wissenschaftlichen Methoden anzuwenden wie jene, die für synthetische Arzneimittel gelten."
Ähnlicher Meinung ist Christine Reiler. Pflanzenheilkunde könne freilich nicht alles heilen - und sei auch "eher für leichtere Beschwerden" gedacht. "Die Kunst ist, die Situation richtig einzuschätzen. Und aus beiden Ansätzen das passende Heilmittel zu finden."
