Van der Bellen gibt Herbert Kickl den Auftrag zu Regierungsgesprächen
Das Gespräch zwischen Van der Bellen und Herbert Kickl am Montag dauerte knapp eine Stunde. Der FPÖ-Chef äußerte sich bisher dazu nicht offiziell, der Bundespräsident gab nach dem Treffen ein kurzes Statement ab.
Nach dem Scheitern der bisherigen Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos traf Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Montag nun neuerlich FPÖ-Chef Herbert Kickl zum Gespräch. Darin gab er Kickl den Auftrag, Gespräche zur Regierungsbildung mit der ÖVP zu führen. Das teilte er in einem kurzen Statement nach dem Treffen mit.
"Kickl traut sich zu, im Rahmen von Regierungsverhandlungen Lösungen zu finden, und er will Verantwortung", sagte Van der Bellen. Die ÖVP habe zudem ihr "kategorisches Nein aufgegeben", mit der FPÖ zusammenzuarbeiten. Van der Bellen verwies darauf, dass der designierte ÖVP-Parteichef Christian Stocker bereits am Sonntag öffentlich mitgeteilt habe, dass die ÖVP zu Gesprächen mit der FPÖ bereitstünde. "Aus diesem Grund habe ich heute den Parteichef der FPÖ zu mir in die Hofburg gebeten", teilte der Bundespräsident in seinem Statement mit. Gemeinsam habe man verschiedene Themen besprochen - vor allem das Budget und die Sanierung des Staatshaushaltes habe Van der Bellen mit Kickl diskutiert. Thema sei auch die derzeitige geopolitische Lage, speziell der russische Angriffskrieg auf die Ukraine gewesen. "Wir haben auch länger über die Freiheit der Medien in Österreich gesprochen", ließ Van der Bellen wissen.
Auf dem Ballhausplatz wird gegen einen Kanzler Kickl demonstriert
Er habe sich den Schritt "nicht leicht gemacht", so der Bundespräsident. "Ich werde darauf achten, dass die Prinzipien und Regeln der Verfassung korrekt eingehalten werden." Vor der Hofburg hatten sich während des rund einstündigen Gesprächs zwischen Kickl und Van der Bellen hunderte lautstarke Demonstranten versammelt. Sie riefen "Nazis raus", auch Buhrufe waren zu hören. Nachdem Kickl die Hofburg verlassen hatte, löste sich die Kundgebung wieder auf. Am 9. Jänner will man am Ballhausplatz vor dem Bundeskanzleramt gegen eine möglicherweise bevorstehende Kanzlerschaft von FPÖ-Chef Herbert Kickl mobilisieren.
Babler warnt vor "einem radikalen Kürzungskurs"
SPÖ-Chef Andreas Babler meldete sich nach dem Statement von Alexander Van der Bellen auf X zu Wort. Er schrieb: "Wir wissen, was unserer Republik nun droht: Blau-Schwarz mit einem radikalen Kürzungskurs".
Turbulente Tage in Österreichs Innenpolitik
Wie es zum neuerlichen Treffen zwischen Van der Bellen und Kickl in der Hofburg kam? Auf den Rücktritt von Karl Nehammer folgten ein Sonntag voller Turbulenzen und Weichenstellungen, die an den Grundfesten der Zweiten Republik rütteln. Die Zeichen stehen seitdem auf Blau-Schwarz: Das zeigte am Sonntag nicht nur eine Stellungnahme des neuen Manns an der Spitze der Volkspartei, sondern auch eine Ansprache von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der FPÖ-Chef Herbert Kickl für Montag zu sich in die Hofburg einlud.
Überraschend hatte der ÖVP-Vorstand am Sonntag entschieden, Generalsekretär Christian Stocker interimistisch mit der Parteiführung zu betrauen. Mit ihm will sich die ÖVP Zeit erkaufen, um eine grundlegende Neuordnung der Parteispitze durchzuführen. Stocker machte in einer ersten Stellungnahme deutlich, dass die ÖVP, sollte sie dazu eingeladen werden, in Koalitionsgespräche mit der FPÖ eintreten würde.
Damit ist nach dem Umsturz in der Volkspartei auch deren Schwenk Richtung FPÖ und Herbert Kickl vollzogen. Stocker räumte ein, dass er selbst zu den härtesten Kritikern des FPÖ-Chefs gezählt habe, seit dem Platzen der Gespräche von ÖVP, SPÖ und Neos aber eine neue Situation bestehe. "Jetzt geht es nicht um Kickl oder mich, sondern darum, dass das Land eine stabile Regierung benötigt und wir nicht noch mehr Zeit mit einer Neuwahl verlieren dürfen."
Anti-Kickl-Mann vollzieht ÖVP-Schwenk zur FPÖ
Es ist durchaus pikant, dass mit Stocker nun ein Mann die Volkspartei Richtung Kickl öffnen wird, der sich bisher vor allem als Anti-Kickl-Mann profilierte. Aus der ÖVP heißt es dazu, dass es bei der Wahl Stockers auch darum gegangen sei, jemanden zu finden, der Herbert Kickl "Paroli bieten kann". Stocker sei mit allen politischen Wassern gewaschen, er könne mit den Freiheitlichen grundsätzlich und sei ein harter Verhandler, der sich von Kickl nicht über den Tisch werde ziehen lassen. Eine Zukunftslösung sei Stocker aber gewiss nicht. Es gehe jetzt darum, Ruhe in die Partei zu bringen.
Van der Bellen sorgte für die nächste Wendung
Bundespräsident Alexander Van der Bellen sorgte am Sonntag in einer TV-Ansprache dann für die nächste Wende Richtung FPÖ. Er sagte vorab, dass Karl Nehammer vorübergehend im Amt bleibe und nächste Woche ein Nachfolger als Kanzler fixiert werde. Das Scheitern der Verhandlungen von ÖVP, SPÖ und Neos nannte er überraschend und enttäuschend und sprach von einer völlig neuen Situation, die dadurch entstanden sei. In der ÖVP seien jene Stimmen nun deutlich leiser geworden, die eine Zusammenarbeit mit Herbert Kickl ausschlössen, sagte Van der Bellen. Deshalb habe er Herbert Kickl angerufen und für Montag zu einem Gespräch gebeten. Was dies genau bedeutet, ließ er offen. Es könnte aber darauf hinauslaufen, Kickl nun doch mit der Regierungsbildung zu betrauen. Der neue ÖVP-Chef Stocker würde das begrüßen, wie er wenige Minuten später sagte. Er erwarte sich, dass der Obmann der stimmenstärksten Partei mit der Regierungsbildung beauftragt werde.
Die Ansprache von Van der Bellen hier zum Nachschauen:
Kickl: "FPÖ ist der einzige stabile Faktor"
FPÖ-Chef Herbert Kickl selbst meldete sich nach der Ansprache von Alexander Van der Bellen am frühen Sonntagabend auf Facebook zu Wort. Erneut betonte er, die FPÖ treffe keine Verantwortung für das entstandene Chaos. Genauer äußern wolle er sich erst nach dem Gespräch mit Van der Bellen in der Hofburg. Die größte Verpflichtung bestehe nun gegenüber der Bevölkerung: "Ich bleibe bei dem, was ich immer gesagt habe: zuerst das Volk und dann der Kanzler."
Das Verhältnis zwischen Kickl und Van der Bellen galt bisher als angespannt
Das Verhältnis zwischen dem Bundespräsidenten und dem FPÖ-Chef kann man durchaus als angespannt bezeichnen. Van der Bellen sei der "größte Staats- und Demokratiegefährder" im Land, der "seines Amtes enthoben gehört", hatte Kickl etwa beim politischen Aschermittwoch 2023 im Bierzelt unter tosendem Applaus gerufen. Eine "Mumie in der Hofburg", ein "politisches Chamäleon", einer, dem "völlig wurscht ist", wer stimmenstärkste Partei bei der Nationalratswahl werde. Bundespräsident Van der Bellen hatte noch zu Beginn seiner zweiten Amtszeit offen gelassen, ob er den FPÖ-Chef als Kanzler angeloben beziehungsweise mit einem Regierungsbildungsauftrag ausstatten würde. Er werde "eine antieuropäische Partei, eine Partei, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteilt, nicht durch meine Maßnahmen noch zu befördern versuchen", hieß es damals. Unmittelbar nach der Nationalratswahl hatte Van der Bellen dem Obmann der stimmenstärksten Partei einen Regierungsauftrag wegen mangelnder Erfolgsaussichten noch verweigert. Ob sich das am Montag nun ändern könnte, war zunächst offen.
Generalsekretär Stocker als Übergangslösung fixiert
Neuwahlen gilt es in der ÖVP dringlich zu vermeiden. Auch einer der mächtigen Landeshauptleute, Vorarlbergs Markus Wallner, machte schon vor der ÖVP-Sitzung deutlich, was er jedenfalls nicht will - "Ich bin kein Fan von Neuwahlen", sagte Wallner. "Lassen Sie sich überraschen", meinte Christian Stocker zu kolportierten Namen für die neue Parteiführung der ÖVP noch Samstagabend. 18 Stunden später war klar, dass Stocker, dessen politische Tage mit dem Abgang Nehammers schon gezählt schienen, selbst interimistisch die ÖVP-Führung übernehmen wird. SN-Recherchen bestätigten diese Spekulationen, über die zuerst der in Sachen ÖVP stets gut informierte "Kurier" berichtet hatte. Der 64-Jährige kommt aus Niederösterreich und gilt als Nehammer-Mann. Aus der ÖVP hieß es gegenüber den SN von mehreren Quellen, dass tatsächlich die Zeichen auf Stocker stünden, um 13.15 Uhr gab es dann eine erste offizielle Bestätigung aus der ÖVP. Für ihn spricht, dass er einer der wenigen ist, die die Partei gut managen können, bis ein neuer Obmann gefunden ist. Stocker war wie Nehammer stets gegen eine Koalition mit Herbert Kickl aufgetreten. Er arbeitet allerdings mit FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz im Gemeinderat in Wiener Neustadt zusammen und soll mit ihm gute Kontakte haben.
Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) charakterisierte Stocker am Sonntag als "Politiker mit langjähriger Erfahrung auf Gemeinde- und Bundesebene", der die Volkspartei "in einer ganz schwierigen Phase" übernehme. Er sei in der Vergangenheit "immer einer der schärfsten Kritiker" des blauen Bundesparteichefs Herbert Kickl gewesen und daher nun "genau der Richtige, um auszuloten, ob mit der FPÖ in dieser Konstellation eine Zusammenarbeit überhaupt möglich" sei. Im Vorfeld waren für die Neubesetzung der ÖVP-Spitze verschiedene Namen im Gespräch gewesen. Darunter Wirtschaftskammergeneralsekretär Wolfgang Hattmannsdorfer und Ministerin Karoline Edtstadler, die aber abgesagt haben soll.
Gleiches gilt für Sebastian Kurz. Zuletzt waren die Gerüchte um ein Comeback des Ex-Kanzlers immer lauter geworden. Er wäre aber wohl nur für den Fall eine Option, dass es letztendlich doch zu Neuwahlen mit ihm als Spitzenkandidaten der Volkspartei kommen sollte.
Babler übte weiter Kritik an der ÖVP
Und Andreas Babler? Der führte am Tag nach dem Platzen der Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ seine Kritik am ehemaligen Verhandlungspartner fort. Er warnte erneut vor Blau-Schwarz. "Jetzt droht genau das, wovor wir als SPÖ immer gewarnt haben. Blau-Schwarz mit Herbert Kickl als Kanzler", warnte Babler. Schuldige an diesem Szenario fand er zwei: die ÖVP und die Neos. "Weil sie Parteitaktik über die Zukunft dieses Landes gestellt haben." Babler und seine Partei hätten bis zum Schluss versucht, eine "positive Bundesregierung" zu schaffen. Innerparteilich spüre er Rückhalt und werde Parteichef bleiben, meinte Babler, danach gefragt, vor Journalisten am Sonntagnachmittag.
Auch Grünen-Chef Werner Kogler übte in einem schriftlichen Statement am Sonntag Kritik. "Die aktuellen politischen Entwicklungen in Österreich sind eine Abfolge unfassbarer Unverantwortlichkeiten. Im Ergebnis läuft es auf eine gigantische Wählertäuschung hinaus. Die gleiche ÖVP, die Herbert Kickl zu Recht als Sicherheitsrisiko bezeichnet hat und unbedingt als Kanzler verhindern wollte, ist nun bereit, zum eigenen Machterhalt den Steigbügelhalter für Kanzler Kickl zu geben", heißt es darin. "SPÖ und Neos tragen Mitverantwortung für diese Farce. Auch wenn die öffentlichen Darstellungen und wechselseitigen Schuldzuweisungen komplett widersprüchlich sind, hat es wohl beiden an der notwendigen Kompromissfähigkeit gefehlt. Da steht offenbar Parteitaktik über dem Gesamtwohl der Republik."