SN.AT / Leben

Die doppelte Einkehr

Radpilgern auf Sankt Sebaldus' Spuren. Zwischen Ybbs und Enns führen sieben Rundtouren zu Ruhe und Genuss.

Nicht nur radeln, sondern immer wieder innehalten – so wird das Pilgern auch zur inneren Wohltat.
Nicht nur radeln, sondern immer wieder innehalten – so wird das Pilgern auch zur inneren Wohltat.
Nicht nur radeln, sondern immer wieder innehalten – so wird das Pilgern auch zur inneren Wohltat.
Nicht nur radeln, sondern immer wieder innehalten – so wird das Pilgern auch zur inneren Wohltat.

Angefangen hat alles - wie so oft in Österreich - im Wirtshaus. Dabei hat Rudi Grogger mit dem heiligen Sebaldus gar nicht so viel am Hut. Sein Berufsleben lag eher im Zuständigkeitsbereich von Sankt Leonhard, dem Schutzheiligen für die Bauern und ihr Vieh. Doch der pensionierte Tierarzt ist auch passionierter Radfahrer, und das seit 40 Jahren. Aus den anfänglichen Stammtischscherzen über "holy tours" sind nun tatsächlich die "Sebaldus-Radpilgerrouten" entstanden. Vier Leute haben das Konzept ausgetüftelt, alle pensioniert und voller Ideen. "Wir sind eine tolle Truppe", sagt Rudi Grogger voller Lob und lächelt breit. Die Überlegung: Pilgern ist ja gehen und die Natur genießen und in einer Kirche ankommen. Und Sport hat ebenso etwas Meditatives. Radfahren ganz besonders. Auch deshalb war es Hans Wurzer, Pfarrer und Torhüter der Priester-Nationalmannschaft Österreich, der die Eröffnung der Sebaldus-Radpilgerrouten im letzten September übernommen hat.

An Auswahl mangelt es nicht. Die Fakten: Die Routen zeichnen sieben Rundkurse auf die Landkarte, fast ein wenig wie Blütenblätter, und führen allesamt wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Die Siebensachen bleiben daher in der Unterkunft, geradelt wird mit leichtem Gepäck - Wasserflasche und Jausenbrot, wenn überhaupt. Wird doch neben der inneren Einkehr auch für die herzhafte gesorgt, mit mehreren Labstellen auf den Strecken.
Gefahren wird auf Radwegen, auf gut ausgebauten Güterwegen oder wenig befahrenen Landstraßen. Die sieben Routen kommen insgesamt auf 509 Kilometer, die Kurzvariante davon auf 262 Kilometer. Kurzvariante deshalb, sagt Rudi Grogger, weil alles sehr gut ans Öffi-Netz angebunden sei und daher an Motivation und Kondition angepasst werden könne. Fünf der Routen sind auch fürs Rennrad geeignet, fürs Gravelbike taugen alle sieben. Mastermind Rudi Grogger: "Da beim klassischen Pilgern nicht jeder lange Etappen bewältigen kann, kommt oft das E-Bike zum Einsatz." Und egal ob gläubig, geschichtlich interessiert oder sportlich: Alle seien eingeladen, sich in den Kirchen niederzulassen. "Das sind allesamt wohltuende Ruheplätze, wo man seine Gedanken sortieren kann." In dieser oft hektischen, lauten Zeit ein kostbarer Moment.

Mastermind und Fürsprecher der neuen Art des Pilgerns: der pensionierte Tierarzt Rudi Grogger .
Mastermind und Fürsprecher der neuen Art des Pilgerns: der pensionierte Tierarzt Rudi Grogger .

Das Land um Weyer und Gaflenz, zwischen Eisenwurzen und Nationalpark Kalkalpen, ist ein bewegtes Auf und Ab an grünen Wiesen und Wäldern, stets durchzogen von Bächen und Flüssen wie der Ybbs, dem Gaflenzbach und natürlich der Enns. Der Historie der Region begegnen Pilger und Radlerinnen auf Schritt und Pedaltritt. Und die lädt auch ein zum Innehalten. Auf dem Weg zur Sonntagbergrunde etwa gleich in Waidhofen an der Ybbs. Da sitzt ein Glaskubus hoch auf dem Schloss Rothschild, dessen Mauern bis ins Mittelalter zurückgehen, da erinnert der Ybbs-Turm an die Zeit der Türkenkriege, da bittet Sigrid Hartner zu Kaffee und Mehlspeis ins familieneigene Café samt Bäckerei auf dem Oberen Stadtplatz. Doch die Vorfreude gibt den Antrieb, und so führt die Route in malerischen Serpentinen am Ägidikircherl aus dem 16. Jahrhundert vorbei bis auf die Panoramastraße. Die trägt ihren Namen nicht umsonst. Fritz Tatzbergers Hof liegt nur wenige Hundert Meter entfernt, er selbst genießt nach so vielen Jahren den Ausblick noch immer. "An klaren Tagen sieht man von hier auf einer Seite zum Ötscher, auf der anderen über die Donau bis nach Böhmen."

Wissensquelle und Pilgerfreund: Pater Franz Hörmann vor seiner Basilika Sonntagberg.
Wissensquelle und Pilgerfreund: Pater Franz Hörmann vor seiner Basilika Sonntagberg.
Wer von belebenden Touren wie der Sebaldus-Runde wieder in Weyer einlangt...
Wer von belebenden Touren wie der Sebaldus-Runde wieder in Weyer einlangt...
...genießt die beschauliche Ruhe am historischen Hauptplatz des Orts.
...genießt die beschauliche Ruhe am historischen Hauptplatz des Orts.

Und dann ist er da, der Höhepunkt in jeder Hinsicht: die Basilika Sonntagberg. Ein prachtvoller Bau, seit seinen Anfängen mit dem Pilgertum verbunden. Richtig in Gang gekommen sei dies Anfang des 15. Jahrhunderts, sagt Franz Hörmann, Superior und Pfarrer am Sonntagberg. Pater Franz, wie ihn die Leute nennen, hat zu seinem prächtigen Gotteshaus auch viel zu erzählen. Vom Namen, den die Kirche vom lateinischen "mons dominicus" hat, dem Berg des Herrn, dem ja der Sonntag gewidmet ist. Vom "Türkenwunder", bei dem die Betenden verschont wurden, und dem Dreifaltigkeitsbild, das die Wallfahrt ankurbelte, und schließlich dem barocken Neubau im 18. Jahrhundert. Seit 1964 ist Sonntagberg eine Basilika. Sie liegt gleich auf mehreren Pilgerrouten, was Pater Franz freut: "Es gibt viele Arten des Pilgerns, manche Leute gehen sogar mit Eseln." Und neuerdings vermehrt auch mit Drahteseln.

Wer auf den Spuren von Sankt Sebaldus unterwegs ist, sieht ganz unterschiedliche Facetten der Region. Der Namensgeber selbst hat einst, so die Überlieferung, 13 Jahre als Einsiedler auf dem Heiligenstein über Weyer verbracht. Fritz Gröbl kennt sich aus mit dem seltenen Heiligen, der nur in Nürnberg bekannt ist - als Stadtpatron. Ein dänischer Königssohn soll er gewesen sein, der sich bereits in seiner Hochzeitsnacht für ein Leben als Prediger entschlossen hat. Sein Rückweg von Rom habe ihn über Weyer geführt, sagt der langjährige Organist und Chorleiter aus Gaflenz. Er macht auf Anfrage gern Führungen zu der hübschen kleinen Kirche auf ihrer Felsnase, die natürlich auch mit dem Rad erreichbar ist. "Der Zweite Weltkrieg war halt fatal, die Glocken wurden abtransportiert, eine davon hat man im Hamburger Hafen wiedergefunden und zurückgebracht." Schwierige Zeiten, die Sankt Sebaldus alle überdauert hat. Seine Kirche ist vom 1. Mai bis nach Allerheiligen geöffnet, ihr großer Tag ist am 19. August, dem Sebaldus-Tag. Aber nicht nur. "Drei Wochen später gibt's ein Nachfest, weil die Gaflenzer früher immer zu kurz gekommen sind." Gröbl schmunzelt. Zuständig war Sebaldus hierzulande für Vieh, Wetter und - Eheleute. "Daher pilgert man zu ihm zum ,Mann-Beten'." Ob's was nützt? Fritz Gröbls Frau Elfriede lächelt breit: "Meine Mutter ist mit dem Nachbarsbub zum Sebaldus-Fest gegangen und mit meinem Vater wieder nach Hause gekommen." Ein Pfarrer habe Sankt Sebaldus sogar um eine Haushälterin gebeten, weiß Pater Franz und schmunzelt. "Er hat eben den Ruf, Beziehungen herzustellen."

Vielleicht geht ja auch das Nahverhältnis der Radpilger zu dieser Region auf das Konto des Heiligen. Also auf zur nächsten Tour. Die hat ihren ersten Halt jedoch bereits nach wenigen Hundert Metern. Am Gaflenzbach in Weyer, kurz vor der Einmündung in die Enns, steht die alte, voll betriebsfähige Katzensteiner Mühle aus dem Jahr 1820, samt Gattersäge und Troadkasten. Gemahlen wird nur mehr zu Schauzwecken. "30 Kilo Korn drei Mal mahlen ergibt acht Kilo feinen Grieß, vier Kilo Mehl und zwölf Kilo groben Grieß", sagt Hannes Kefer, nach eigenen Angaben "der Wirt da" und Betreuer des Getränkeschranks. Mahlen mache durstig. Er lacht.

Wasser und Holz sind das Aushängeschild der Region. Und das Motto der Brunnbachrunde. Es geht bergan, bergab, am Wegrand leuchten bunte Farne und Zyklamen. Und schon ist die Enns erreicht, sie kommt aus den Kalkalpen und legt ein Jadeband um die bewaldeten Felskuppen. Schafe grasen und blicken leicht skeptisch auf die Behelmten, grasen dann weiter, Kaffeepause in Großraming. Weiter geht es auf einer gut befahrbaren Forststraße, einst eine Bahntrasse, immer wieder öffnet sich daher ein runder Felsschlund, um die Radfahrer freundlich zu verschlucken und im hellen Waldlicht wieder auszuspucken. Zielpunkt am Ende der Klamm: die große Klaushütte, ein historisches Zeugnis der Holzfällerei und Flößerei - und Treffpunkt für Liebhaber des legendären Topfenstrudels von Hüttenwirtin Karoline Kopf.

Beschaulich und doch voller Kulturschätze: Weyer.
Beschaulich und doch voller Kulturschätze: Weyer.
Flötenbauer Helge Stiegler
Flötenbauer Helge Stiegler
Die Klaushütte ist Labstelle und Zielpunkt der Brunnbachrunde.
Die Klaushütte ist Labstelle und Zielpunkt der Brunnbachrunde.
Brunnbachrunde
Brunnbachrunde

Ein märchenhaft verträumtes Platzerl, an dem neben Vogelstimmen zuweilen ungewöhnliche Töne erklingen. Johann, der Wirt, spielt Tuba. Und hat die Musikalität gleich weitergegeben: Alle seine fünf Kinder sind Sängerknaben in Stift Florian. Er sei recht froh, meint Johann Kopf, dass regionale Projekte wie Staumauern und Kanonen-Übungsplätze verhindert worden sind.

Auch Helge Stiegler weiß die beschauliche Ruhe zu schätzen. Er ist seiner Frau Lisi nach Weyer gefolgt, die hier aus der Milch ihrer 40 Schafe hervorragenden Käse macht. Er selbst hat sich eher dem akustischen Genuss verschrieben - seit 1976 ist er Blockflötenbaumeister. Obwohl: Die Meisterprüfung habe ihm damals der Landeshauptmann per Dispens erlassen. Es gab ja den Beruf Blockflötenbauer nicht mehr. Mit 23 erhielt er seine erste Lehrstelle an der Hochschule, hat Noten aus Museen gesammelt und begonnen, alte Instrumente nachzubauen. 42 Jahre lang war er Uni-Professor, pendelte am Wochenende aus Wien nach Weyer. Den unüblichen Vornamen hat er übrigens der Opernliebe seiner Mutter zu verdanken, die für den dänischen Tenor Helge Rosvaenge geschwärmt hatte. Bei seiner Taufe gab es auch prompt Streit, dann einigte man sich auf Helge Michael.

Sein Atelier ist ebenfalls Ziel von so manchem Pilger. "Ich baue Flöten für Musiker in Europa, in Australien und auch in Amerika." Sein persönlicher Liebling ist die Altflöte mit ihrem samten-fülligen Ton. Getourt ist er mit dem Organisten Martin Haselböck und auch mit Ensembles wie Les Menestrels. Ab und zu gibt er immer noch Konzerte. Und kümmert sich auch um den Käseverkauf. Vor 35 Jahren hat er in Weyer einen Raum gemietet, die Vereinsmitglieder haben einen Schlüssel, liefern drei Mal pro Woche ihre Produkte - Stichwort Nahversorgung. "Wir wollen uns so benehmen, dass die Natur bewahrt bleibt."

Man trifft sich in Weyer beim Frühstück in Alexandra Pichlers Café Sweet Wonderland, beim Einkaufen im Marktladen Großmann oder im Gasthaus Berger zu Wirtshausküche à la bonheur. Kulturveranstaltungen werden besprochen, Radtouren und Treffpunkte vereinbart, Ideen gewälzt. Projekte gebe es nach wie vor, sagt Rudi Grogger. Etwa die Erweiterung der Sebaldus-Touren in Richtung niederösterreichische und steirische Eisenwurzen. "Diese Gebiete streben gemeinsam das Unesco-Weltkulturerbe an." Sankt Sebaldus wird's schon richten.

SEBALDUS-TOUR INFORMATION

Radpilgern:
Sieben Runden sind es, die von Weyer und Gaflenz ausgehend sternförmig in die einzigartige Natur der Nationalpark-Kalkalpen-Region, in die OÖ/NÖ Eisenwurzen und die malerische Landschaft des angrenzenden Mostviertels führen. Und so geht's: Karte anfordern oder QR-Code einscannen, GPS-Daten runterladen und auf Komoot raufladen bzw. direkte Links anklicken zu outdoor active oder bergfex.
www.sebaldustour.at
www.kalkalpen.at, eisenwurzen.com

Schlafen & Essen:
Gästehaus Grogger, idyllisches Haus direkt an der Promenade, geschmackvoll eingerichtete, weitläufige Zimmer, herzliche Gastgeber, Rat und Tipps zu den Sebaldus-Runden und zur Region, www.apartment-weyer.at
Gasthaus Berger, feinste Wirtshausküche aus frischen, regionalen Zutaten, Biomost und Biere aus Privatbrauereien, bemerkenswerte Weinkarte, schöne, heimelige, holzgetäfelte Gaststube, herzlicher Service, www.binbanberger.at
Feine Jause kaufen: Hoamatgfü, regionaler Selbstbedienungsladen, in Gaflenz, www.hoamatgfue.at