SN.AT / Leben

Gemeinsam wohnen, gemeinsam leben

Vier Familien haben in der Glockmühle ein neues Zuhause gefunden. Das Haus ist in vier Wohnungen eingeteilt - doch mit reichlich Raum für Gemeinschaft. Das Projekt birgt viele Herausforderungen.

Freuen sich, dass sie gemeinsam ein Zuhause gefunden und aufgebaut haben: die vier Familien, die in der Glockmühle in Salzburg-Gnigl leben.
Freuen sich, dass sie gemeinsam ein Zuhause gefunden und aufgebaut haben: die vier Familien, die in der Glockmühle in Salzburg-Gnigl leben.

Es ist Dezember im Jahr 2018, als sich drei junge Salzburger Paare einig werden: Sie möchten gemeinsam ein Haus kaufen. Vier von ihnen wohnen bereits zusammen in einer WG, stehen in einer engen Freundschaft zu den weiteren beiden. Sie alle eint der Glaube an das Gemeinschaftliche, Soziale. Statt klassisch mit der Familiengründung auseinanderzugehen, wollen sie das Fundament dafür schaffen, auch mit Familien noch beieinander zu sein. "Wir haben damals gemeinsam ein großes Plakat gestaltet, auf dem wir formuliert haben, was wir uns für ein gemeinschaftliches Haus wünschen würden", erzählt Mirjam Leitner. Die 31-jährige Musikpädagogin ist eine der sechs.

Wie alles begann

"Im Februar 2019 haben wir dann im Internet ein Inserat von der Glockmühle im Salzburger Stadtteil Gnigl gesehen", erinnert sich Leitner. Kurzerhand besichtigen die sechs die alte Mühle - und sind allesamt spontan hellauf begeistert. "Wir wollten ein Haus, das schon da steht, weil wir keine Grünfläche bebauen wollten. Uns war außerdem klar: Wir brauchen viel Platz." Platz bietet die Mühle - und zusätzlich ihren historischen Charme. 1415 fand die Glockmühle ihre erste urkundliche Erwähnung. Fasziniert beschäftigen sich die sechs mit der Geschichte des altehrwürdigen Gebäudes. "In den Urkunden wird von Eiern, Hühnern und Äpfeln berichtet, die man dem Bischof als Abgabe zahlen musste. Auch gab es bereits zwei Brände. Trotzdem ist der Großteil des Hauses so erhalten wie eh und je."

"Wir hatten das Gefühl, Pionierarbeit zu leisten, und sind gerne bereit, alle, die Ähnliches vorhaben, zu beraten."
Mirjam Leitner
Glockmühl-Bewohnerin

Ziemlich schnell ist Leitner und ihren Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern klar: Die Glockmühle ist es! Es beginnen spannende und strapaziöse Monate für die jungen Menschen. "Es ging einerseits um die Finanzierung über Bank und Co. und andererseits darum, ob wir es schaffen, dieses Haus in vier Wohnungen zu teilen. Wir hatten ja erst an drei gedacht, aber dafür war es zu viel Platz, also haben wir damals schon beschlossen, dass wir noch eine vierte Partei mit ins Boot holen wollen", berichtet Anita Bernitz. Die 35-jährige Illustratorin ist ebenfalls von Anfang an mit Enthusiasmus dabei. Notar, Rechtsanwalt, Architektin, Sachverständige der Stadt Salzburg, Banken - es ist geradezu ein Marathon, der vor dem Kauf der Mühle passieren muss. Der Zeitdruck ist groß - und die Sorge, dass ihnen jemand anderes die schöne Mühle vor der Nase wegschnappt. "Es ist ja auch gar nicht ohne, mit so vielen Menschen gemeinsam einen Kredit aufzunehmen. Es waren extrem viele Schritte nötig, um das in trockene und sichere Tücher zu bringen. Ich kann mich erinnern, dass wir kaum geschlafen haben, wir haben so viel überlegt und miteinander gesprochen und geplant, es war wahnsinnig viel."

Wahre Pionierarbeit

Erst finden die drei Paare eine Bank, die ihnen den Kauf der Wohnung ermöglicht - diese springt jedoch wieder ab. Ein Fiasko: Der Notarvertrag ist bereits unterschrieben! "Wir sind von Bank zu Bank gelaufen, uns wurde schon mit einer Kaufrückabwicklung gedroht. Und dann haben wir Gott sei Dank eine Bank gefunden, die uns den Kredit gegeben hat", berichtet Leitner. Dabei seien sie keineswegs blauäugig in die Sache hineinmarschiert: "Wir haben alles sehr genau durchdacht, was wir machen, wenn jemand sich trennt, aussteigen möchte oder gar stirbt oder wenn wir uns nicht mehr verstehen. All das haben wir realistisch durchgespielt und uns Lösungen für jeden Fall überlegt. So haben wir für uns Sicherheit geschaffen." Es habe sich wie wahre Pionierarbeit angefühlt, "wir haben gemerkt, dass das, was wir machen, so nicht üblich ist".

Von der klassischen WG zu eigenständigen Wohnungen

Im Sommer 2019 ist es schließlich so weit: Die sechs ziehen in die Glockmühle ein. Zunächst leben sie dort in einer klassischen WG mit einer gemeinsamen Küche und einem gemeinsamen Badezimmer. Zusammen arbeiten sie daran, wie sie das Haus umbauen möchten, ziehen dafür verschiedene Architektinnen und Architekten zurate. Die langjährige Geschichte, auf die das Gebäude zurückblickt, und das damit verbundene Erhaltungsgebot machen es nicht einfacher, die Bewilligungen für den Umbau einzuholen. Es braucht zwei neue zu den beiden bestehenden Eingängen, zwei Stiegenhäuser, vergrößerte Fenster, durchbrochene und neu eingezogene Wände, neue Badezimmer und Anschlüsse für Wasser und Kochen. Arbeiten, um aus einem Haus vier Wohnungen mit einer Fläche von je 90 bis 150 Quadratmetern zu gestalten. Zusätzlich planen die sechs Gemeinschaftsflächen: eine Werkstatt, einen Raum für Treffen, einen Keller, einen Garten. "Der Gedanke der Gemeinschaftlichkeit steht im Vordergrund", sagt Bernitz.

Gemeinsame Werte zählen

Schließlich bekommen die sechs die Bewilligung für die Umbauten. Neben den engagierten Firmen arbeiten sie alle selbst tatkräftig mit. "Einerseits wollten wir selbst am Schaffensprozess beteiligt sein, andererseits wollten wir den Bau dadurch natürlich beschleunigen und uns Kosten sparen." Zirka 40 Stunden habe jeder pro Woche zu den Höchstzeiten des Bauens mitgearbeitet, schätzen Leitner und Bernitz - und das zusätzlich zur beruflichen Tätigkeit. Im Sommer 2021 ist es so weit, der Bau ist gut vorangeschritten und die drei Paare suchen eine vierte Partei. Das Interesse ist groß. Die Wahl fällt schließlich auf eine Familie mit zwei kleinen Kindern, die im Jänner 2022 einzieht.

Acht Erwachsene, drei Kinder und ein Teenager leben nun in der Glockmühle. Bernitz, Leitner und Co. sind froh, dass sie die großen Mühen auf sich genommen haben, erzählen sie. "Wir können hier nach unseren gemeinsamen Werten leben. Wir unterstützen uns gegenseitig, sind füreinander da, teilen uns vieles, verbringen und gestalten unser Leben miteinander", sagt Bernitz. Zu den Werten der Wohngemeinschaft gehört auch das Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit, umgesetzt unter anderem durch ökologische Baustoffe, Carsharing und eine Photovoltaikanlage. "Wir freuen uns, dass wir ein altes Haus wiederbeleben, statt ein neues zu bauen, und dass wir in Salzburg leben, wo wir alle arbeiten. So brauchen wir das Auto viel seltener." Ihre Erfahrungen und Tipps möchten die vier Paare gerne an Interessierte weitergeben. "Wir können diese Form des Zusammenlebens empfehlen."