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Emotionale Kompetenz im Job fördern: Ursachen und Lösungen für destruktives Verhalten

Wutausbrüche, Verantwortungsverweigerung, Destruktion: Emotional inkompetentes Verhalten wird in Unternehmen häufig verdrängt. Was dagegen hilft.

Kindergarten Arbeitsplatz.
Kindergarten Arbeitsplatz.

Vorgesetzte ziehen sich bei Konflikten im Team aus der Affäre? Ihre Kolleginnen und Kollegen reagieren rasch aufbrausend auf Kritik? Dann haben Sie es womöglich mit emotional inkompetentem Verhalten zu tun. Organisationsentwickler Armin Ziesemer erklärt, wie man solchen Verhaltensmustern am Arbeitsplatz begegnet.

Warum wird emotional inkompetentes Verhalten in Unternehmen geduldet? Armin Ziesemer: Zum einen ist man es aus einem über Jahrzehnte gewachsenen Hierarchieverständnis heraus gewohnt. Es ist beinahe normal. Wenn sich Angestellte ohne Sanktionen destruktiv verhalten dürfen, wird dieses Gebaren von oberster Führungsebene stillschweigend legitimiert. Mitunter pflegen wir heute noch menschenunwürdige Führungsverständnisse, die aus der frühen Industrialisierung stammen. Das Zweite ist die Unternehmenskultur: Welche Tradition hat Führung im Unternehmen? Wann erlauben sich Mitarbeitende zu sagen: "Stopp, ich dulde nicht, wie du mit mir umgehst"?

Stichwort "Stopp sagen": Inwiefern lässt sich das in stark hierarchischen Systemen überhaupt umsetzen? In der Arbeitswelt gibt es aktuell widersprüchliche Bedürfnisse: Auf der einen Seite ist da das Bedürfnis von Führungskräften, sich in ihrer hierarchischen Rolle zu ermächtigen. Auf der anderen Seite haben wir den Ruf nach mehr Selbstwirksamkeit. Mitarbeitenden wird oft viel zu wenig zugetraut. Wir dürfen aber allen zugestehen, dass sie erwachsene Menschen sind und in ihrem Verantwortungsbereich kompetent entscheiden können. Führungskräfte müssen dieses Menschenbild lernen und Mitarbeitende müssen Experimentierräume haben und Sicherheit erfahren, wenn sie Probleme ansprechen. Ich empfehle daher, in Führungsbeziehungen zu klären, wie Entscheidungsräume und Grenzen vereinbart werden. Wie kann ich selbstorganisiert entscheiden? Wie gestalten wir eine sichere Basis? Das müssen alle lernen.

"Junge Talente werden kompromissloser."
Armin Ziesemer
Organisations- und Führungskräfteentwickler

Welche Auswirkungen hat es, wenn destruktives Verhalten nicht angesprochen wird?
Als Erstes sehe ich, dass sich das Arbeitsklima, die Atmosphäre, verschlechtert. Ein belastendes Verhalten aushalten zu müssen macht mit jedem gesunden, berührbaren Menschen etwas. Mit der Zeit steigen die Fehlzeiten an. Mitarbeitende entziehen sich dem Beziehungsstress und flüchten sich in die Krankheit. Schließlich erfolgen Kündigungen, bei denen die Schuld oft den Kündigenden zugeschoben wird, um nicht hinschauen zu müssen. Es gibt Konzernstudien, die zeigen, dass versetzte Führungskräfte die Fehlzeiten aus ihren Teams mitnehmen. Ich stelle fest, dass insbesondere engagierte junge Talente kompromissloser geworden sind - und solche Positionen zum Glück rasch wechseln.

Gibt es Branchen, in denen emotional inkompetentes Verhalten sogar karrierefördernd ist? Das kann man so nicht sagen. Diese Muster durchziehen alle Branchen. Mit dem aktuell steigenden wirtschaftlichen Druck nimmt Stressverhalten weiter zu: Wir werden anfälliger für destruktive Kommunikation und Beziehungsgestaltung. Menschen vergessen ihre Konfliktlösungskompetenzen und den Respekt. Insbesondere steile, pyramidale Strukturen, die Rollen viel Macht verleihen, sind anfällig für Führen durch Angst und fördern solche Profile nach wie vor.

Welche Rolle haben Sie hier als Organisationsentwickler? Hinter Konflikten stehen oft eine Not und konkurrenzierende Bedürfnisse. Ich begleite Menschen und Teams dabei, den Umständen auf den Grund zu gehen. Üblicherweise führe ich zunächst Einzelgespräche, um die vielfältigen Bedürfnisse in einem vertrauensvollen Dialog zu erheben. Daraus leite ich geeignete Workshops und Trainings ab. Der Weg ist, aus einem "Kindergarten" ein erwachsenes, würdevolles und leistungsfähiges Beziehungsnetz zu entwickeln, das emotional kompetent und kollektiv intelligent wirkungsvoll zusammenarbeitet.

Wann ist ein Punkt erreicht, ab dem sich Konflikte nicht mehr teamintern lösen lassen? Der Salzburger Konfliktforscher Friedrich Glasl hat die neunstufige Treppe der Eskalationsstufen formuliert. Sobald jemand Sorge um sein Image bekommt, Verbündete und Unterstützerinnen sucht, zählt nicht mehr der Mensch im Konflikt. Es zählt das Gewinnen oder Verlieren allein. Hier können Teams erfahrungsgemäß ein konstruktives Verhalten nur noch mit externer Begleitung neu erarbeiten und verzeihen lernen.

Wie kann nun ein erwachsener, emotional kompetenter Umgang gestaltet werden? In Unternehmen geht es nach wie vor mehr um Strukturen und Prozesse als um emotionale Kompetenz. Hier benötigen Führungskräfte wie Mitarbeitende zunächst Einsicht, dass Handlungsbedarf besteht. Leider geht das oft über steigenden Leidensdruck. Das Gute ist, emotionale Kompetenz kann erlernt werden. Ich sehe immer wieder, wie Teams plötzlich die dazugewonnene Effizienz aus gelingenden Arbeitsbeziehungen als entlastend erfahren. Grundsätzlich gilt: Je früher ein untaugliches Verhalten mutig angesprochen wird, desto heilsamer ist das für das System.