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Studierendensozialerhebung des IHS: Studieren ist in Österreich eine Frage des Zugangs

Ob jemand in Österreich zu studieren beginnt, hat viel mit dem Elternhaus zu tun. Ob er oder sie es erfolgreich abschließt, unter anderem mit dem Alter bei Studienbeginn. Diese und zahlreiche weitere Erkenntnisse zum Studieren in Österreich liefert eine aktuelle Auswertung der Studierendensozialerhebung 2023 des Instituts für Höhere Studien (IHS). Für Bildungsforscher Martin Unger sind viele Erkenntnisse nicht überraschend - aber im Detail spannend.

Eine umfassende Studie des Instituts für Höhere Studien beleuchtet die vielfältigen Faktoren, die den Studienbeginn und -erfolg in Österreich beeinflussen.
Eine umfassende Studie des Instituts für Höhere Studien beleuchtet die vielfältigen Faktoren, die den Studienbeginn und -erfolg in Österreich beeinflussen.

Die aktuelle Auswertung der Studierendensozialerhebung des IHS zeigt ein vielschichtiges Bild, wenn es um Studienzugänge und -verläufe in Österreich geht. Das zeigen unter anderem die folgenden vier ausgewerteten Aspekte:

1. Studienzugang
Mehr als die Hälfte der Studierenden in Österreich stammt aus nicht akademischen Familien. Der Anteil der sogenannten "First Generation"-Studierenden liegt an Universitäten bei 52 Prozent und an Fachhochschulen bzw. Hochschulen für angewandte Wissenschaften, wie diese nun auch heißen dürfen, bei 65 Prozent.

2. Erwerbstätigkeit während des Studiums
Die Erwerbstätigkeit der Studierenden ist gestiegen. Im Sommersemester 2023 arbeiteten bereits 69 Prozent der Studierenden. Die durchschnittliche Arbeitszeit liegt bei 21 Stunden pro Woche, was laut Erhebung den Studienaufwand negativ beeinflusst, besonders wenn mehr als neun Stunden pro Woche gearbeitet wird.

3. Gründe für Erwerbstätigkeit
Die Mehrheit der Studierenden arbeitet, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, 55 Prozent haben hierbei bewusst einen Job, der inhaltlich mit ihrem Studium verbunden ist. Kritiker, wie die Österreichische Hochschüler_innenschaft und die Arbeiterkammer, fordern Maßnahmen wie eine Erhöhung der Studienbeihilfen und Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Studium und Arbeit.

4. Geschlecht und Herkunft
Frauen stellen mit 56 Prozent die Mehrheit der Studierenden, besonders in den Bereichen Bildungswissenschaften, Gesundheit und Pharmazie. Der Anteil an Studierenden mit Migrationshintergrund liegt bei zehn Prozent. Zudem gibt es eine Zunahme an Studierenden, die nach der traditionellen Matura ins Studium gehen, während 23 Prozent einen verzögerten Studienbeginn haben.

Überraschende Details hinter den Ergebnissen

Für den IHS-Bildungsforscher Martin Unger sind diese Ergebnisse weniger überraschend als so manches Detail dahinter. "Für uns ist beispielsweise nicht überraschend, dass HTL-Absolventinnen und -Absolventen in technischen Fächern höhere Erfolgsquoten haben, auch wenn oft behauptet wird, das sei auch bei AHS-Absolvent:innen so. Interessanter sind schon Aspekte wie steigende Abbruchquoten auch bei berufsbegleitenden FH-Studien in technischen Fächern - wahrscheinlich durch sogenannte Job-outs. Oder die Übertritte, was die Sektoren betrifft: In absoluten Zahlen gehen etwas mehr Studierende nach dem FH-Bachelor an die Uni als umgekehrt - das liegt eventuell an deren immer noch starker Orientierung in Wirtschaft und Technik."

Generell würde die Betrachtung von Verläufen aber immer etwas darunter leiden, dass ein langer Zeitraum betrachtet werden müsse und in der Zwischenzeit bildungs- und weltpolitische Dinge zu Veränderungen führen könnten. So ist die aktuelle Betrachtung eine der Anfängerkohorten von 2016/17.

Bildungsvererbung in Österreich muss differenziert betrachtet werden

Ein viel diskutierter Aspekt ist auch jener der Bildungsvererbung in Österreich, die zum Beispiel im OECD-Vergleich hoch ist. Das müsse man differenziert betrachten, sagt Martin Unger: "Ein wichtiger Faktor ist die Lehre in Österreich. Die Elterngeneration hat im geringeren Ausmaß studiert, weil sie vielfach noch das stärkere System war, und auch eine gute Karrierevoraussetzung. Andere Bildungssysteme haben seit jeher mehr Kohorten in der Schule, weil es keine Berufsausbildung in dieser Form gibt. Dort gehen dann auch mehr Leute auf die Uni und erhalten diese teils dort." Weiters seien zum Beispiel die letzten beiden Jahre der berufsbildenden höheren Schulen (BHS) in der internationalen Klassifikation akademische Ausbildungen, was in Österreich wiederum zu einem hohen Anteil an MINT-Studierenden in der Statistik führt. Allein diese beiden Faktoren machten die Systeme schwer vergleichbar, sagt der Bildungsforscher.

"Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Studium anfängt, hängt stark vom Elternhaus ab. [...] Wenn jemand mal ,drinnen‘ ist, gibt es danach aber kaum mehr Unterschiede"
Martin Unger
Institut für Höhere Studien

Wahr sei aber dennoch: "Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Studium anfängt, hängt stark vom Elternhaus ab." Hier sei "ein Riesenthema", dass viele Eltern, vor allem jene ohne Erstsprache Deutsch, die Komplexität des Bildungssystems nicht über- und durchblickten. Dazu kämen örtlich verschiedene Hochschul- und Schulangebote. "Eine AHS gibt es praktisch überall, bei den BHS kommt es aber schon darauf an, wo man wohnt. Nur große Städte haben alles."

Größte Hürde beim Thema Hochschule ist der Zugang

Daran anknüpfend sei evident, dass die größte Hürde beim Thema Hochschule der Zugang sei. "Wenn jemand mal drinnen ist, gibt es danach kaum mehr Unterschiede." Das sehe man zum Beispiel beim Medizinstudium. Aufgrund der Aufnahmetests gebe es weniger Anfänger aus bildungsfernen Schichten. Auch das Alter bei Studienbeginn sei wichtig. "Ältere Beginner tun sich schwerer mit dem erfolgreichen Abschluss", betont Unger. Ebenfalls nicht leicht sei es statistisch gesehen auch für Menschen mit Berufsreifeprüfung. Die Lebensumstände seien oft zu schwierig, um hier erfolgreich zu sein.

Dennoch sei die Durchlässigkeit im Bildungssystem in Österreich faktisch gegeben, sagt der Bildungsforscher. Studien hätten das bereits seit den 1990er-Jahren gezeigt. "Der Unterschied ist: Früher wurden sie kaum genutzt, heute passiert das häufiger."

Wo sollte man nun bildungspolitisch ansetzen?

Unger: "Als Erstes gibt es da Punkte, wo zu viel Wirbel gemacht wird - zum Beispiel die Studiendauer. Ja, sieben Jahre Bachelor sind schon zu lang, und da gibt es Potenziale. Aber: Viele Studierende bauen sich quasi selbst duale Ausbildungen mit Praxis neben dem Studium. Die Mehrheit arbeitet einschlägig im Umfeld des Studiums (siehe Punkt 3 am Artikelbeginn, Anm.). Im Vergleich etwa zu Südeuropa ist die Arbeitslosigkeit von Jungakademiker:innen unter anderem in Folge dessen relativ gering. Parallel studieren und arbeiten, das gefällt auch vielen Arbeitgebern. Ein Problem ist lediglich der ,Kipppunkt', wenn man zu sehr im Arbeitsmarkt ist, es einen Drop-out oder sehr lange Studienzeiten gibt - das muss vermieden werden." Eine Lösung dafür seien etwa mehr berufsbegleitende Studien auch an Universitäten, nicht nur an Fachhochschulen. Unger könnte sich dies vor allem in "großen" Fächern wie Rechtswissenschaft oder BWL vorstellen.

Generell gelte es, Bildungskarrieren noch differenzierter zu betrachten, nach Studienfeldern und Studien, und die Einflussfaktoren auf den Studienerfolg wie Vorbildung, Herkunft oder Alter noch genauer zu analysieren. Ziel solle es sein, daraus vermehrt auch Rückschlüsse für Reformen im Schulsystem zu ermöglichen.