Wahrscheinlich ist es zuerst einmal der Begriff, der verwirrt. Natural Wine, Naturwein oder Vin Naturel. Was soll an Wein, der aus Trauben hergestellt ist, nicht natürlich sein? Deshalb ist es wichtig, die Einflussnahme des Menschen einzuordnen. Er kultiviert Reben, pflegt sie und erntet die Früchte. Im Keller lenkt er alles in die richtige Bahn. Ohne diese Maßnahmen würden die Pflanzen wild wuchern, Traubenkerne maximal für die Weitervermehrung der Pflanze sorgen. Überließe man die reifen Früchte sich selbst, würde durch im Weingarten vorhandene Hefen Zucker in Alkohol umgewandelt. Mittels Arbeit der Mikroorganismen entstände aber in der Folge doch nur Essig. Dasselbe gilt, wenn die Trauben geerntet, gepresst, aber im Keller völlig sich selbst überlassen bleiben. Wein ist also immer ein Kulturprodukt und Ausdruck sowohl der Herkunft als auch des Winzers.
Natural Wine als spannende Alternative
Vor Jahren begann es in der Weinszene zu rumoren. Winzer machten sich auf die Suche nach einem Plan B abseits des Mainstreams. Diskussionen waren programmiert.

"Die Arbeit in Neuseeland hat mich wachgerüttelt."
Allerdings wurden die Möglichkeiten menschlicher Einwirkung beim Weinbau während der letzten rund 50 Jahre vielfach ad absurdum geführt. Die Folge: aufgrund Überoptimierung völlig seelen- und charakterlos gewordene Weine. Eine Gegenbewegung dazu formierte sich bereits in den Anfängen der stärker werdenden Industrialisierung der Weinwelt. Ihr Ausgangspunkt war Frankreich. Dort taten sich in den 1980ern Winzer wie Jules Chauvet und Jacques Néauport zusammen, um auszuprobieren, wie man Wein ohne Zusätze, vor allem ohne Schwefel, herstellen könne. Seitdem hat sich die Naturweinbewegung über viele Länder ausgebreitet.

Der einzig problematische Aspekt: Vor Jahren waren nicht wenige dieser Weine von Fehltönen geprägt. Stichwort starke Oxidation oder flüchtige Säure, um nur zwei zu nennen. Wer je Derartiges probiert hat, wird sich schwer überreden lassen, Naturwein anzuerkennen. Mittlerweile haben die Winzer viel mehr Erfahrung. Fehlerhaftes tritt kaum mehr auf. Probieren lohnt sich also, denn die Weine sind aufgrund ihrer geringen Manipulation besonders bekömmlich und authentisch.
Lange Liste
Katrin Lautner steht mit ihrem kleinen Weingut im Mittelburgenland für Naturwein. Die Liebe zum Thema Wein wurde ihr nicht direkt in die Wiege gelegt, hat aber doch familiäre Wurzeln. "Beruflich waren meine Eltern nicht damit befasst. Es gab aber immer guten Wein bei uns am Tisch", erzählt die Winzerin. Nach der Schule war Lautner unsicher, was sie studieren sollte. Sie ging an die Universität für Bodenkultur, wählte den Zweig Weinbau, Önologie und Weinwirtschaft. Ihre erste Arbeitsstelle führte dann in einen Großbetrieb mit 300 Hektar Fläche nach Neuseeland. "Die Zeit dort hat meinen Blick geschärft. Während der Ernte fuhren zwei Lesemaschinen quasi rund um die Uhr. Ich war eigentlich nur damit beschäftigt, Reinzuchthefen und andere Zusätze anzurühren, damit die Weine während der Gärung ihre als neuseeländisch bekannte Aromatik bekommen und sauber waren. Die Erfahrung, wie man Wein durch Zusatzstoffe überoptimieren kann, hat mich wachgerüttelt." Übrigens: Auch in Österreich sind 42 Hilfsmittel (in zahlreichen Varianten) zugelassen. Neben Reinzuchthefe oder Gelatine zählen auch etwa Gummiarabikum oder Tannine dazu. Die Liste dieser Additive ist auf der Homepage des Bundesamts für Weinbau nachzulesen und ganze 76 Seiten lang.
Frau mit Vision
"Als ich wieder daheim war, hat mich das Glück ins Weingut von Markus Altenburger nach Jois geführt. Er hatte eine freie Praktikumsstelle. Am Ende bin ich fünf Jahre geblieben und habe unglaublich viel gelernt", erzählt die Winzerin. Inklusive der spannenden Entwicklung des Weinguts - weg vom Einsatz neuer Holzfässer, die die Aromatik der Weine zu stark prägen, hin zu mehr Eleganz und Finesse. Verbunden mit "Low Intervention", was bedeutet, bei der Entstehung von Wein so wenig wie möglich zu intervenieren.

Vor drei Jahren kelterte Lautner dann ihre erste eigene Weinserie. Sie konnte einen kleinen Betrieb in Haschendorf bei Neckenmarkt, der bereits biologisch bewirtschaftet wurde, pachten. Das Portfolio umfasst vier Weine, die sie nach wilden Blumen, wie Wiesenmargerite oder Knopfblume, benennt. Selbstredend sind die Weine leicht, elegant, spannungsvoll, eigenständig und naturtrüb. Seit 2023 arbeitet die Winzerin drei Tage die Woche bei Franz Weninger in Neckenmarkt mit. Er gilt hierzulande als einer der Wegbereiter für einen klaren, erdverbundenen und unangepassten Weinstil. Lautner: "Eine weitere wichtige Station. In den nächsten Jahren will ich mich dann ganz auf mein eigenes Weingut konzentrieren. Aber ich lasse mir noch ein wenig Zeit." Der Begriff "Natural" ist übrigens seit Kurzem am Etikett erlaubt und gibt dem Konsumenten Auskunft, dass der Wein biologisch und mit so wenigen Eingriffen wie möglich produziert wurde.
Projektweine
Auch am Weingut Esterházy in Trausdorf bei Eisenstadt tut sich in Sachen Natural Wine seit ein paar Jahren Spannendes. 2019 startete die Serie der Projektweine. Verantwortlich dafür: Weingutleiter Frank Schindler, Kellermeister Robert Krammer und Wolfgang Hewarth, der für den Vertrieb zuständig ist. Bei ihnen bekommt das Wort alternativ eine zusätzliche Dimension. "Low Intervention" ist Voraussetzung, Bio sowieso. Die Projektweinserie entstand ursprünglich, um auszuloten, wie wenig Einfluss es wirklich braucht, um durchaus auch Klassisches herzustellen. Freak-Weine sucht man hier vergeblich. "Wir verwenden unterschiedliche Ausbaubehältnisse. Neben Edelstahl und Holz stehen Amphoren aus Ton, Betoneier und ein Granitfass bei uns im Keller. Ein Wein reift beispielsweise parallel in verschiedenen Materialien. Das ist sehr spannend. Wir haben sehr gute Erfahrung mit den Betoneiern gemacht. Sie lassen optimalen Sauerstoffaustausch zu. Der Wein ist durch die Zirkulation aufgrund des goldenen Schnitts optimal in Bewegung", erzählt der gebürtige Südafrikaner Krammer. Daneben werden auch Rebsorten ausprobiert, die nicht in Österreich heimisch sind. "Der Chenin blanc, den ich aus meiner Heimat Stellenbosch kenne, hat sich als perfekte Antwort auf die geänderten Bedingungen durch den Klimawandel erwiesen", sagt er weiter. Bei Esterházy wird die Erkenntnis aus den Projektweinen mittlerweile auf die gesamte Kollektion übertragen. Das bedeutet "Less is More". Herausragende Traubenqualität vorausgesetzt, denn das ist und bleibt der wichtigste Faktor für ausgezeichneten Wein.