Als ärztliche Leiterin sind neben dem Behandeln auch das Reden und Zuhören wichtige Aufgaben. Ein Luxus in Ihrer Branche? Ja. Doch bei uns kommen und gehen die Leute nicht im Minutentakt. Unser Konzept ist, dass unsere Besucherinnen und Besucher ein Mal die Woche bei uns sind und an diesem Tag hier alles so managen, dass sie die übrigen sechs Tage der Woche gut daheim verbringen können. Daneben ist es essenziell, dass wir mit ihnen und ihrem Umfeld sprechen. Wenn der Tod näher kommt und wir damit rechnen, dass es bis zum Sterben nur noch ein paar Wochen dauert, berufen wir gerne Familienkonferenzen ein. Wir holen die An- und Zugehörigen zu uns und reden miteinander. Wenn ein Mensch zu Hause sterben möchte, braucht das Mut, für ihn und alle rundherum. Auch hier bieten wir Begleitung bis zum Schluss an.
Wie gelingt es Ihnen, sich bei solchen Gesprächen nicht zu sehr emotional mitreißen zu lassen? Je länger ich in dieser Arbeit bin, desto stärker merke ich, dass ich gut mit mir selber umgehen muss. Manches geht mir nahe. Dann sind meine Kolleginnen da und übernehmen. Ohne Austausch im Ärzte- und Pflegeteam ginge es sowieso nicht. Für mich kommt es letztlich darauf an, wie jemand stirbt. Mir ist wichtig, dass ich meinen Teil dazu beitragen kann, dass letzte Wege gut gegangen werden können. Die gesamte Hospizbewegung hat die Aufgabe, Menschen in dieser schwierigen Lage so gut zu begleiten, dass sie in Frieden und ohne Schmerzen sterben können. Was könnte es für uns Besseres geben als Hinterbliebene, die später sagen: "Es war eine schwere Zeit und es war eine gute Zeit."
Brauchen Sie für Ihre Arbeit ein gutes Kommunikationstraining - oder vielmehr Erfahrung? Im Tageshospiz arbeiten wir keine Kommunikations-Werkzeuge ab. Wenn wir im Gespräch sind, muss ich authentisch im Hier und Jetzt sein, damit mein Gegenüber merkt, dass ein Mensch zu einem Menschen spricht. Was ich vermitteln will? Dass ich mir Zeit nehme und mir alle Besucherinnen und Besucher wichtig sind. Mein ganzes Können als erfahrene Palliativmedizinerin setze ich dafür ein, damit es ihnen gut geht. Sie sollen merken, dass wir Interesse an ihnen haben - jenseits der medizinischen Daten, die wir natürlich auch brauchen.
Ob bei Gesprächen mit Betroffenen oder ihrem Umfeld, warum sind klare Worte so wichtig? Weil ich will, dass Menschen mit einem Päckchen Hoffnung in ihre letzten Wochen gehen. Sie sollen wissen, dass wir die Zeit gut gestalten werden. Todkranke zu beruhigen ist eine Hauptaufgabe, weil sie Angst vor dem Sterben haben. Ich bin so lange, seit 24 Jahren, im Tageshospiz und kann mich kaum an Menschen erinnern, die es beim Gehen schwer hatten. Den Allermeisten ist es gut gegangen.
Sie als Profi finden gute Worte, um über den Tod zu sprechen. Aber haben wir, hat die Gesellschaft diese Fähigkeit auch? Wenn der Tod weiter weg ist, lässt es sich leichter über ihn sprechen. Ist er nahe, können wir die Situation gut in Worte fassen, die anderen verstummen. Denn wenn es um das Sterben geht, gehen selbst Menschen, die sich nahestehen, sehr unterschiedlich damit um und dieses Geschehen ist für die meisten jenseits von Worten.
Gibt es beim Sprechen übers Sterben überhaupt die richtigen Worte? Manche Menschen brauchen klare Worte, manche Beruhigung. Viel bei mir ist Intuition. Ich habe kein Schema und keine vorgefertigten Sätze. Gespräche entwickeln sich. Und dann höre ich, wie gut es tut, dass ich Worte wie "Tod" und "Sterben" direkt ausspreche, wo beide doch ohnehin schon im Raum stehen.
Und wenn jemand sich so gar nicht an das Thema Sterben herantraut? Bei einem Herrn habe ich lange darauf gewartet, dass er meine Gesprächseinladung annimmt. Sehr lange. Als ich ihn schließlich angesprochen habe, hat er den Raum verlassen. Auch das war in Ordnung.
Gibt es Situationen, in denen es besser ist zu schweigen, als zu reden? Ja, gar nicht so selten ist nichts sagen sogar viel gescheiter. Ich hatte einen Oberarzt, der gern die Floskel "Ah, das wird schon wieder" verwendet hat. Das hat mich geärgert, denn es wird nicht wieder. Manchmal ist das medizinische Repertoire einfach aufgebraucht.
Spürt man den Tod kommen? Ja, das bekomme ich immer wieder mit. Ein etwa zehn Jahre alter todkranker Bub ist erst jeden Tag eine Zeit lang still und regungslos auf einem Sessel in seinem Kinderzimmer gesessen. An dem Tag, an dem er gestorben ist, hat er seinem kleinen Bruder seinen Teddybären gegeben und dem älteren sein Radio. So hat er sich, ohne Worte und Erfahrung im Sterben zu haben, verabschiedet.
Bei all diesen tragischen Erlebnissen: Geht es im Tageshospiz immer nur traurig zu oder wird auch gelacht? Bei uns wird sogar viel gelacht! Als junge Ärztin habe ich nicht verstanden, dass man gleichzeitig traurig und fröhlich sein kann. Doch glauben Sie mir, das geht. Bei einer Besucherin flossen am Vormittag Tränen, am Nachmittag hat sie Reiseprospekte studiert. Für den Fall, dass es mit dem Sterben bei ihr doch nicht so schnell geht. Schließlich wollte sie im noch verbleibenden Leben wirklich nichts versäumen. Und oft geht es mit dem Sterben auch nicht so rasend schnell. Einer Frau konnte ich im Herbst versichern, dass sie ihre Sommerkleider noch brauchen wird.
Menschen wollen ja die Zeit nutzen, die ihnen bleibt. Definitiv. Es ist total spannend … Wenn man über den Tod als Möglichkeit spricht, kommt die Beruhigung mit und manche sagen: "Na ja, ich lebe ja noch, ich kann ja noch dies und jenes unternehmen." Ich finde es gut, die Zeit zu nutzen, die einem gegeben ist. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass man gesund ist und leben darf.
Warum haben Sie sich für die Arbeit als Palliativmedizinerin im Tageshospiz entschieden? Nach meinem Studium bin ich in die Krebsstation gekommen. Mich hat fasziniert, dass Menschen dort ihre Masken abgelegt haben und waren, wie sie eben sind. Sie haben mir Gedanken und Geheimnisse aus ihrem Innersten erzählt. Das hat mich tief berührt. Diesen Kontakt fand ich so schön, weil er Tiefe hatte. Das Sterben kann stimmig sein und würdevoll. Doch traurig ist es immer, wenn jemand sein Leben zu Ende lebt.