Worte für das Unaussprechliche finden und mit dem Tabu Suizid brechen. Dazu rufen anlässlich des bevorstehenden Welttags der psychischen Gesundheit am 10. Oktober Primar Marc Keglevic und Psychotherapeutin Maria Trigler aus dem Kardinal-Schwarzenberg-Klinikum in Schwarzach auf. In dem Spital im Pongau finden Hilfesuchende auch ein niederschwelliges Angebot in der Ambulanz, die in der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie angesiedelt ist.
Schwere psychische Erkrankungen und das Thema Suizid würden innergebirg noch immer stark tabuisiert, sagt Trigler, die im Klinikum den Psychologischen Dienst leitet. "Hier gibt es ein deutliches Stadt-Land-Gefälle, die soziale Kontrolle am Land ist größer." Dieses Gefälle zeigt sich auch in der Statistik. Trigler weist darauf hin, dass die Suizidrate in den südlichen Bezirken Pinzgau, Pongau und Lungau anhaltend hoch ist. "Der Anteil bei Männern ist dabei am höchsten."
Unterschiede bei Suizidrate im Bundesland Salzburg
Die meisten Suizide im Bundesland sind in der Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen zu verzeichnen. Die Landesstatistik ermittelt die Suizidrate durch die Anzahl der Selbsttötungen bezogen auf 100.000 Einwohner. Von 2018 bis 2023 lag die Rate in den südlichen Bezirken im Schnitt um 40 Prozent über dem Wert der nördlicher gelegenen Landesteile - es gab jedoch jährliche Schwankungen. Im Vorjahr betrug die Suizidrate im Pinzgau, Pongau und Lungau 18,2 im Vergleich zu 13 in der Stadt Salzburg, im Flachgau und im Tennengau.
In ganz Österreich nehmen sich jedes Jahr rund 1200 Menschen das Leben. Damit sterben im Schnitt drei Mal so viele Menschen durch Suizid wie im Straßenverkehr. Im Bundesland Salzburg ist das Verhältnis ähnlich: Im Vorjahr starben 84 Menschen durch Selbsttötung, im Vergleich dazu erlagen 27 Menschen ihren bei Verkehrsunfällen erlittenen Verletzungen.
Isolation verstärkt Suizidrisiko
Die Gründe für einen Suizid seien zwar sehr individuell, es werde jedoch deutlich, dass in ländlichen Gebieten die geringere Bevölkerungsdichte zu einer stärkeren sozialen Isolation führen könne, betont Trigler. Das verstärke das Gefühl der Einsamkeit und könne einen Lebensüberdruss begünstigen. Das kulturelle und gesellschaftliche Umfeld mit festgefahrenen Rollenbildern und vorherrschenden Vorurteilen hinsichtlich psychischer Erkrankungen belaste Betroffene oft zusätzlich und senke die Bereitschaft, sich helfen zu lassen. Trigler appelliert, regionale Hilfsangebote anzunehmen, dazu gehört auch die aufsuchende Betreuung zu Hause, die auch im Lungau angeboten wird.
Primar Keglevic, der im Klinikum die Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie leitet, weist auf den Zusammenhang zwischen der Suizidrate und der Versorgungsdichte hin. Je mehr Anlaufstellen psychisch Erkrankte vorfänden, desto weniger Suizide gebe es. Im Lungau fehlt schon lange eine niedergelassene Fachärztin oder ein Facharzt für Psychotherapie.
Auf Hilfe von außen angewiesen
Wer sich mit dem Gedanken trage, nicht mehr leben zu wollen, oder einen Suizidversuch unternehme, befinde sich immer in einer schweren Krise und inneren Not, sagt Keglevic. "Übliche Bewältigungsmöglichkeiten greifen nicht mehr, das führt zu einem seelischen Ungleichgewicht und Ausweglosigkeit. Die Beendigung des Lebens wird dann als Lösung des Problems in Betracht gezogen." Deshalb seien diese Menschen auf Hilfe von außen angewiesen. Das persönliche Umfeld sei ebenso gefragt wie professionelle Betreuung. "Angehörige und Freunde eines Betroffenen können zunächst durch aufmerksames Zuhören, Austauschen und die Vermittlung von Hoffnung weiterhelfen." Verdichtet sich jedoch der Eindruck, dass jemand Anzeichen einer Selbstgefährdung zeigt, seien diese unbedingt ernst zu nehmen und weitere Schritte, wie etwa die Kontaktaufnahme zu professionellen Unterstützungsangeboten, einzuleiten.
Generell ist es laut Trigler wichtig, über psychische Gesundheit und Hilfen flächendeckend zu informieren und alte Mythen über psychische Erkrankungen zu durchbrechen. "Das funktioniert, indem man früh schon im Kindes- und Jugendalter altersgerecht über die Themen wie psychische Gesundheit informiert und so eine Achtsamkeit für sich selbst und für andere trainiert." Trigler hat zuletzt bei dem von Avos begleiteten Präventionsprojekt "lebenswert" in Salzburger Schulen mitgewirkt. Kernstück ist, dass Schülerinnen und Schüler Warnsignale für Suizidgefährdung bei sich und Mitschülern erkennen und lernen, wie sie mit diesen Signalen umgehen. Auch Eltern und Lehrkräfte werden geschult. Das aktuelle Projekt läuft noch bis Jahresende. Seit 2022 nahmen neun Schulen teil, zwei Mittelschulen und sieben AHS. Das Projekt wird evaluiert. Zwischenergebnisse deuten auf hohe Zufriedenheit hin. Ein Folgeprojekt wurde eingereicht.
Erstmals werden heuer in Salzburg die Tage der psychischen Gesundheit (Mental Health Days) angeboten. Dieses präventive Projekt wurde vor zwei Jahren von dem Medienexperten Golli Marboe gegründet. Sein Sohn hatte sich 2018 das Leben genommen. Das Projekt erreichte seit 2022 in fünf Bundesländern 75.000 Jugendliche. Eltern und Lehrende sind durch eigene Workshops eingebunden. "Das Interesse in Salzburg ist enorm", sagt Marboe. "Wir haben mehr als 30 Anmeldungen von Schulen der Sekundarstufe 1 und 2." Ziele sind die Schaffung psychischer Gesundheitskompetenz, Entstigmatisierung sowie die Sensibilisierung für psychosoziale Gesundheit.

