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"Wenn ich es ausspreche, wird es wahr"

Wenn Menschen sterben, muss jemand die Nachricht vom Tod zu Angehörigen bringen. Diese Aufgabe erfordert mehr als überlegte Worte.

Karin Unterluggauer leitet die Krisenintervention im Land Salzburg.
Karin Unterluggauer leitet die Krisenintervention im Land Salzburg.

Ob Tag oder Nacht, wenn Menschen sterben, muss ihr Umfeld möglichst schnell davon erfahren. Unverzügliches Handeln ist gefragt, ebenso wie topausgebildete Teams, die dabei sind, wenn Todesnachrichten überbracht werden. Karin Unterluggauer leitet seit 2007 das Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes im Land Salzburg. Die Pongauerin ist, so wie alle 120 Teammitglieder, ehrenamtlich in ihrer Region unterwegs, wenn es darum geht, die Nachricht vom Tod eines Menschen zu überbringen. Auto- oder Freizeitunfälle, nicht geglückte Reanimationen, Suizide, Kindernotfälle: "Wir kommen immer dann, wenn eine Situation schlecht ausgegangen ist", bringt sie es auf den Punkt. Rund 470 Einsätze gilt es im Jahr zu bewältigen, allein im Bundesland Salzburg. Dabei ist ein Kriseninterventionsteam stets mindestens zu zweit auf dem Weg, nachdem es per SMS alarmiert wurde.

Direkte Kommunikation ist wichtig

Bevor die Polizei an der Haus- oder Wohnungstür von Betroffenen klingelt, erhält die Krisenintervention die wichtigsten Informationen. Unfallort und -hergang gehören dazu. Dieses Briefing ist notwendig, um auf Fragen antworten zu können. Sobald eine Tür geöffnet wird und die Beamten festgestellt haben, dass sie die richtige Person angetroffen haben, folgt die Todesnachricht in aller Kürze und Klarheit. Details haben vorerst keinen Platz. Etwa: "Ihr Mann ist heute bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen." Direkte Kommunikation ist für Unterluggauer wesentlich, denn wenn Polizei und Rotes Kreuz vor der Tür stünden, sei ja auf den ersten Blick klar, dass etwas Schreckliches passiert sein müsse. Danach rechnet Unterluggauer mit allem. Denn so unterschiedlich Menschen sind, so unterschiedlich nehmen sie eine derart einschneidende Nachricht auf.

Das Ziel der Krisenintervention: Erst einen sicheren Rahmen für alle Reaktionen und Emotionen zu schaffen, die nach dem Aussprechen der Todesnachricht folgen - und die Menschen wieder handlungsfähig zu machen. Alois Dürlinger war Pfarrer im Pongau, bevor er in die Stadt Salzburg wechselte. Am Land war er Mitglied in Unterluggauers Team.

Alois Dürlinger ist Pfarrer in der Stadt Salzburg.
Alois Dürlinger ist Pfarrer in der Stadt Salzburg.

Er weiß, was Betroffene brauchen: "Eine ehrliche, menschliche Präsenz. Da verträgt es weder Oberflächlichkeit noch Hast." Er spricht von der diskreten Kunst, in Schmerz versteinerte Menschen anzusprechen und ein bisschen zu öffnen für ein erstes Gespräch - "und wenn man nur nach einem Glas Wasser fragt". Sobald eine Reaktion komme, nehme er diese minimale Kontaktspur auf, um für die Leute eine erste Brücke aus der schmerzhaften Situation zu bauen, die mit der Nachricht vom Tod alles verändert hat.

"Schweigen und Zuhören"

"Wenn ich etwas ausspreche, wird es wahr", sagt Karin Unterluggauer. "Die Hinterbliebenen sind meist außer sich. Gefühle zuzulassen gelingt in den eigenen vier Wänden mit jemandem aus unserem Team an der Seite, der dableibt und die Situation mitträgt." Und dann? "Abwarten." Statt jemanden zuzutexten, seien Schweigen und Zuhören ratsam. Wenn erste Fragen kommen, pocht die Leiterin der Krisenintervention auf Ehrlichkeit. "Wenn jemand wissen will, ob die oder der Verstorbene leiden musste, bleibe ich bei der Wahrheit. Wir müssen nicht alles sagen. Aber alles, was wir sagen, muss wahr sein." Vier Stunden dauert ein durchschnittlicher Einsatz eines Kriseninterventionsteams und ist in der Regel einmalig. "Wir haben ein starkes Netzwerk in Salzburg und lassen Kotaktmöglichkeiten für die weitere Betreuung da. Wenn Menschen einmal erlebt haben, dass Hilfe von außen guttut, dann wird die Hürde kleiner, weitere Unterstützung in Anspruch zu nehmen."

Pfarrer Alois Dürlinger pflichtet ihr bei, er habe Einsätze im Ausmaß von 30 Minuten ebenso erlebt wie halbe Tage, die er bei Familien verbracht hat. "Wer in der Krisenintervention eine solche Aufgabe übernimmt, bleibt, so lange er gebraucht wird. Nur darf man dann den richtigen Zeitpunkt des Abschieds auch nicht übersehen, etwa wenn das familiäre Netz greift, das unter sich sein will." Geschwätzigkeit und Aufdringlichkeit seien ganz übel bei solchen Einsätzen.

Mitglieder kommen aus unterschiedlichen Berufsfeldern

Die Teammitglieder des Kriseninterventionsteams gehen unterschiedlichen Berufen nach. Während Karin Unterluggauer klinische Psychologin ist, ist Alois Dürlinger Priester. Im Pongau war er Einheimischen gut bekannt. Zu Einsätzen ist er mit der Rotkreuz-Jacke ausgerückt, nicht etwa im schwarzen Gewand. "Wer mich nicht gekannt hat, wusste auch nicht, welchen Hintergrund ich habe. Ich habe stets diskret gefragt, ob Anwesende ein Gebet möchten. Dieses Angebot wurde entweder dankbar angenommen oder höflich bis dezidiert abgelehnt. Beides war okay." Mit der Übersiedlung in die Stadt Salzburg hat der Priester einen Pfarrverband mit sechs Pfarren übernommen. Für die Krisenintervention bleibt bei seinem übervollen Terminkalender keine Zeit mehr. Dem Tod begegnet er dennoch oft, hält er doch drei, vier Begräbnisse die Woche. Gute Worte versucht er in allen Lagen zu finden, auch wenn "der Tod auf so verschiedenen Wegen kommt und die Grenzpunkte der Tragik immer wieder neu setzen kann". Und auch in den Stadtpfarren gilt für ihn: "Manchmal sind die Worte, die man nicht sagt, die gescheitesten. Gerade am Anfang des Beistands. Da ist eben grundmenschliche Klugheit gefordert."