Es ist eine chronische Erkrankung, die fast ausschließlich Frauen trifft: das Lipödem. Dabei handelt es sich um eine Fettverteilungsstörung, die oft mit einer Volumenzunahme an Beinen und Armen sowie starken Schmerzen einhergeht. Erste Symptome treten meist in der Pubertät, Menopause oder nach Schwangerschaften auf, bleiben aber häufig unerkannt oder werden mit Adipositas verwechselt.
In Österreich sind davon rund 200.000 Frauen betroffen, das sind etwa fünf Prozent der weiblichen Erwachsenen. Die Dunkelziffer könnte aber deutlich höher sein.
Weg zur Diagnose eines Lipödems ist oft lang
Der Fall von Tanja Degner aus Osnabrück, Deutschland zeigt, dass oft Jahre bis zur Erstdiagnose vergehen und das Lipödem mit einer Stigmatisierung verbunden ist: Ihre Erkrankung begann im Jahr 2000, nach der Geburt ihres Sohnes. "Ich hatte geschwollene Fußknöchel, schwere, schmerzende Beine, habe stark zugenommen", erzählt die heute 52-Jährige. Ihre Hausärztin sagte, sie solle weniger essen. Degner habe es mit einer Diät von täglich unter 1000 Kilokalorien versucht - dennoch wuchsen der Umfang der Beine und Arme sowie ihr Gewicht erheblich. "Die Schmerzen haben zugenommen, ich hatte Hämatome, konnte keine Berührung aushalten", schildert sie. Nach 14 Jahren suchte Degner einen Spezialisten auf. "Der Weg bis zur Diagnose ist für viele Frauen voller Stolpersteine", betont sie.
Genaue Zahlen fehlen leider
Der Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie am Uniklinikum Münster, Tobias Hirsch, spricht von einem "Diagnose-Gap" von oft rund 20 Jahren, bis das Lipödem richtig erkannt werde. "Wir wissen zu wenig über diese Krankheit und was genau im Körper passiert", sagt er. Klare Zahlen zu Betroffenen gibt es auch in Deutschland nicht. Claudia Effertz von der deutschen Lipödem-Gesellschaft (LipöG) schätzt, dass bis zu vier Millionen Frauen an einem Lipödem leiden, sehr viele das aber nicht wissen. Es brauche eine breite Informationskampagne. Beim Lipödem könne es zu orthopädischen Begleiterkrankungen wie einer Fehlstellung der Beinachsen oder Gelenkverschleiß kommen. Auch die seelischen Belastungen seien schwer. Verlauf, Ausmaß und Dynamik variierten.
Die Ursachen der chronischen Erkrankung sind immer noch weitgehend unklar: "Wir gehen von einer genetischen Veranlagung und hormonellen Triggern aus - und dass das Lipödem in hohem Maße diätresistent ist", sagt Tobias Hirsch. Trotzdem spiele Ernährung eine Rolle. Fallweise komme Adipositas noch hinzu.
Schmerz ist das zentrale Symptom des Lipödems
Das Lipödem wird je nach Fettgewebemenge in die Stufen I bis III unterteilt. Im dritten Stadium kann der Umfang so enorm sein, dass das Gewebe über die typischerweise schmal bleibenden Knie-, Hand- und Fußgelenke hinüberhängt. Bei manchen verharre das Lipödem aber auch in Stadium I oder II, erläutert Hirsch. Die Stufeneinteilung nach Fettmasse hält er für sehr problematisch, denn der Schmerz sei das zentrale Symptom. "Es kann sein, dass eine Patientin mit noch schlanken Beinen im Stadium I sehr viel stärkere Schmerzen hat als eine Frau im Stadium III mit massiver Volumenzunahme."
Lymphdrainage und Kompressionswäsche helfen Betroffenen, die Beschwerden zu lindern. Auch Tanja Degners Tag beginnt damit, sich in medizinische Kompressionsstrümpfe zu zwängen. "Ich habe 24 Stunden am Tag Schmerzen in den Armen und den Beinen und bin von einem sekundären Lymphödem betroffen", schildert sie - es droht ihr also auch eine Degeneration der Lymphgefäße. Das Gewicht belastet Wirbelsäule und Gelenke, zwei Knieoperationen waren erforderlich. In ihrer schlimmsten Zeit war sie bei 1,67 Metern Größe fast 180 Kilogramm schwer. "Ich war kurz davor, in den Rollstuhl zu kommen." Nach ihrer Diagnose hat sie mithilfe einer Ernährungsberaterin und Bewegungstherapie inzwischen 45 Kilo verloren. Für eine Liposuktion - operative Fettabsaugung - lehnte ihre deutsche Krankenkasse die Kostenübernahme ab. Nach der Absage sei sie psychisch zusammengebrochen, sagt die 52-Jährige.
Kosten von Operationen werden nicht immer übernommen
Eine weitere Betroffene, Claudia Effertz, die erst nach 15 Jahren die korrekte Diagnose erhalten und bis dahin 70 Kilo zugenommen hatte, kämpfte vier Jahre lang mit Kompressionsbekleidung, Lymphdrainage und viel Bewegung erfolglos gegen das Lipödem. "Ich musste mit Gehstöcken laufen, war nur noch zu 40 Prozent arbeitsfähig", erzählt Effertz. Nach zunächst mehreren Absagen der Krankenkasse wurden die Kosten für Operationen an Beinen und Armen übernommen. Es erfolgten sechs Eingriffe, 55 Liter Fett wurden abgesaugt. "Die OPs waren sehr belastend, aber die Erleichterung überwiegt. Dass diese Eingriffe mit einer Schönheitsoperation verglichen werden, ist falsch und makaber", kritisiert sie.
Betroffene wollen eine Entstigmatisierung erreichen
Eine Liposuktion gehe mit recht wenigen Risiken und Komplikationen einher, sagt Mediziner Tobias Hirsch. "Wir haben bislang keine Alternative bei schweren Fällen. Die Frauen profitieren erheblich. Die Operation macht nicht gesund, aber sie hat sehr viele Vorteile." Schmerzen und Körperumfang würden deutlich reduziert, ebenso orthopädische Schädigungen oder auch psychische Belastungen. "Je früher operiert wird, desto besser", betont Hirsch. Er hofft, dass eine noch laufende, breit angelegte Studie den hohen Nutzen der OP in schweren Fällen belegen werde.
Tanja Degner hat Humor und Hoffnung nicht verloren, geht es gemeinsam mit einem Kreis von Betroffenen offensiv an: "Wir wollen klarstellen, dass wir krank sind, und eine Entstigmatisierung erreichen. Wir brauchen eine bedarfsgerechte Versorgung, mehr kompetente Ärzte, mehr Verständnis. Die Krankheit darf nicht unser Leben bestimmen."