Wie sich das unvermeidliche Ende des Lebens hinauszögern lässt, war schon immer eine zentrale Frage der Menschheit. Die beiden Forschenden Gianni Pes und Michel Poulain kamen dieser Suche bereits im Jahr 2004 ein Stück näher, als sie die erste sogenannte Blaue Zone entdeckten: Die Provinz Nuoro auf Sardinien entpuppte sich als die Region mit der höchsten Konzentration männlicher Hundertjähriger. Nach und nach kamen weitere solcher Zonen dazu: Okinawa (Japan), die Nicoya-Halbinsel (Costa Rica), die Insel Ikaria (Griechenland) und die Stadt Loma Linda in Kalifornien gelten heute gemeinsam mit der Region in Sardinien als die fünf "Blauen Zonen". Die Menschen leben dort länger und gesünder als in anderen Gegenden der Welt. Außerdem weisen sie ein geringeres Risiko für Herzleiden, Krebs oder Demenz auf. Was kann man von ihnen lernen?
Michael Smeikal ist einer, der sich seit Langem damit beschäftigt, wie langes und gleichzeitig qualitätsvolles Leben möglich ist. Er ist Internist, Geriater und ärztlicher Leiter des Pflegekrankenhauses Tokiostraße im Haus der Barmherzigkeit in Wien. Fragt man ihn danach, was man berücksichtigen sollte, wenn man lange und gesund leben will, fallen im sofort die "5 L der Geriatrie" ein: Lernen, Laufen, Lieben, Lachen, Leben.
Lebenslanges Lernen als Vorbeugung gegen Demenz
"Wir wissen etwa, dass lebenslanges Lernen einen Schutz vor der Entwicklung von Demenz darstellt", erklärt Smeikal. Außerdem sei Laufen, also tägliche Bewegung, immens wichtig. "Es beugt das Risiko für Stürze im Alter vor. Täglich eine Runde spazieren helfe, im Alter mobil zu bleiben. Und dabei sollte man möglichst früh anfangen: "Man zahlt schon in jungen Jahren auf das Konto für qualitätsvolles Altern ein", fügt der Facharzt hinzu.
Mit "Lieben" sind die Sozial- und Sexualkontakte gemeint. Forschungen zeigen, dass Einsamkeit ein Risikofaktor ist, früher zu sterben. "Menschen, die in ein Familiensystem oder starkes soziales Netz eingebettet sind, haben größere Chancen älter zu werden", sagt Smeikal. Dazu fügt sich mit "Lachen" eine positive Einstellung: Studien zeigten, dass Menschen über 90 dem Leben gegenüber grundsätzlich positiver und optimistischer stehen als 80-Jährige. "In diesem Alter hat man meist eine gewisse Gelassenheit entwickelt", erklärt Smeikal. "Humor ist wichtig, um genussvoll alt zu werden." Und dazu komme noch das "Leben" allgemein: "Wer einen gesunden Lebensstil pflegt, nicht raucht, Alkohol nur in geringen Mengen zu sich nimmt und ausgewogen isst, hat Vorteile beim älter werden", ergänzt Smeikal.
Länger leben: Ernährung kann zu gesundem Altern beitragen
Auf den Bereich Ernährung konzentriert sich auch eine Forschungsgruppe um den Molekularbiologen und Ernährungswissenschafter Alexander Haslberger an der Uni Wien. Er sah sich gemeinsam mit Schweizer Forschenden an, welche molekularbiologischen Mechanismen in den blauen Zonen zum Tragen kommen. "Der Begriff ,Blaue Zone' wird mittlerweile auch für Gegenden verwendet, in denen die Flora unter speziellen Bedingungen wächst und deren Inhaltsstoffe dem Alterungsprozess entgegenwirken kann", erklärt Haslberger. Es gebe Pflanzeninhaltsstoffe, die zu einem gesunden Altern beitragen, ergänzt er: Auf der Insel Ikaria in Griechenland entdeckte man etwa, dass die Menschen kaum an Alzheimer und nur wenige Menschen an Demenz leiden. "Der griechische Bergtee hat Inhaltsstoffe, von denen wir glauben, dass er Demenz entgegenwirkt." Außerdem enthalten Beeren Stoffe, die für den Metabolismus sehr gut seien.
Auch Telomere seien ein zentraler Bestandteil des Alterungsprozesses. Damit sind Endstücke von Chromosomen gemeint, die sich mit jeder Zellteilung verkürzen, bis eine Zelle abstirbt. Wird man älter, werden die Telomere kürzer. Sind die Telomere länger, ist auch die Zelle vitaler. In einer Studie fanden Haslberger und sein Team an 110 Probanden heraus, dass vor allem die sekundären Pflanzenwirkstoffe EGCG aus Grünem Tee zu einer Verlängerung von Telomeren führen könnten. Aber Telomere seien nicht alles. "Altern ist ein komplexer Prozess, bei dem viele Parameter eine Rolle spielen", fügt der Experte hinzu. Außerdem habe die Epigenetik, also das Bindeglied zwischen Umwelteinflüssen und Genen, sowie vor allem auch Stress einen Einfluss auf das Altern.
Stress lässt schneller altern, Erholung ist wesentlich
Dass Stressvermeidung wichtig ist, unterstreicht auch eine aktuelle Studie, die im Fachmagazin "Cell Metabolism" erschienen ist: Anhand eines Mausmodells untersuchte ein Team um Jesse Poganik von der Harvard Medical School etwa, inwiefern sich eine stressauslösende Operation auf die Alterung von jungen Tieren auswirkt. Das Ergebnis: Die Alterung war deutlich beschleunigt, auch genetische Veränderungen im Herz, der Leber und im Gehirn konnten festgestellt werden. Jedoch: Schon zwei Monate später waren all diese Alterserscheinungen wieder verschwunden.
Auch bei Menschen zeigte das Team anschließend, dass sich belastende Ereignisse wie etwa Notoperationen oder Schwangerschaften auf den Alterungsprozess massiv niederschlagen können. Aber schon etwa eine Woche nach einer Operation waren die Patientinnen und Patienten - gemessen an der DNA-Uhr - wieder so jung wie zuvor. Alterung sei also nichts Statisches und Erholung sei ein zentraler Punkt, betonte das amerikanische Autorenteam.
Blickt man noch einmal genauer in die "Blauen Zonen", so erkannten Forschende auch dort, dass Stressvermeidung eines der zentralen Geheimnisse sei. Dazu komme regelmäßige Bewegung, ein Lebensinhalt, gesunde Ernährung und mäßiger Alkoholkonsum. Menschen engagierten sich in diesen Gegenden zudem in der Spiritualität oder Religion sowie im Familien- und sozialen Leben. "Diese Merkmale decken sich mit den ,5 L der Geriatrie", sagt Michael Smeikal. Generell müsse man in der Gesellschaft einen anderen Umgang mit älteren Menschen finden und sie besser integrieren, appelliert der Arzt: "Letzten Endes ist das ein egoistisches Ziel: Wir alle wollen es ja schön haben, wenn wir älter werden."