Er sei ein gewöhnlicher Mann, sagte der Amerikaner Kenny Easterday. Im Alter von sechs Jahren wurden seine Beine amputiert, seine Wirbelsäule hatte sich nicht richtig entwickelt. Seitdem wanderte er auf Händen durch das Leben - und erlangte viel Berühmtheit. Er wurde Schauspieler, trat in Hauptrollen auf. Er heiratete zwei Mal und hatte zwei Kinder. Für viele wurde er ein Symbol innerer Widerstandskraft. Heutzutage spricht man auch von Resilienz. Doch was ist damit überhaupt gemeint?
Ein erfülltes Leben trotz Widrigkeiten
In der psychologischen Literatur kam der Fachbegriff erstmals in den 1970er-Jahren auf. Besonders bekannt ist dabei die amerikanische Wissenschafterin Emmy Werner, die mit ihrem Team 40 Jahre lang knapp 700 Kinder begleitete, die auf der Hawaii-Insel Kauai geboren wurden. Ein Teil davon wuchs unter schwierigen Verhältnissen auf - Armut, Gewalt, Krankheit und Vernachlässigung der Eltern prägten ihre Kindheit. Werner zeigte, dass ein Drittel dieser Kinder trotzdem ein gutes und erfülltes Leben führen konnte.
In der Forschung lieferte das erste Anhaltspunkte dafür, was resiliente Menschen auszeichnet: Sie haben erlebt, dass sich das eigene Leben verändert, wenn es eigenverantwortlich gestaltet wird. Sie verfügen über eine hohe soziale Kompetenz. Und: Sie erachten ihr Leben als sinnvoll.
Der Begriff "Resilienz" kommt aus den Materialwissenschaften
Ein Grundstein für die Resilienzforschung war gelegt. Ursprünglich kommt der Begriff aus den Materialwissenschaften und bedeutet widerstandsfähig. "Resiliente Menschen sind solche, die mit schwierigen Situationen und mit Stress gut umgehen können", erklärt Wirtschaftspsychologin Magdalena Bekk von der Privatuniversität Schloss Seeburg in Seekirchen, die bei den "Seeburger Dialogen" am Dienstag zum Thema Resilienz referiert. Es gehe darum, wieder aufstehen zu können, bei Widrigkeiten zumindest wieder in den Ausgangszustand zurückzukommen, ergänzt Wirtschaftspsychologe Matthias Spörrle, der an derselben Universität lehrt und ebenfalls am Themenabend referiert.
Resilienz ist erlernbar und kann trainiert werden
Grundsätzlich gilt: Resilienz ist erlernbar. Doch wie kann man das trainieren?
Die Forschenden erklären es anhand einer Pyramide mit drei Ebenen. Das Fundament bildet die Frage: Wie geht es meinem Körper? "Für mehr Resilienz sind eine gesunde Ernährung, Bewegung und Schlaf enorm wichtig", erklärt Bekk. Das Körperliche werde häufig vernachlässigt, sagt Spörrle. In der Forschung spricht man von sieben bis acht Stunden Schlaf, die jede und jeder täglich abbekommen sollte. Vor allem in der Zeit zwischen 23 Uhr und 1 Uhr nachts erholt sich der Körper sehr effektiv.
Die zweite Ebene der Pyramide bildet das Soziale ab und dreht sich um die Frage: Bin ich gut mit meinen Mitmenschen verbunden? In der obersten Ebene tritt die individuelle Psyche in den Vordergrund: "Dabei geht es darum, sich Ruhepausen zu gönnen und Achtsamkeitsübungen anzuwenden", sagt Bekk. Dazu zählen etwa Atem- und Meditationstechniken, Yoga, Dankbarkeitsübungen, negative Denkweisen umzulernen oder spazieren zu gehen. "Menschen, die auf diesen drei Ebenen auf sich achtgeben, sind auch jene, die mit stressigen Situationen besser zurechtkommen", resümiert die Psychologin.
Die Erziehung spielt eine große Rolle
Generell kommt auch der Erziehung eine wichtige Rolle zu. "Wenn man Kindern von klein auf beibringt, wie sie mit Stress umgehen können, können sie ein Leben lang darauf zurückgreifen", sagt Bekk. Man solle Kindern Achtsamkeitstechniken an die Hand geben und sie lehren, auf den Körper zu hören - hineinzuhorchen, wann er etwa Pausen braucht.
Dabei sei Stress jedoch nicht immer nur negativ zu sehen, betont Psychologe Spörrle. "Es gibt auch keinen Muskelzuwachs ohne den körperlichen Stressor Sport. Stressoren (Stressauslöser, Anm.) gehören zu unserem Leben dazu - wir brauchen die Stimulation." An Krisen könne man wachsen.
Das Problem: Stressoren haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Zu den weltumspannenden Krisen wie der Pandemie, dem Ukraine-Krieg und seinen Auswirkungen, dem Klimawandel und der sensorischen Überforderung durch digitale Medien kommen die persönlichen Krisen. "Auf uns alle prasseln viele Stressoren ununterbrochen ein - und darunter sind auch solche, auf die wir durch unsere Entwicklung als Art gar nicht vorbereitet sind", sagt Spörrle. Das sei kritisch. "Der Mensch kann zwar mit kurzen und natürlichen Stressphasen umgehen, aber wir halten Dauerstress nicht gut aus."
Wichtig sind Phasen der Entspannung und Ruhe
Was man also braucht, sind Phasen der Entspannung und Ruhe. Die beiden Forschenden plädieren dafür, sich Rituale und Strukturen zu schaffen - wie etwa, jeden Tag zu meditieren. Oder sich täglich eine halbe Stunde in der Natur aufzuhalten. "Es geht darum, sich selbst durch Routine liebevoll an die Hand zu nehmen", sagt Spörrle. Der Schlüssel sei Selbstwirksamkeit.
Grundsätzlich ist der Mensch also resilient und kann mit Widrigkeiten gut umgehen. Jedoch nur, wenn er genügend Erholungsphasen hat. Und sich den Herausforderungen des Lebens stellt. Vielleicht ein wenig wie der Amerikaner Kenny Easterday. Er hatte zwar keine Beine, ließ sich von seinem Schicksal jedoch nicht unterkriegen. "Viele dachten, ich könne nicht wie eine normale Person leben", erzählte er in einer TV-Dokumentation. Aber das tat er. Und wurde dabei zum Vorbild für viele.
