Wie nachhaltig ist der Heringsschmaus?
Fast die Hälfte der Österreicher isst am Aschermittwoch Fisch. Aber schadet oder nutzt das in puncto Artenvielfalt und Klimaschutz?
Laut einer repräsentativen Umfrage des Gallup-Instituts werden 42 Prozent der Österreicher am heurigen Aschermittwoch sicher (20 Prozent) oder höchstwahrscheinlich (22 Prozent) Fisch essen. Geht es nach den 1000 Befragten, sind Lachs (44 Prozent der Aschermittwoch-Fischesser) und der traditionelle Heringsschmaus (43 Prozent) die Favoriten beim Start in die Fastenzeit.
Ernährungswissenschaftlich ist bekannt, dass Fisch besonders viele wertvolle Omega-3-Fettsäuren enthält und daher als gesund gilt. Aber: Wie nachhaltig ist Fisch? "35 Prozent der weltweiten Fischbestände sind überfischt. Daher sollte man beim Kauf nur Produkte aus nachhaltiger Fischerei oder verantwortungsvoller Zucht wählen", sagt Andrea Harmsen, Sprecherin des in London ansässigen Marine Stewardship Councils (MSC), das das gleichnamige Gütesiegel vergibt.
Ein Großteil des im österreichischen Einzelhandel erhältlichen Herings komme aus dem Nordostatlantik und werde dort seit einigen Jahren massiv überfischt, sagt Harmsen. Die Bestandsgröße des atlanto-skandischen Herings sei deshalb um 30 Prozent gesunken, das MSC-Siegel für nachhaltige Fischerei hätten diese Fischer 2020 verloren. Besser sei, Hering aus der Nordsee oder isländischen Gewässern zu kaufen, betont man beim MSC.
Aquakultur oder Wildfang: Was ist nachhaltiger?
Dazu kommt die generelle Frage: Wenn mir Artenvielfalt und Klimaschutz wichtig sind - ist dann Fisch aus Aquakulturen oder aus Wildfang besser? Spricht nicht einiges für Aquakulturen, weil durch sie der Fischbestand in den Meeren unberührt bleibt? Oder sind sie ob der Enge Tierquälerei und verbrauchen so viel Futter, das anderswo als Ressource fehlt und dessen Anbau dem Klima schadet? Rainer Froese vom Helmholtz Centre for Ocean Research Geomar in Kiel hat dazu eine klare Meinung: "Meeresraubfische wie Lachse, Steinbutte oder Doraden müssen auch in Aquakulturen mit Fischen gefüttert werden, weil ihnen sonst die Omega-3-Fettsäuren fehlen." Auch wenn man den Fisch teils durch Soja oder Getreide ersetze, seien Aquakulturen nicht nachhaltig - im Gegenteil: "Man muss zehn Mal so viel Futter reinwerfen, wie an Ertrag rauskommt", sagt der Fischereiexperte. Daher seien Aquakulturen eine Veredelung von Nahrungsmitteln. "Vom Ressourcenstandpunkt her sind sie aber ein Problem, weil sie ein Netto-Fischverbraucher sind", sagt Froese. Dazu kämen noch die Fragen von Tierschutz, Tierwohl und möglichen Krankheiten. Froeses Fazit: "Mit Aquakulturen kann man die künftige Welternährung nicht stemmen, im Gegenteil."
Von den Machern des MSC-Gütesiegels wird betont, dass der CO₂- Fußabdruck von Wildfisch bis zu 50 Mal geringer als der von Fleisch sei. "Wildfisch benötigt außerdem weder Dünge- oder Pflanzenschutzmittel noch Antibiotika; verbraucht keine Futtermittel, kein Wasser und kein Land", heißt es von MSC. Aber wie sehr schadet Wildfang der Artenvielfalt? Froese schränkt ein: "Wenn man Fische einigermaßen schonend fängt, ist für Umwelt und Klima alles in Ordnung. Man darf aber, grob gesagt, nur 20 Prozent des weltweiten Speisefischbestands jährlich rausfischen; so viel wächst nach." Derzeit würden aber teils 50 bis 60 Prozent des Bestands weggefischt, was zu schrumpfenden Beständen führe. Froese: "Das ist dumm, weil es so den langfristigen Ertrag minimiert."
NGOs üben Kritik am MSC-Gütesiegel
Als besonders gefährdete Fischart, die man gar nicht mehr essen sollte, stuft Froese etwa den Aal ein: "Der ist so bedroht wie der Panda. Auch den Dornhai sollte man vermeiden - ebenso wie Rochen oder Tiefseefische wie den Rotbarsch." Wildlachs sei hingegen in Ordnung - aber nur, wenn er aus Alaska komme: "Dort sind die Bestände noch groß genug." Wildlachs aus Europa kommt aber meist aus überfischten Gewässern wie in der nördlichen Ostsee und der Irischen See. Beim Hering ist der leitende Geomar-Wissenschafter sogar weniger kritisch als die MSC-Vereinigung: "Vom Hering gibt es noch sehr große Bestände. Aber 80 bis 90 Prozent der Heringsfänge landen als Fischmehl in Aquakulturen. Da ist menschlicher Verzehr besser."
Stichwort MSC: Dass es beim Fischkauf allein reiche, auf dieses Gütesiegel zu achten, greift für den promovierten Meeresbiologen zu kurz: "MSC-zertifizierter Fisch ist besser als ein nicht zertifizierter Fisch. Aber die MSC-Kriterien sind mir zu lasch." Hier gebe es auch von NGOs wie Greenpeace und WWF berechtigte Kritik, weil die Organisation auch teils Fisch aus überfischten Gewässern zertifiziere. Zudem sei MSC keine unabhängige NGO, betont Froese: "MSC macht die Regeln. Aber angewendet werden sie von Firmen, die das Gütesiegel an Fischereiunternehmen vergeben, die sie zertifizieren." Als Alternative empfiehlt Froese die von ihm mit den deutschen Verbraucherzentralen entwickelte "Guter Fisch"-Liste (www.vzhh.de/guter-fisch-liste), die auch für Österreich gilt.
Der Bedarf an Fisch lässt sich nicht nur mit Wildfang decken
Das MSC-Siegel beurteilt Christopher Zimmermann hingegen grundsätzlich positiv. Er ist Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock und war bis vor Kurzem im MSC-Aufsichtsrat: "Natürlich kann man immer nach höheren Standards rufen. Aber wenn man sie höherschrauben würde, dann könnten viele Fischer nicht mehr mitmachen, weil sie die Standards nicht einhalten können, und das Gütesiegel hätte keinen Einfluss auf die Artenvielfalt und auch nicht auf das Angebot für die Konsumenten."
Zimmermann kritisiert auch die Gute-Fisch-Liste - "weil da nur wenige Fische draufstehen, die großteils für den hiesigen Markt keine Rolle spielen". Aquakulturen sieht Zimmermann, ein promovierter Fischereibiologe, nicht nur negativ: "Der steigende Bedarf an Fisch weltweit muss gedeckt werden. Das geht nicht nur mit Wildfisch; daher wird es Aquakulturen brauchen. Oder wir essen so oft wie möglich vegetarisch." Aber Fisch, Meeresfrüchte oder Insekten zu essen sei ökologisch sinnvoller als der Konsum von Fleisch aus Massentierhaltung - "egal ob man Treibhausgasausstoß, Energieverbrauch, Überdüngungs- oder Übersäuerungspotenzial des Bodens als Kriterium nimmt."




