Der Salzburger Erzbischof und Vorsitzende der Bischofskonferenz, Franz Lackner (66), denkt einen Tag nach der Veröffentlichung der stark gestiegenen Austrittszahlen im Gespräch über neue Wege in der katholischen Kirche nach. Dass er Kardinal und Erzbischof von Wien und somit Nachfolger von Christoph Schönborn werden könnte, schließt er aus.
"Nichts als die Wahrheit" lautet der Titel des Buchs von Erzbischof Georg Gänswein, dem langjährigen Begleiter des kürzlich verstorbenen Papstes Benedikt XVI. Werden Sie es lesen? Erzbischof Franz Lackner:Meine Erstlektüre wird es nicht werden. Ich schätze Erzbischof Gänswein sehr. Er hat sich rührend um Papst Benedikt gekümmert, ein Krankenpfleger hätte es nicht besser gekonnt. Einen Konflikt zwischen Papst Benedikt und Papst Franziskus habe ich nie gesehen. Auch bei meinem letzten Besuch vor dem Ableben Benedikts war das kein Thema. Einem Buch so kurz nach dem Ableben des Papstes stehe ich sehr kritisch gegenüber. Es bräuchte nun eine Phase der Ruhe und Trauer.
Sie werden öfter als möglicher Nachfolger von Kardinal Christoph Schönborn genannt. Ist da etwas dran? Die Nachfolge ist Chefsache und obliegt somit vornehmlich dem Papst. Ich mische nicht mit. In meinem Leben habe ich mehrere Gehorsamsschritte gesetzt - auch als ich Weihbischof von Graz und später Erzbischof von Salzburg wurde. Das ist für mich kein Thema.
Schließen Sie das Amt also kategorisch aus? Kategorisch kann man im Glauben nichts ausschließen. Ich habe aber jetzt schon sehr große Schuhe an und muss auch mit meinen Kräften haushalten.
Zeichnet sich ein baldiger Amtswechsel in Wien ab? Das glaube ich nicht. Zuletzt hat Papst Franziskus dem Kardinal für seine weitere Tätigkeit gedankt. Der Kardinal hat sich gesundheitlich gut erholt. Überraschungen kann es in der Kirche immer geben.
Am Mittwoch wurde die Zahl der jährlichen Kirchenaustritte veröffentlicht. Es sind 90.808 weniger Mitglieder in Österreich als im Vorjahr. Können Sie das einfach so hinnehmen? Teils ist es hinzunehmen, da wir dem Fluss der säkularen Zeit nicht entkommen. Daher wird es wohl auch keinen schnellen Zuwachs bei den Katholikenzahlen geben. Darüber hinaus gibt es konkrete Anlässe, die zum Austritt führen - Pandemie, Kirchenbeitrag und Vertrauensverlust. Die Frage ist, was können wir tun. Die Abkehr ist jedenfalls ein gesellschaftliches Phänomen.
Können Sie uns einen guten Grund nennen, warum Menschen nicht aus der Kirche austreten sollen? Die Kirche denkt nicht nur bis zur nächsten Lebensphase, sondern über das Leben selbst hinaus. Die Kirche ist auch eine Sinnquelle, in ihr haben Sinnfragen einen Platz. Sie ist Anwältin der Gerechtigkeit für alle. Wir stellen uns auch der Schuldfrage, und das über Jahrhunderte.
Und dafür soll man den Kirchenbeitrag zahlen? Ich könnte theoretisch ohne den Beitrag auskommen. Derzeit ermöglicht der Kirchenbeitrag aber unseren Einsatz für die Menschen in der Gesellschaft. Und wir müssen auch unsere Angestellten bezahlen.
Findet derzeit eine Privatisierung des Glaubens statt? Es gibt Lebensphasen, die muss man als Gemeinschaft gehen. Es gibt aber bestimmt Individuen, die auch andere Wege finden und Alternativen zu den klassischen Modellen der Kirche aufzeigen.
Eine Alternative als Gemeinschaft möchte auch die Loretto-Bewegung in Salzburg sein. Übernimmt diese bald die Macht in der Erzdiözese? Ich bin kein Loretto - ich bin Franziskaner. Ich halte die Diskussion über die Lorettos für übertrieben. Die Bewegung hat den guten Willen, tief in den Glauben einzudringen. Wir sollten lieber froh darüber sein. Manches erinnert an Verliebtheit. Diese kann sich verflüchtigen oder vertiefen. Die Lorettos haben jedenfalls keine Macht in der Erzdiözese. Fraglich ist, wie sich die Lorettos entwickeln. Vielleicht streben sie nach mehr Institutionalisierung.
Auch aus Ihrem Umfeld heißt es, die Lorettos seien zu freikirchlich und evangelikal unterwegs. Die Menschen zieht es in die Freikirchen, das ist ein allgemeines Phänomen. Daher seien wir doch froh, dass die bei den Lorettos sind. Theologisch sehe und höre ich keine Unterschiede. Es ist eher eine Machtfrage, die gestellt wird. Von meinem Umfeld würde ich mir wünschen, dass man ehrlich darüber spricht. Ich lade zu einem runden Tisch mit gutem Wein aus der Südoststeiermark ein. Wir müssen intern endlich die Engstirnigkeit ablegen.
Für großen Unmut sorgte die Jungfrauenweihe im vergangenen Jahr, vermarktet durch die Loretto-Home-Mission-Base, warum haben Sie diese nicht zelebriert? Für diese Feier war von Anfang an der Weihbischof zuständig. Ich bin Franziskaner und habe immer das Bild von Gott und Mensch als freundschaftliche Beziehung präferiert und jenem von Braut und Bräutigam vorgezogen. Der Erzdiözese wirft man häufig vor, warum nicht mehr Marketing gemacht wird - die Lorettos kritisiert man dafür.
Ist das Frauenbild, das durch die Weihe vermittelt wird, nicht unzeitgemäß? Die Jungfrauenweihe ist eine Nachahmung der Lebensform Jesu, mit einer sehr langen Geschichte. Daher verstehe ich die Aufregung nicht. Die Weihe hat Wellen geschlagen und es gibt schon wieder Anfragen von Interessentinnen. Manche Menschen möchten vieles, was Teil des Ordenslebens ist, jedoch deshalb nicht zwingend in einen Orden eintreten.
Es gibt Überlegungen, die Immobilien der Erzdiözese stärker zu nutzen. Steht am Ende die Profanierung von Kirchen? Wir müssen auch aufgrund der schwindenden Anzahl an Mitgliedern vielleicht darüber nachdenken, Kirchen zu verkleinern. Nicht den Dom, aber andernorts. Fakt ist aber: Wir haben 800 Gebäude zu erhalten und benötigen dafür auch finanzielle Mittel.
Aber wie soll der verkleinerte Teil einer Kirche genutzt werden, ohne diese zu entstellen? Vorstellbar ist es, Bibliotheken mit christlicher Literatur in den Kirchen zu installieren, auch Ruhe- oder Sozialräume wären eine Möglichkeit.
Immer größer werden indes die Pfarrverbände, Priester fühlen sich als Manager und vernachlässigen die spirituelle Arbeit mit den Gläubigen. Die Rolle der Priester hat sich geändert. In erster Linie müssen diese für die sakramentale Arbeit da sein. Dem Spirituellen können sich auch die Laien widmen. Die machen das auch sehr gut.
Herrscht Personalnot auch bei Ihnen? Wir haben 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - das sind genug. Wir vergeuden Energie, wenn wir redundant agieren. Der Priester möchte die Aufgabe der Laien übernehmen und umgekehrt. Darin sehe ich Herausforderungen für ein neues Rollenverständnis von Priestern und Laien.
Ist das nicht eine sehr urbane Betrachtung? In den kleineren Gemeinden hat der Pfarrer doch noch einen höheren Stellenwert. Es braucht Ansprechpersonen vor Ort. Mir sagen Sekretärinnen in den Pfarren, dass sie das bindende Glied in der Pfarre seien. In den Klöstern waren auch die Pförtner früher die ersten Seelsorger.
Das heißt, Priester müssen sich verändern? Wir alle müssen uns immer wieder verändern. Die Seelsorge kann heute aufgeteilt werden - das Sakramentale, die Beichte liegt beim Priester. Die Seelenführung aber leisten heute oft Laien. Ein anderes Beispiel ist die Katechese, die Darstellung des Glaubens der Kirche als Orientierungspunkt. Der Papst hat das Amt des Katecheten beziehungsweise der Katechetin eingeführt. Genau das machen auch die Lorettos.