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Die süßeste Seite der Schweiz: Besuch im Schoggiland

Die Schokoladegroßmacht Schweiz. Wie kam es dazu? Ein Augenschein mit zartem Schmelz.

Im Schokokurs bei Lindt unterrichten „Maîtres Chocolatiers“.
Im Schokokurs bei Lindt unterrichten „Maîtres Chocolatiers“.
Gusto holt man sich zuvor am Schokobrunnen im Lindt-Hauptquartier.
Gusto holt man sich zuvor am Schokobrunnen im Lindt-Hauptquartier.
Eine Auswahl an feinsten Pralinen in der Basler Confiserie Schiesser.
Eine Auswahl an feinsten Pralinen in der Basler Confiserie Schiesser.
Max Chocolatier in Luzern hält auch Pralinenkurse.
Max Chocolatier in Luzern hält auch Pralinenkurse.

Die Werbeplakate am Züricher Flughafen zeigen Schweizer Klischees im Schnelldurchlauf: Natur in Form von malerischen Landschaften, Wohlstand durch Konzerne und Banken, Präzision mithilfe von Uhren und - Gaumenfreude, Schokolade! Da ist ein freundlicher "Maître Chocolatier" mit weißer Haube zu sehen, der mit goldenem Quirl flüssige Schokolade in eine Kugelform rinnen lässt. Dass die Produkte des Milliardenkonzerns Lindt allesamt in liebevoller Handarbeit hergestellt werden, glaubt niemand, ist dennoch eine nette Idee. Denn schließlich steht Schokolade für eine Art von kleiner Verzauberung. Zu erleben im "Lindt Home of Chocolate" in Kilchberg am Zürichsee, einem der Produktionsstätte angegliederten Museum. Und zwar das mittlerweile meistbesuchte der Schweiz, mit rund 800.000 Besuchern jährlich. In der Eingangshalle ist auch der goldene Quirl wieder da, allerdings im Großformat: Er scheint in der Luft zu schweben und ist Teil des neun Meter hohen Schokoladebrunnens, aus dem permanent 1400 Kilogramm echte Schokolade sprudeln, rinnen und blubbern.

Ich habe einen Schokoladekurs gebucht. Bald öffnet sich die Tür zu einer kleinen Märchenwelt: Eine Brigade an "Maîtres Chocolatiers" - ganz wie auf dem Werbeplakat - empfängt uns, und auf den Tischen köchelt in großen Messingtöpfen flüssige Schokolade vor sich hin. Wir lernen, Formen mit Schokolade zu übergießen, diese trocknen zu lassen, die Formen abzulösen und die Figuren - in dem Fall Schokobären - mit einer andersfarbigen Schokolade und mithilfe einer Düse zu dekorieren. Augenbrauen, Schnurrbärte und Nasen werden gezeichnet und die Figuren mit Streuseln, Mandel- und Pistazienstücken überzogen. Was für ein Spaß, nicht nur für die Kinder und Jugendlichen. "Sie sind doch sicher eine Schauspielerin in Ihrem netten Kostüm", sage ich zu Iris Musto, die uns all das an unserem Tisch beibringt. "Nein, nein", gibt sie zurück, "ich bin gelernte Konditorin und habe anschließend noch eine Ausbildung zur Chocolatière gemacht."

Im Museum wird nicht nur die Geschichte von Lindt & Sprüngli, sondern auch die der Schokolade erzählt. Diese wurde ja zunächst flüssig genossen und zwar als "Xocolatl", aztekisch für "herbes, bitteres Wasser". Das Wort "Kakao" stammt vermutlich von "kakawa", aus der Sprache der Olmeken. Die alten Völker Mittelamerikas - Olmeken, Maya, Azteken und andere - stellten das Getränk seit Urzeiten aus fermentierten, gerösteten und gemahlenen Kakaobohnen her, vermischten dies mit Gewürzen wie Chili oder Vanille und Wasser und tranken es kalt. So wertvoll waren die Kakaobohnen, dass die Maya sie sogar als Zahlungsmittel und als Grabbeigaben verwendeten. Der spanische Eroberer Hernán Cortés erkannte die Kostbarkeit und schickte ein wenig davon an seinen König, den Habsburgerkaiser Karl V. Der fand, dass das dickflüssige, dunkle Gebräu zwar durchaus interessant, aber viel zu bitter schmeckte, und wies seine Leibköche an, dies zu verbessern. Die kredenzten es heiß, mit Zucker, edlen Gewürzen und wahlweise auch mit Milch - und schon hatte die spanische, später die französische und überhaupt die europäische Aristokratie einen neuen Modedrink gefunden! Durch den kostspieligen Grundstoff aus Übersee war sichergestellt, dass die Schokolade für Jahrhunderte ein Statusgetränk in den Salons der europäischen Oberschicht blieb.

"Unter die Leute" kam die Schokolade erst im festen Zustand, anders gesagt: als Schokoladetafel. Mitte des 19. Jahrhunderts von einem Deutschen erfunden, ist die Perfektion jedoch Schweizer Ingenieurskunst zu verdanken. Daniel Peter erfand die Milchschokolade durch Beigabe von Kondensmilch - ein Verfahren seines Bekannten Henri Nestlé, der gerade mit Zwieback und Dosenmilch als Kindernahrungsmittel experimentierte. Rodolphe Lindt seinerseits entwickelte das Conchieren, bei dem heiße Schokolademasse stundenlang gerührt und anschließend zu fester Form abgekühlt wird. Die Conche erst verlieh der Schokolade - die bis dahin eher brüchig, ja, gar sandig schmeckte - ihren zarten Schmelz. Die Innovationsschübe beflügelten die junge Industrie, die noch heute bekannten Schweizer Marken entstanden in jener zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - von findigen Köpfen wie Lindt und Peter, aber auch Philippe Suchard, Theodor Tobler, Rudolf Sprüngli.

Nächste Station der kleinen "Tour de Chocosuisse": Basel. Stadtführerin Stephanie Greiner hat eine "Xocotour" im Programm, und die führt in einige der schönsten Kaffeehäuser und Konditoreien der Altstadt, darunter das Läckerli-Huus in der Gerbergasse, den Chocolatier Brändli gleich nebenan und in die Confiserie Schiesser am Marktplatz - das älteste Kaffeehaus der Schweiz. Berühmt sind da die handgemachten "Kirschstängeli" mit Schokohülle und Kirschschnaps-Füllung. Das Wetter ist feucht, kühl, unwirtlich. Ich summe "In einer kleinen Konditorei", ein Liedchen aus den 1920ern, vor mich hin und frage mich, ob es etwas Anheimelnderes geben kann, als seine Nachmittage in einem der Kaffeehäuser dieser so wohlgeordneten Stadt zu verbringen. Bei Kaffee und Kuchen im "Xocolatl" in der Marktgasse - das auch eine Schokomanufaktur ist - erzählt Stephanie, dass Kakao dank seiner Substanz Theobromin eine leicht stimulierende, ja gar stimmungsaufhellende Wirkung habe: "Nachfahren der Maya, denen ich in Guatemala begegnete, sagten mir, Kakao verbinde die Menschen auf der Herzensebene!" Herzerwärmend ist er auf jeden Fall, denke ich, während ich an meiner heißen Tasse cremigem, dickflüssigem, schaumigem Kakao nippe. Wenn man das auch um einiges professioneller beschreiben könnte: Denn aus dem Kakao lassen sich Noten von Karamell, Malz, Haselnuss, Waldbeere, Zedernholz und vielem mehr herausschmecken und -riechen - eine ganze Aromenwelt, fast so breit gefächert wie die des Weins.

INFORMATION

Anreise:
Nach Zürich mit Swiss (swiss.com), Weiterreise mit dem Swiss Travel Pass, für freie Fahrt per Bahn, Bus und Schiff. mystsnet.com/swisstravelpass

Schoko-Erlebnisse:
Schokoladekurse und -touren im Lindt Home of Chocolate, Kilchberg bei Zürich, www.lindt-home-of-chocolate.com
Schokoladetour durch Basel mit Stephanie Greiner, www.xocotour.ch
Confiserie Schiesser, Basel, confiserie-schiesser.ch
Confiserie Brändli, Basel, www.braendli-basel.ch
Max Chocolatier, Manufaktur in Luzern, Handarbeit ohne Konservierungsstoffe, Boutiquen in Luzern und Zürich, Degustationen und Workshops, www.maxchocolatier.com

Infolinks:
www.luzern.com
www.basel.com
www.myswitzerland.com