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Wie romantisch ist ein Leben im Van wirklich?

Vanlife - Paradies oder eher Fegefeuer? Am Anfang bejubelt, mischen sich jetzt auch kritische Stimmen in die Szene der Vanlife-Protagonisten.

Überraschung! Die Sonne scheint nicht immer, der Van baut sich nicht von selbst um – und er wird auch keine Luxusvilla.
Überraschung! Die Sonne scheint nicht immer, der Van baut sich nicht von selbst um – und er wird auch keine Luxusvilla.

Vanlife-Bildbände, Vanlife-Reisetagebücher, Vanlife-Ratgeber - der Buchmarkt wurde in den letzten Jahren überschwemmt von Ausgaben, deren Titel Reisemobile auf einsamen Landstraßen in spektakulären Landschaften zeigten, wahlweise auch den fotogenen VW Bulli, der neben einem zünftigen Lagerfeuer am Waldrand parkte, oder ein leicht laszives Vanlife-Girl, fotografiert bei geöffneter Van-Tür bei der Zubereitung des Frühstücks inmitten der Natur.

Mit dem Van jahrelang um die Welt reisen, die schönsten Orte entdecken, immer in der Natur sein, und vielleicht dann und wann am Laptop "worken", um etwas Geld in die Reisekasse zu spülen, das schien der deklarierte Traum der Globetrotter zu sein. Frei, unabhängig und hedonistisch. Sogar eigene Vanlife-Kochbücher gibt es, als ob man im Van anders essen müsste als auf einem normalen Campingplatz. Und natürlich fehlen auch Busbastler-Bücher nicht, denn was wäre ein schnöder Van von der Stange, ohne individuell angepasste Ausstattung?

Weil man auf Reisen anscheinend viel Zeit hat, um zu schreiben und Fotos zu machen, gibt es unzählige Vanlife-Blogs, die auch viel angeklickt werden. Einer der bekannteren Blogs ist bullitour.com, wo Anja, die mit Paul, ihrer großen Liebe, einem VW-Bus, unterwegs ist. Da ist Paul Nitzschke aus einer Kleinstadt mitten in Brandenburg, der sich 2014 einen Mercedes-Bus für 1200 Euro gekauft hat und damit echte Abenteuer in Georgien, im Kosovo oder in Tschetschenien erlebt, die er auf YouTube teilt. Mittlerweile, so hat er bei Interviews verraten, freuen er und seine Gefährtin Marcella Thurau sich schon wieder aufs heimatliche Zehdenick. Die Deutsche Katja Wolf, die längere Zeit bei Fernsehproduktionen arbeitete, stieg aus und gründete den Blog peace-love-om.de, in dem verschiedene Aussteiger über ihr mobiles Leben berichten.

Bei einem derartigen Hype ist es natürlich nur eine Frage der Zeit, bis die ganze Sache ins Gegenteil schwappt und die Grautöne ans Licht kommen. Es braucht keine großartige Recherche, um auf YouTube entsprechende Videos mit ganz anderen Nuancen zu finden. Allein mehr als 2000 Kommentare hat Jannick für sein YouTube-Video "Warum Vanlife nicht glücklich macht" erhalten. Oft sind es ja junge Pärchen, manche aus durchaus vermögendem Elternhaus, die im Van reisen - und leben. "Man hängt dabei auf engstem Raum, auf wenigen Quadratmetern, permanent aufeinander. Warum tun wir uns das an?", fragt Jannick eher rhetorisch. Schon den monatelangen Ausbau des Gefährts zu einer brauchbaren Wohnstätte sieht er im Nachhinein anders als am Anfang. "Die lustigen Reels lassen das Ganze immer so leicht und lustig aussehen. In Wirklichkeit sind es aber Monate voller Arbeit, die manchmal ganz schön nervt."

Natürlich ist das Leben im Van nicht nur negativ. "Es ist befreiend, mal die andere Seite kennenzulernen. Ein Leben nur mit dem Nötigsten … das hat so viele Vorteile. Aber am Ende des Tages nimmt auch das den normalen Lauf der Dinge: Alles, was besonders ist, wird irgendwann normal", beschreibt Jannick die Ernüchterung, die sich bei vielen Dauerreisenden früher oder später einstellt, wenn man tagtäglich mit einem sagenhaften Blick auf das weite Meer aufwacht. Der wird bei einem kurzen Jahresurlaub noch als sensationell wahrgenommen, bei dieser Art von Nomaden ruft er nach einer Weile dann aber nur noch ein Gähnen hervor. Auch am Spektakulären kann man sich sattsehen.

"Wer mit Vanlife glücklich werden will, wird scheitern. Vor sich selbst kann man nicht wegfahren. Ich war ein halbes Jahr unterwegs und musste nach drei Monaten Urlaub von den Ferien machen", lautet nur eine der Reaktionen auf Jannicks Video. "Vanlife auf Dauer wäre nichts für mich", lautet ein anderer Kommentar. Und: "Natürlich ist alles eine Frage der Sichtweise, aber nach längerer Zeit im Camper freue ich mich wieder auf den Luxus einer festen Bleibe."

Auf fünf Punkte, die oft zu Verdruss beim fahrenden Volk führen, macht "Fräulein Öko" in einem YouTube-Video aufmerksam. Da wäre zum Ersten die Feuchtigkeit: Selbst wenn ein Van regendicht ist, dringt doch oft Nässe in das Innere ein. Und wenn Holz - was die Sache ja gemütlich macht - in der Innenausstattung verbaut ist, kann das schnell zu Schimmel führen.

Wenn dann mehrere Regentage aufeinander folgen und Sachen getrocknet werden müssen, fehlt mitten in der Natur meist die Möglichkeit dazu. Und anders als auf einem Campingplatz, wo alles vorhanden ist, um Wäsche zu waschen, ist da beim Vanlife leider Fehlanzeige. Zugegeben, hier spielen auch die Ansprüche eine Rolle. Und die sind unterschiedlich. Jeden Tag die Unterwäsche zu wechseln darauf legen die wenigsten Vanlifer Wert.

Dann ist da noch die Sache mit der Ordnung: Auf Instagram-Fotos sind fast immer nur aufgeräumte Vans zu sehen. Hier scheint, lebensnah betrachtet, eine Idealisierung vorzuliegen. Auf sechs Quadratmetern zu leben läuft aber in der Realität fast immer auf Chaos hinaus.

Und das ist noch nicht alles an Schattenseiten des romantischen Minimalismus: Wer bislang dachte, das Leben im umgebauten Mehrtürer sei nachhaltig, muss umdenken. Vanlife ist ganz und gar nicht so toll öko, wie man annehmen möchte. Allein die Produktion eines Vans verbrauche mehr als 100 Tonnen Materialien und Ressourcen, wie der VCÖ, der Verkehrsclub Österreich, erklärt. Wenn das rollende Mini-Apartment bewegt wird, und das ist bei Vanlife ja nun durchaus der Fall, werden große Mengen an Mikroplastik frei.

Warum? Laut dem deutschen Fraunhofer-Institut für anwendungsorientierte Forschung ist Reifenabrieb die Hauptemissionsquelle von Mikroplastik. Wenn ein Fahrzeug noch dazu etwas schwerer ist, so wie ein Van eben, steigert sich auch der Reifenabrieb. Dann wären da noch die Faktoren Feinstaub im Abgas, Stickoxid, Ölverlust in der Natur, um nur einige zu nennen. Und eines ist auch klar: Alte Bullis schlucken extrem viel Sprit. Umweltfreundliches Reisen sieht anders aus.

Und was ist jetzt mit diesen neidisch machenden Fotos in Outdoormagazinen von Bullis, die malerisch am Seeufer oder im Wald parken, möglichst mit Lagerfeuer daneben? Eigentlich alles streng verboten, sowohl das wilde Parken im Wald als auch das Lagerfeuer.

Ein weiteres Problem ist die Optik: Wer schon einmal Naturschönheiten mit Fluss und See oder idyllische Orte mit historischen Gemäuern besucht hat und direkt daneben auf einen Haufen Vans von fragwürdiger Ästhetik, doch hingegen oft üppigen Dimensionen geblickt hat, wird wohl im Stillen diese Mobilkultur verwünschen.