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Frauenmangel in MINT: "Noch immer ein Problem mit Geschlechterklischees"

Der Frauenanteil in den MINT-Disziplinen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften,Technik) der Wissenschaft beträgt nur rund 20 Prozent. Warum sich Geschlechterstereotype so hartnäckig halten, MINT die Zukunft ist und welche Initiativen es braucht.

Zwei Forscherinnen aus den MINT-Disziplinen, bie denen Frauen stark unterrepräsentiert sind, teilen ihre Erfahrungen.
Zwei Forscherinnen aus den MINT-Disziplinen, bie denen Frauen stark unterrepräsentiert sind, teilen ihre Erfahrungen.

Wenn sich Universitätsprofessorin Christine Bauer mit einem Kollegen auf einer Konferenz befindet, wurde schon öfter automatisch angenommen, dass dieser ihr Chef sei. Auch Fragen wie "Beschäftigen Sie sich wirklich mit Algorithmen?" würden immer wieder auf Konferenzen aufkommen, obwohl sie kurz zuvor selbst ein entsprechendes Paper dazu präsentiert hatte. Anlässlich des "Tags der Frauen in der Wissenschaft" im Februar haben zwei Forscherinnen aus den MINT-Disziplinen - der Sammelbegriff für die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technologie - ihre Erfahrungen geteilt.

"Mit Männern wird gleich das Fachgespräch gesucht, als Frau muss man erst unnötige Fragen beantworten."
Christine Bauer
Paris Lodron Universität Salzburg

"Mit anderen Männern wird gleich das Fachgespräch gesucht, als Frau muss man immer wieder zuerst unnötige Standardfragen beantworten", berichtet Bauer weiter. Sie ist Professorin für Interactive Intelligent Systems am Fachbereich Artificial Intelligence and Human Interfaces an der Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS).

"Auf einer Konferenz wurde schon gefragt, ob ich wirklich einen PhD habe."
Alina Meindl
Fachhochschule Salzburg

Derartige Situationen kennt auch Alina Meindl, Fachhochschulprofessorin für Chemie und Fachbereichsleiterin des Studiengangs Materialwissenschaften und Green Engineering an der FH Salzburg: "Auf einer Konferenz wurde schon gefragt, ob ich wirklich einen PhD habe."

Die Verwunderung über Frauen in einer solchen Position kommt nicht von ungefähr, denn von einer Ausgewogenheit der Geschlechter in Wissenschaft und Forschung ist Österreich weit entfernt. Und das, obwohl Frauen die Männer bei den Abschlüssen mittlerweile überholt haben - laut einer Studie der Statistik Austria verfügen 21,2 Prozent der Frauen über einen Hochschulabschluss, bei den Männern sind es 17,1 Prozent. Jedoch steigt ihre Abbruchquote mit jedem weiteren Schritt auf der akademischen Karriereleiter. Blickt man etwa auf den Hochschulbereich, so sind nur 27 Prozent der Universitätsprofessuren in weiblicher Hand.

Allem voran in den MINT-Disziplinen sind Frauen stark unterrepräsentiert

2022 betrug der Frauenanteil in universitären MINT-Studiengängen lediglich 20 Prozent, an Fachhochschulen 23 Prozent. Das zeigt eine Studie der Initiative "LEA - Let's Empower Austria" in Kooperation mit dem Sozialministerium. Besonders gering ist der Frauenanteil in Informatik und Mathematik, die Naturwissenschaften Biologie und Chemie verzeichnen einen wesentlich höheren.

Dies trifft auch im Fall der beiden Wissenschafterinnen zu: Während Informatikerin Bauer auf Ebene der Professuren die einzige Frau am Fachbereich ist und der Anteil auch sonst gering sei, berichtet Chemikerin Meindl von einer ausgewogeneren Geschlechterverteilung.

Mit Geschlechterklischees waren jedenfalls schon beide konfrontiert. Bauer forscht zu Recommender Systems - intelligenten Technologien, die die Präferenzen der Nutzenden erkennen und ihnen auf Basis von Algorithmen weitere Inhalte empfehlen, wie es auf Spotify oder Amazon der Fall ist. "Im Rahmen des Exdigit-Projekts forsche ich zu Algorithmen und Data Science, aber eben auch zur menschlichen Interaktion mit Technologien", erzählt Bauer. Jedoch werde ihre Arbeit meist nur mit der Erforschung menschlichen Verhaltens assoziiert. "Da vermute ich schon, dass das am Geschlecht liegt", meint Bauer.

"Mädchen und Frauen wird vor allem in Informatik und Mathematik weniger Kompetenz zugetraut."
Carmen Wageneder-Schmid
Innovation Salzburg

"Wir haben nach wie vor ein Stereotypen- und Klischeeproblem bei Berufsbildern. Mädchen und Frauen wird vor allem in Informatik und Mathematik weniger Kompetenz zugetraut", sagt Carmen Wageneder-Schmid von der MINT-Koordinationsstelle, die bei der Innovation Salzburg eingegliedert ist. Das beginne in der Schule, wenn bei technischen Fragen eher Buben angesprochen werden, und ziehe sich weiter bis in Ausbildung und Studium. "Mädchen werden bei den MINT-Fächern oft nicht mitgedacht und ihnen wird vermittelt, dass das nichts für sie sei", erklärt Wageneder-Schmid. Dies könne zu einer "Confidence-Gap", also einem Geschlechterunterschied in Sachen Selbstbewusstsein, führen, wodurch sich Mädchen eine MINT-Ausbildung weniger zutrauen könnten.

MINT-Fächer: hoher Stellenwert bei Zukunftsthemen wie Klimaschutz oder Energiewende

Weiters spricht sie von einem grundlegenden "MINT-Problem". Die Abkürzung sei vielen nicht geläufig, die Fächer erfreuten sich keiner sonderlichen Beliebtheit und die meisten würden mit diesen Fachgebieten sperrige Berufsbilder verbinden. Allem voran Mathematik und Informatik seien negativ konnotiert. "Es ist wichtig, die MINT-Disziplinen mit zukunftsorientierten und gesellschaftsrelevanten Themen in Verbindung zu bringen", betont Wageneder-Schmid. Den Fächern komme bei Zukunftsthemen wie Klimaschutz und Energiewende ein enorm hoher Stellenwert zu.

Mehr MINT-Erfahrungsräume für junge Menschen und vor allem Frauen

Genau dieser Zukunftsgedanke war der Ansporn für Chemikerin Meindl. "Ich wollte schon immer etwas in Richtung einer grünen Zukunft bewegen und so wurde es die Chemie", erzählt Meindl. 2023 wurde ihr die FH-Professur verliehen, seit Mai desselben Jahres leitet sie den Fachbereich Material Science und Green Engineering an der FH Salzburg. "Ich erforsche erneuerbare Materialien, also Alternativen zu jenen, die aus fossilen Ressourcen hergestellt werden", erklärt die Forscherin. Dazu zählen zum Beispiel Klebstoffe, Dämmmaterialien oder Folien. "Es ist wichtig, jungen Menschen aufzuzeigen, wo sie etwas bewegen können", betont Meindl.

Dafür braucht es laut Wageneder-Schmid mehr Erfahrungsräume, in denen sich junge Menschen und vor allem Frauen in MINT ausprobieren könnten - und das am besten ab dem Kindergarten. "Mädchen und jungen Frauen muss die Option geboten werden, die MINT-Disziplinen zu erkunden, und das muss sich die Bildungskette entlangziehen", betont sie. Außerdem müsse der Geschlechter-Bias, der in den MINT-Disziplinen verankert ist, endlich aufgebrochen werden.

Mehr Vielfalt im Bereich MINT

Die Relevanz von mehr Vielfalt in der Forschung hebt auch Bauer hervor "Je bunter das Team und je mehr Sichtweisen zusammenkommen, desto mehr Lösungswege können entwickelt werden." Wenn weniger Frauen dabei sind, fehlten wichtige Perspektiven. Als Beispiel nennt sie das Training von Algorithmen auf Basis von Bildern. "Sind dort nur weiße Männer abgebildet, so bemerken Frauen eher, dass etwas fehlt", sagt Bauer. Das gelte auch für die Forschung zur Datafizierung im Gesundheitsbereich, da Frauenkörper schlichtweg anders funktionieren.

Bei der Bekanntmachung von MINT und der Förderung von Vielfalt im Bereich befinde sich Salzburg auf einem guten Weg. Wageneder-Schmid betont, dass sich mittlerweile ein breites Netzwerk etabliert habe: "Dabei sind viele Schulen, Hochschulen, akzente, die Kompass Bildungsberatung für Mädchen, AK, WK und viele mehr." In der Politik wird die MINT-Offensive bereits seit 2017 verfolgt, womit Salzburg Vorreiter in Österreich war. Auch bei den vom Bund verliehenen MINT-Gütesiegeln an Schulen habe Salzburg die Nase vorn. Zudem verzeichnet das Bundesland gleich zwei MINT-Regionen, nämlich Flachgau-Nord und Pongau, welche Angebote in den MINT-Fächern generell und speziell für junge Frauen schaffen.