SN.AT / Wochenende

Waren Sie schon einmal Pilgern? "Profis" nennen Gründe, es zumindest einmal zu versuchen.

Pilgerwege sind Abenteuer, die weit weg und ganz zu sich selbst führen. Warum der Rucksack jedes Mal leichter wird und warum Pilgerinnen nicht nur zum Beten in die Kirchen gehen.

Alma Becker-Seifert.
Alma Becker-Seifert.
Maria Mayrhofer.
Maria Mayrhofer.
Gabriele Steinbacher.
Gabriele Steinbacher.

Neun Tage waren es zuletzt, die Maria Mayrhofer und Gabriele Steinbacher gemeinsam gegangen sind. In Bayern, auf dem Jakobsweg von München nach Lindau. Vor allem im Pfaffenwinkel stolperten sie mit jedem zweiten Schritt über eine Kirche. Dass sie hineingehen, gehört für die beiden erfahrenen Pilgerinnen aus Thalgau dazu. Zum Beten oder als Unterschlupf, wenn es draußen schüttet. Vor allem aber wegen der Ruhe. Die ist keineswegs gestört, wenn einheimische Frauen in einer Kirche eine Maiandacht halten.

Das Gehen, die Einkehr und das Ankommen sind für Maria Mayrhofer zentrale Elemente des Pilgerns. Als "Opfer" - etwa dass es den Kindern und Enkelkindern gut gehen möge - sieht sie das Pilgern nicht. Auch Fasten müsse nicht sein. "Mir tut das Gehen mit einem spirituellen Hintergrund gut. Ich habe auch Lust beim Pilgern. Wenn man von Assisi nach Rom geht, gehört zur Pasta auch der Wein." Wie viel es sein darf, hat die Pilgerin in der Regel des heiligen Benedikt gelesen, die sie immer dabei hat. Dort steht in Kapitel 40 die kryptische Empfehlung, pro Tag nicht mehr als eine "Hemina" Wein zu trinken. Experten meinen, das sei ein Viertel. Aber wie man weiß, legte Benedikt seine Regel immer sehr menschlich aus.

Immer dabei ist ein Wanderführer für die Orientierung nach außen und ein Wallfahrerheft mit Gebeten, Liedern, Psalmen und Bibelzitaten für die Orientierung nach innen. Insgesamt werde der Acht-Kilo-Rucksack "plus Wasserflasche, Jause und Apfel" von Mal zu Mal leichter. "Wir gehen im Schnitt täglich 25 km. Da lernt man schnell, wie wenig man wirklich braucht."

Nicht einfach bei anderen Pilgern vorbeigehen

Ein Auswahlkriterium für den Weg ist die Sprache. Dafür hilfreich ist die Dritte im Bunde. Erika Lettner kann Italienisch. "Zum Pilgern gehört, dass man an den anderen, die auf dem Weg sind, oder an den Menschen, die am Pilgerweg beheimatet sind, nicht einfach vorbeigeht", sagt Gabriele Steinbacher. "Man redet ein wenig miteinander: Wo seid ihr her, wo geht ihr hin, seit wann lebt ihr hier?" Sprachkenntnisse sind die Brücke. "Erika fragt mitten auf einem Feldweg die Leute, wo es hier die nächste Cafeteria gebe. Mehr als einmal waren die dann so freundlich, dass sie uns spontan eingeladen haben."

Tipps gibt es manchmal von erfahrenen Pilgerführern. "Auf der letzten Etappe nach Rom wussten wir nicht, wie wir zu Fuß in die Stadt kommen. Da hat uns ein Pilgerführer um die Stadt herumgeleitet, sodass wir auf der Via Appia nach Rom gehen konnten."

Ein solcher Führer wäre auf jener Etappe nahe Padua willkommen gewesen, bei der sich Maria Mayrhofer das einzige Mal nicht mehr wohlgefühlt hat. "Wir hatten das Ziel schon bald nach Mittag erreicht und wollten nicht den ganzen Nachmittag verbummeln. Daher sind wir weitergegangen, zumal der Reiseführer in etwa zehn Kilometern ein Pilgerquartier angegeben hat." Dort angekommen, gab es weit und breit kein Albergo. Also hieß es weiter, zu einem ungewissen Ziel. "Wir sind todmüde in einem Quartier gelandet, das teuer war, weil es sonst in der Gegend keine Unterkunft gab, und alles andere als sauber …" Um eine Erfahrung reicher, hat Maria Mayrhofer seither immer einen Hüttenschlafsack im Gepäck. Ungemütlich erlebten die drei die vielen und großen Hunde an den Pilgerwegen in Italien. Zwar seien die Zäune meist sehr hoch gewesen, aber Lücken könne man wohl nie ganz ausschließen. Und dann?

Strenge Arbeitsteilung in der Pilgergruppe

Gut, dass man auf Pilgerwegen nie allein ist. "Wenn man nach Padua, Assisi oder Rom geht, geht immer auch der Heilige des Zielortes mit." Den Gedanken eines Franz von Assisi oder Antonius von Padua nachzugehen, gehöre dann zum Weg dazu.

Ebenso wie ein bisschen Abenteuer. "Immer einem Pilgerführer nachgehen" möchten die Thalgauerinnen nicht. Für die Planung gibt es eine Arbeitsteilung. Maria ist für die Route des nächsten Tages zuständig, Gabriele fürs Quartier, Erika für Anrufe und Fragen.

Jüngere Menschen auf Pilgerwegen haben die Thalgauerinnen wenige in Erinnerung. Ein Tipp führt zu Alma Becker-Seifert, einer Wienerin, die in Madrid studiert hat. Drei Wochen Ferien wollte sie für einen Trip nutzen. Ibiza oder Jakobsweg. Die Entscheidung - Alma Becker-Seifert spricht vom "Ruf" - fiel auf die Hauptroute des Pilgerweges. Von San Sebastian bis Bilbao zu Fuß, dann ein Stück mit dem Bus, den Camino Francés von León nach Santiago wieder zu Fuß - "mit viel zu viel Gepäck und Blasen an den Füßen". Damals war Becker-Seifert 24. Eine Bekannte, die selbst acht Mal den Camino gegangen war und sich 33 km vor Santiago niedergelassen hat, prophezeite ihr: "Wenn du nicht bis Finisterre gehst, wird dich der Weg wieder rufen." Zwei Jahre danach, mit 26, war es so weit, und schließlich noch einmal im 28. Lebensjahr auf dem Camino Primitivo von Oviedo nach Santiago.

Warum gehen so oft junge Erwachsene pilgern?

Als jüngere Pilgerin traf die Religionslehrerin mehr jüngere Leute, häufig junge Erwachsene in einem Umbruch, am Übergang vom Studium in die Arbeitswelt "oder weil es in der Partnerschaft gekriselt hat". Auf 18 bis 30 Jahre taxiert Becker-Seifert diese Gruppe. Dann kämen häufig Familiengründung und Kinderbetreuung dazwischen. Die nächste Altersgruppe, die man auf Pilgerwegen vermehrt antreffe, seien dann die "50 plus und 60 plus". "Die haben wieder mehr Zeit."

Das ist eine wesentliche Erfahrung: Pilgern braucht Zeit. Mindestens zehn Tage Abstand vom Alltag seien notwendig, um "in den Frieden des Pilgerns" einzutauchen, "in diese Welt, in der du nur aus dem Rucksack lebst und nicht täglich entscheiden musst, welche Schuhe ziehe ich an oder welche Ohrringe trage ich", erzählt die Religionslehrerin, die mit einer Schulklasse an der Ausschilderung des Jakobswegs Wien beteiligt war. Der längere Zeitraum führe dann auch zu jenen Momenten, "wo du dir sagst, das gibt es nicht". So wie die Wiederbegegnung mit einem Pilger aus Italien, den sie auf dem Camino Francés kennengelernt hatte. "Zwei Jahre später kreuzten sich unsere Wege ganz woanders: Er war so wie ich auf dem Camino Primitivo unterwegs."

Wo die drei Thalgauerinnen nächstes Jahr unterwegs sein werden, ist noch offen. "Sicher ist, dass wir pilgern gehen."