Ich fange meinen kleinen Aufsatz vielleicht mit einer historischen Feststellung an. Die lautet schlicht und einfach: Die größten "Überflieger" in der Geschichte waren oft miserable Schüler. Was uns gleich zum ersten Vorurteil bringt.
1. Kluge Kinder haben immer gute Noten:
Meine erste Behauptung wird gespeist aus Jahrzehnten an der Tafel und am "Katheder": Der Intelligenzquotient bestimmt keineswegs die Schulnote(n). Und umgekehrt. Neugier, Enthusiasmus und genügend Zeit sind möglicherweise nicht ganz unwichtig. Und erst recht, was das "Bravsein" betrifft: Eindrücklich habe ich in meinem Lehrerleben beobachten können, wie sich ehemals "verhaltensoriginelle" Schülerinnen und Schüler - vulgo "Kretzn" - zu kreativen und geistreichen Erwachsenen entwickelt haben.
2. Die Kinder werden immer dümmer:
Es existiert keine einzige Studie, keine wissenschaftliche Untersuchung, die dieses Vorurteil belegen würde. Auch wenn Personalchefs, einzelne Universitätsprofessorinnen und -professoren und der Stammtisch kritisieren, dass Schulabsolventen keinen geraden Satz schreiben, kaum sinnerfassend lesen und nicht mehr kopfrechnen können: Dadurch, dass sich Lerninhalte ständig verändern und Erwartungen an die Jugendlichen wahrscheinlich gestiegen sind, sind Vergleiche nicht zielführend bzw. von vornherein nicht sehr aussagekräftig. M. Voracek und J. Pietschnig etwa haben dazu in "Perspectives on Psychological Science" überzeugende Forschungsarbeit geleistet.
3. In kleinen Klassen ist der schulische Erfolg größer:
Der Wunsch vieler Lehrer und Lehrerinnen nach kleineren Klassen wurde von der Bildungspolitik in den letzten Jahrzehnten weitgehend erfüllt. Für Lehrpersonen ist das Unterrichten in kleineren Gruppen auf jeden Fall weniger anstrengend. Signifikant bessere Erfolge der Schüler und Schülerinnen wurden jedoch - vielleicht sogar überraschenderweise - nicht erzielt. Der Grund dafür ist vermutlich, dass die Lehrpersonen trotzdem gleich unterrichten … Auch das Argument, dass man sich in kleineren Klassen den Kindern von Migranten besser widmen kann, hinkt: Entscheidend für den schulischen Erfolg der Kinder ist die soziale Lage der Eltern. Allerdings sind häufig Migrationshintergrund und gleichzeitig niedriger sozialer ökonomischer Status in denselben Familien anzutreffen. Die Wochenzeitung "Die Zeit" hat darüber berichtet, eine McKinsey-Studie zitierend.
4. Der traditionelle Frontalunterricht ist schlecht, und zwar immer:
Das bekannte Diktum, wonach der lehrerzentrierte Unterricht die Schüler und Schülerinnen einschläfert bzw. die Eigenaktivität der Kinder und Jugendlichen unterbindet, ist, was es ist: ein Vorurteil. Lernschwache Schüler profitieren von einem lehrkraftzentrierten Unterricht oft mehr als von anderen Unterrichtsformen. Kinder aus bildungsnahen Familien erzielen dagegen in offenen Lernformen gute Erfolge. In der Vermittlung von Faktenwissen bewährt sich der gute, alte Frontalunterricht genauso. Wenn es um Anwendungskompetenzen geht, sind hingegen andere Methoden besser. An sich gilt: Alle Schüler und Schülerinnen einer Klasse lernen mit den gleichen Methoden nicht gleich gut. Siehe dazu etwa die Forschung von S. Hopmann (Uni Wien), G. Schwendt (Uni Konstanz/Ifo München), A. Czejkowska (Uni Graz), H. Gudjons (Uni Hamburg).
5. Eliteschulen sind bessere Schulen:
Viele Eltern sind bestrebt, für ihre Kinder die "perfekte" Schule zu finden. Dafür werden viel Zeit, Geld und viele Kilometer investiert. An sogenannten Kaderschmieden lernen ihre Kinder jedoch auch nicht mehr als in anderen, vergleichbaren Schulen. Kluge Kinder bringen an fast allen Schulen annähernd die gleichen Ergebnisse. Über entsprechende Erhebungen berichteten zuletzt etwa die "Presse" und der MDR. Dass manchmal Schüler und Schülerinnen an Eliteschulen sehr gute Leistungen erbringen, liegt größtenteils daran, dass diese Bildungseinrichtungen sich ihre Klientel gezielt aussuchen.
6. Der frühe Vogel fängt den Wurm:
In Österreich beginnt die Schule früh - für viele Jugendliche zu früh. Gerade in der Pubertät fühlen sich manche "Nachteulen" zu Beginn des Vormittags noch zu müde für den Unterricht. Unterstützung bekommen sie von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und von der Universität in Bologna. Nahezu alle Experten (Entwicklungspsychologinnen, Erziehungswissenschafter, Ärzte) fordern einhellig einen späteren Schulbeginn - allerdings vergebens.
7. Sprachen lernt man nur als Kind schnell und gut:
Kinder lernen spielerisch mehrere Sprachen gleichzeitig. Bilingual erzogene Kinder "switchen" erstaunlich schnell zwischen den Sprachen hin und her. Und doch: Ältere Menschen lernen Sprachen - bei entsprechender Motivation - auch sehr gut. Die Gehirnstrukturen, die für semantische Bezüge und grammatische Gesichtspunkte zuständig sind, "arbeiten" bei Älteren sehr schnell. Entscheidend sind hier wieder die Lernmethoden, wie Daten etwa des Goethe-Instituts und auch der Uni Wien nahelegen.
8. Digitales Lernen macht Schüler schlauer:
Es lebe die papierfreie Schule - in der man in Zukunft nichts mehr aufschreiben wird (müssen). Stattdessen arbeiteten die Jugendlichen am Notebook. So der Irrglaube vergangener Jahre. Mittlerweile ist bekannt, dass der Mensch viel besser lernt, wenn er Sachverhalte notiert, Beziehungsnetze sinnlich erfährt bzw. diskutiert und buchstäblich mit Hand, Hirn und Herz dabei ist. Schüler und Schülerinnen sind am Computer (auch nach eigenen Aussagen!) leicht abgelenkt. Die Achtsamkeit, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, fällt ihnen schwer. Wie wichtig der direkte, menschliche Kontakt zwischen Schülern, Schülerinnen und Lehrpersonen ist, weiß man spätestens seit der Corona-Homeschooling-Phase. Die Uni Ulm und die Hochschule Mannheim haben dazu interessante Fakten vorgelegt. Auch das Vorurteil, wonach Burschen hauptsächlich an "hard facts" bzw. Mädchen an "soft skills" interessiert wären, das habe ich in meiner Laufbahn nicht verifizieren können.
9. Je mehr Geld man ins System buttert, umso klüger die Schüler:
Statistisch müssten Schüler und Schülerinnen in Städten oder Regionen, die am meisten für das Schulsystem ausgeben, die klügsten sein. Sind sie aber nicht - weil oftmals viel Geld in doppel- oder mehrgleisigen Systemen verschwindet oder für zweifelhafte Leuchtturmprojekte ausgegeben wird. Stattdessen spielen wieder einmal viele Faktoren eine große Rolle, wie zufrieden alle (!) Schulpartner sind - also Lehrpersonen, Schüler und Schülerinnen und Eltern. Hervorragend ausgebildete Pädagoginnen, die man ordentlich bezahlt, und eine gut ausgestattete Infrastruktur sollten selbstverständlich sein. Siehe auch Publikationen der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung oder der Agenda Austria. Das politisch inspirierte und auffällig vor Lohnverhandlungen stattfindende Lehrerbashing sollte endgültig der Vergangenheit angehören.
Ob nun Kinder, die fröhlich aus der Schule erzählen, oder ob die berühmte Hattie-Studie zitiert wird: Von ihrem Fach begeisterte Lehrer und eine motivierende, angstfreie, oft auch lustvolle Lernumgebung tragen sehr viel dazu bei, dass Schule gelingt. Egal wo.
- Herbert Hopfgartner, Jahrgang 1965, ist Musiker, Pädagoge, Publizist und Kulturwissenschafter. Er lebt in Salzburg, wo er auch unterrichtet, und in Kleinwarasdorf (Mittelburgenland).
