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Als Soldaten das Bier illegal ins Schloss Mirabell schmuggelten

Spektakuläre Erfolge, furiose Pleiten, köstliche Anekdoten: Das Bierland Salzburg sprudelt regelrecht vor außergewöhnlichen Geschichten.

Hermann Fröschl
Kaltenhausen war um 1900 der Gigant unter Salzburgs Brauereien.
Kaltenhausen war um 1900 der Gigant unter Salzburgs Brauereien.

Kein Bier am Heiligen Abend? Auch das noch, dachten vorige Woche wohl einige, als die Bierbrauer in Streik traten. Es war der bislang letzte Aufreger in einer Branche, die Salzburg seit ewigen Zeiten mitprägt. 1374 wurde die erste Brauerei erwähnt - und nein, es war nicht Stiegl. Aber dazu später.

"Beschwipst oder betrunken zu sein war damals normal"

Beginnen wir im sprichwörtlichen Rausch um den Gerstensaft, der rund um das Jahr 1900 seinem Höhepunkt zuwankte. Über 200 Liter pro Jahr becherte der Salzburger damals. Das ist doppelt so viel wie heute. Maßkrug und Stammtisch waren zur schunkelnden Einheit verwachsen - gepaart mit derben Sprüchen und schwindenden Sinnen. "Beschwipst oder betrunken zu sein war damals normal", sagt Harald Waitzbauer, ein Kenner des Bierlandes Salzburg und Stiegl-Chronist. Bierpaläste wie der Stieglkeller entstanden und Postkarten mit Biermotiven aus Salzburg wurden in alle Welt verschickt. Das Bier war richtig in Mode gekommen. Nicht nur beim einfachen Fußvolk, sondern auch in höheren Gesellschaftskreisen.

Abgeschüttelt war die bittere Armut, mit der Hungersnot von 1816. Halbwegs überwunden auch die Loslösung von Bayern und die Bindung an das verhasste Wien, das Salzburg lang mit Ignoranz und Nichtbeachtung strafte. 1816 war Salzburg österreichisch geworden.

Der erbitterte Konkurrenzkampf vernichtete viele kleine Brauereien

Die Eisenbahn rollte, erste Hotels eröffneten und der Bierstrom quoll sprichwörtlich über. Aus heutiger Sicht kaum noch zu glauben: 1890 war die Brauerei in Kaltenhausen der Gigant unter Salzburgs Brauereien. In Hallein braute man 105.600 Hektoliter, Stiegl kam erst auf ein Drittel davon. Der erbitterte Konkurrenzkampf sollte viele kleine Brauereien vernichten. Eben auch die erste, 1374 urkundlich erwähnte Brauerei: Das Schlammbräu in der heutigen Dreifaltigkeitsgasse versank in den Wirren des Ersten Weltkriegs für immer.

Trinkspruch auf historischem Bierkrug.
Trinkspruch auf historischem Bierkrug.

Das Fußballmatch Simmering gegen Kapfenberg sei wahre Brutalität, meinte einst Qualtinger. Er übersah Kaltenhausen gegen Stiegl. Fintenreich und mit harten Bandagen wurde um jeden Kunden gekämpft. Heinrich Kiener I., der legendäre Stiegl-Boss, warf sich 1907 höchstpersönlich in die Schlacht. Das Gasthaus Zum Mohren in der Judengasse musste ins Stiegl-Reich. Über einen Monat lang besuchte er täglich die prallvolle Gastwirtschaft, plauderte mit Gästen, tanzte mit der Wirtin und zechte bis zum Morgengrauen. Als er den Wirtsleuten noch Geld vorstreckte, pfiffen die endgültig aufs Zipfer-Bier.

Um Stiegl war es schlecht bestellt

Stiegl war jahrhundertelang in der Gstättengasse situiert, wo heute die Partymeile der Stadt jedes Wochenende bebt. Die Übersiedlung nach Maxglan 1863 mit viel Grün für Expansion sollte sich später als Glücksgriff erweisen. Als Heinrich Kiener I. mit der Familie Huemer 1889 übernahm, war es um Stiegl aber schlecht bestellt. Das Bier war nicht gut, die Brauerei in Not - und Kiener erst 19 Jahre alt. Doch der junge Kerl hatte es in sich, verdreifachte den Bierausstoß binnen zehn Jahren und sollte bis 1950 das Stiegl-Reich dirigieren - 61 Jahre lang, durch beide Weltkriege und Wirtschaftskrisen. "Er war ein Monolith, unheimlich beliebt, leutselig und spendabel", sagt Waitzbauer.

Stiegl zog 1863 nach Maxglan.
Stiegl zog 1863 nach Maxglan.

Es galt die Devise: schnell trinken!

Ehe die Industrialisierung das Sterben der kleinen Brauer besiegelte, war die Bierlandschaft bunt und vielfältig. Die Erzbischöfe hatten zwar nur fünf staatliche Hofbrauereien, darunter Kaltenhausen, mit einem Verkaufsprivileg ausgestattet. Doch sie ließen auch ein Schlupfloch: Wer eine Ausschank hatte, durfte dort eigenes Bier servieren. So gab es in der Stadt Salzburg 13 Brauereien, davon zwölf private wie Stiegl und das Augustiner Bräu in Mülln. Ebenso viele zählte Hallein. Bis 1820 verteilten sich 78 kleinere und größere Sudhäuser aufs Bundesland. Die Gasthäuser waren beliebte Treffpunkte und Gesprächsthema. Mozarts Schwester Nannerl berichtete vom "Kegelscheibn im Stieglbreü" mit ihrem Bruder. Erste Reisejournalisten beklagten jedoch auch üble Magenschmerzen nach dem Biergenuss. Lange Zeit war nur obergärig gebraut worden. Man verwendete Gerste, Hafer, mischte Kräuter dazu. Das Fehlen von Hefe konnte aber wahrhaftig schmerzhaft sein. Das Bier wurde so rasch sauer. Es galt die Devise: schnell trinken!

Heinrich Kiener I. und Onkel Franz Huemer starteten den Stiegl-Erfolgslauf.
Heinrich Kiener I. und Onkel Franz Huemer starteten den Stiegl-Erfolgslauf.

Es gab viele Versuche, die Verkaufsverbote der Privatbrauer zu umgehen

Die staatlichen Hofbiere hatten zudem nicht immer den besten Ruf. So gab es zahllose Versuche, Verkaufsverbote der Privatbrauer zu umgehen. Der Salzburger Historiker Gerhard Ammerer berichtet von Soldaten, die das beliebte Müllner Bier illegal in die Kaserne beim Schloss Mirabell schmuggeln wollten. Ammerer fand gar ärztliche Atteste, in denen Magenkranken bescheinigt wurde, dass das Müllner Bier ihr Leiden lindern würde. Gerade die Augustiner Eremiten in Mülln waren kreativ beim Umschiffen der Verkaufsverbote. Davon zeugt reger Schriftverkehr zwischen dem Kloster und Regierungsbehörden in Archiven.

Das früher derbe Image hat die Branche abgestreift

Heute sind nur wenige übrig. Wie eben das Augustiner Bräu oder die Trumer Privatbrauerei. Kaltenhausen spielt mit, ist von früherer Größe aber weit entfernt. Stiegl thront mit 700 Beschäftigten und einem Jahresausstoß von rund einer Million Hektolitern auf der obersten Stufe des Treppchens. Das Verdienst des aktuellen Eigentümers Heinrich Dieter Kiener ist es, Kaufangeboten internationaler Konzerne widerstanden zu haben, Stiegl selbst auf Expansionskurs gebracht und aus Bier ein (edles) Kulturgut geformt zu haben. Letzteres ist aber nicht nur Kieners Verdienst. Auch Trumer in Obertrum punktet mit Kreativität und Vielfalt. Und regionale Brauereien beleben die Szene - wie das Pinzgau Bräu mit seinem Craftbier.

Das früher derbe Image hat die Branche abgestreift. Umso fataler wären streikende Brauer zu Weihnachten gewesen. Aber auch das ist ja Geschichte. Die Bierbrauer erhalten 7,4 Prozent mehr Gehalt. Und die Bierlager sind voll. Prost Weihnachten!