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Wie gesund ist Yoga wirklich? "Am besten erforscht ist die Wirksamkeit bei chronischen Schmerzen"

Die gesundheitsfördernde Wirkung von Yoga ist durch viele Studien belegt. Es kann sogar bei der Heilung schwerer Krankheiten helfen.

Wie wirkt Yoga auf Körper und Geist?
Wie wirkt Yoga auf Körper und Geist?

Einen biegsamen Körper und einen entspannten Geist: Das erhoffen sich die meisten, die mit Yoga beginnen. Doch Yoga bietet viel mehr als das: Eine Vielfalt der gesundheitsfördernden Effekte der indischen Yoga-Lehre ist inzwischen wissenschaftlich belegt. So soll die regelmäßige Praxis unter anderem zu besserem Schlaf und geringerem Schmerzempfinden führen. Auch bei Krebserkrankungen soll Yoga, wohlgemerkt als Zusatztherapie, unterstützend wirken.

Holger Cramer, Professor zur Erforschung komplementärmedizinischer Verfahren am Uniklinikum Tübingen und am Bosch Health Campus in Stuttgart, erklärt: "Seit den Nullerjahren gibt es eine enorme Zunahme an Yoga-Forschung, jährlich erscheinen zwischen 50 und 100 randomisierte Studien."

Yoga reduziert chronische Schmerzen erfolgreich

Cramer, der selbst seit 15 Jahren die Wirksamkeit von Yoga untersucht, gilt als einer der weltweit führenden Experten auf dem Gebiet und meint: "Am besten erforscht ist die Wirksamkeit von Yoga bei chronischen Schmerzen. Dabei hat sich gezeigt, dass Yogaübungen anhaltende Rücken- und Nackenschmerzen lindern können und ebenso wirksam sind wie beispielsweise Krafttraining oder Physiotherapie." Laut einer von Cramers Studien und einer weiteren der Berliner Charité konnten Probanden, die zehn Wochen lang ein Mal pro Woche 90 Minuten Yoga-Unterricht nahmen, ihre Nackenschmerzen deutlich reduzieren.

Yoga lindert Nebenwirkungen bei Krebs

Eine andere Studie der University of Washington zeigte, dass 80 Prozent der Menschen, die an Rückenschmerzen litten und ein halbes Jahr lang mindestens ein Mal pro Woche Yoga praktizierten, auf Schmerzmittel verzichten konnten. Umfangreich ist laut Cramer aber auch die Studienlage im Bereich der - begleitenden - Behandlung von Krebs, sagt Cramer: "Yoga trägt zur Linderung von Nebenwirkungen der Krebstherapie wie Chemotherapie oder Bestrahlung bei, indem es Ängstlichkeit, Depression und Fatigue reduziert."

Da Yoga laut Cramer die wirksamste nicht medikamentöse Methode gegen anhaltende Fatigue ist, arbeitet der Forscher derzeit auch an einer Studie zur Wirksamkeit von Yoga zur Linderung von Fatigue bei Post-Covid-Patienten.

Yoga senkt Herz-Kreislauf-Risiko

Etliche Studien hätten zudem gezeigt, dass Yoga das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken könne: "Yogaübungen zeigen eine ähnlich stark blutdrucksenkende Wirkung wie die Einnahme eines entsprechenden Medikaments - wobei sich hier gezeigt hat, dass die Berücksichtigung von Yoga-Atemtechniken wichtig ist, um den Effekt zu erzielen", sagt Cramer. Denn der Atem spielt bei Yoga eine zentrale Rolle und erklärt zum Teil die positive Wirkung. Cramer: "Der Atem ist unser einziger direkter Zugang zum autonomen Nervensystem, welches für die neuronale Steuerung der inneren Organe verantwortlich ist."

Seit den 1960er-Jahren wird Yoga auch in westlichen Ländern praktiziert. Der Yogaboom ist längst auch in Österreich angekommen. Das Angebot ist heutzutage so groß wie nie zuvor und reicht vom sportlichen Power-Yoga über spirituelles Kundalini-Yoga bis hin zu schweißtreibendem Bikram-(Hot-)Yoga, das in einem auf 38 Grad aufgeheizten Raum praktiziert wird.

Während die Forschung in westlichen Ländern die Körperübungen (Asanas) im Vordergrund sieht, haben Studien aus Indien, wo Yoga vor mehr als 3500 Jahren entstand, eher die Atemtechniken im Blick. Auch bei der Behandlung von Depressionen spielt der Atem eine zentrale Rolle. Denn langsameres Atmen soll auch den Mandelkern dämpfen - also jenes Gefühlszentrum des Gehirns, das bei depressiven Menschen überaktiv ist. Das zeigt eine Studie der Uni Graz aus 2020: Demnach ging es depressiven Patientinnen und Patienten nach fünf Wochen mit der üblichen Standardtherapie plus Atemübungen deutlich besser als jenen, die dieses Atemtraining nicht durchführten.

"Metastudien legen nahe, dass Yoga bei Depressionen effektiv ist", erklärt Cramer - und ergänzt: "Anders als frühere Studien nahelegten, gilt das nicht nur für leichte, sondern auch für klinisch-schwerwiegende Depressionen."

"Herabschauender Hund", "Katze-Kuh" oder "Schmetterling": Wer zum ersten Mal eine Yogastunde besucht, fühlt sich mitunter, als müsste er oder sie nicht nur neue Bewegungen, sondern auch eine neue Sprache lernen. Richtig kompliziert wird es aber, wenn die Yogalehrerin die nächste Asana (Yogaübung), im altindischen Sanskrit ansagt. Doch diese Körperübungen, die in oft durchgestylten Yogastudios vorrangig praktiziert werden, sind nur ein Teil der traditionellen indischen Lehre. Ursprünglich handelt es sich bei Yoga um eine philosophische Lehre, die auch Meditation, spirituelle Praxis, Askese, Gesang, einen achtsamen Umgang mit der Umwelt sowie Atemübungen vorsieht.

Atemübungen aktivieren den Vagusnerv

Wie positiv sich Atemübungen und bewusstes Atmen auf die Gesundheit auswirken, ist wissenschaftlich erwiesen. Wichtig ist dabei, länger aus- als einzuatmen. Denn dadurch wird der Vagusnerv des autonomen Nervensystems aktiviert, der Körperfunktionen wie den Herzschlag herunterfahren kann.

Yoga kann aber auch beim Abnehmen unterstützen: Das zeigt unter anderem eine vom Yogaexperten Holger Cramer durchgeführte Studie, die 2016 im renommierten "Deutschen Ärzteblatt" publiziert wurde. Dabei praktizierte eine Gruppe von übergewichtigen Frauen über einen Zeitraum von drei Monaten zwei Mal wöchentlich 90 Minuten Yoga. Das beachtliche Resultat: Im Gegensatz zur Kontrollgruppe hatte die Yogagruppe nach Studienende zweieinhalb Kilo abgenommen, bei höherer Muskelmasse; der Bauchumfang hatte sich um vier Zentimeter reduziert. "Was daran so erstaunt, ist, dass bei den Yogaübungen der Grundumsatz gar nicht so hoch ist. Daher gehen wir davon aus, dass sich Yoga auch auf den Lebensstil auswirkt. Aufgrund der Stressreduktion wird bei Yogapraktizierenden weniger Cortisol ausgeschüttet und sie ernähren sich bewusster", sagt der Fachmann.

Doch ist Yoga für jeden und jede geeignet? "Das ist ein weiterer Vorteil von Yoga: Es gibt keine Kontraindikationen und es eignet sich, mitunter in angepasster Form, für alle", sagt er. Dennoch sei manchmal Vorsicht geboten: etwa bei Grünem Star, einer Abflussstörung des Auges. Denn die bei Yoga oft praktizierten Umkehrhaltungen können den Augeninnendruck erhöhen und ein Glaukom verschlimmern, was im schlimmsten Fall zu Erblindung führen kann, warnt Cramer.

Generell empfehlen Praktiker, ein Yogaangebot zu wählen, das zum eigenen Fitnesslevel und zum persönlichen Ziel passt. Das Angebot reicht von Hormonyoga für Frauen in den Wechseljahren oder mit Kinderwunsch über die ganzheitliche "Yogatherapie", die Yoga mit moderner Medizin verbindet, bis hin zum entspannenden Yoga Nidra ("Schlafyoga"), das "völlige Tiefenentspannung bei klarem Bewusstsein" verspricht.

Und das Verletzungsrisiko? Das sei bei Yoga ähnlich hoch wie bei anderen Sportarten, sagt Cramer: "Jeder fünfte Yogapraktizierende hat sich schon einmal leicht verletzt, aber auf 1000 Stunden kommen gerade einmal 0,7 Verletzungen." Die Verletzungsgefahr steigt aber, wenn Anfängerinnen und Anfänger mit Yogavideos starten ohne Unterstützung durch einen oder eine Yogalehrende. Nichts einzuwenden sei gegen die Teilnahme an Livestreamings, "wenn sie gut gemacht sind", sagt er.