Es braucht oft nur ein paar Stunden - und eine Kurve, hinter der plötzlich der Wald dichter wird, das Tal sich weitet, das Handy verstummt. In der Hochsteiermark ist dieser Punkt schnell erreicht. Und mit ihm das Gefühl: Hier darf man langsam werden, ja, man soll sogar. Kaum eine Region verkörpert Ruhe so authentisch wie die Heimat des Schriftstellers Peter Rosegger. Für ihn war die Natur mehr als Kulisse - Trost, Schönheit und Lehrmeisterin zugleich.
"Kein Mensch auf Erden hat mir je so viel Freude bereitet als die Natur mit ihren Farben, Klängen, Düften, mit ihrem Frieden und ihren Stimmungen", schrieb er. Ein Pionier in vielerlei Hinsicht. Denn obwohl er als Kind kaum Schulbildung erhielt, wurde er einer der meistgelesenen Autoren seiner Zeit. Und er setzte sich schon früh für den Erhalt kleinbäuerlicher Strukturen ein, für Bildung für alle und naturnahe Lebensweisen - und war auch damit seiner Zeit weit voraus.
Verheißungsvolles blaugrünes Auge in der Ferne: der Erlaufsee.
Wer heute durch die Wälder seiner "Waldheimat" wandert, versteht, was er meint. Denn hier in der waldreichsten Region der Steiermark, wo anstatt des Straßenverkehrs lieber so manche Lärche rauscht, verliert sich der Lärm des Alltags ganz von selbst. Schon die Anreise kann ein erstes Loslassen sein: Im Panoramawagen der Mariazellerbahn rattert man von St. Pölten in knapp zweieinhalb Stunden durch Täler und über Viadukte, vorbei an Wiesen und Wäldern bis nach Mariazell. Spätestens beim Umstieg in die Museumstramway, die gemütlich zum Erlaufsee tuckert, hat der Alltag endgültig Pause.
BILD: SN/STEIERMARK TOURISMUS/NADINE PINEZITS
Einen Gang zurückschalten mit Nostalgie: die Museumstramway.
Die friedvolle Atmosphäre setzt sich auf dem See fort, wenn das Boot lautlos auf dem Wasser gleitet oder der Mensch im Badekleid genüsslich abtaucht. Der Bergsee mit Trinkwasserqualität erreicht im Sommer immerhin 19 bis 22 Grad. Grenzgang inbegriffen: Wer ihn umrundet, wechselt fast unbemerkt das Bundesland.
BILD: SN/STEIERMARK TOURISMUS/NADINE PINEZITS
Wald tut Auge und Seele gut – sagt auch die Wissenschaft.
Für den Blick von oben geht es auf 1270 Meter Seehöhe: In sieben Minuten bringt der Bürgeralpe-Express Besucher vom Mariazeller Ortskern zur Erzherzog-Johann-Warte - in der Steiermark ein emblematischer Name. War doch der eigenwillige Erzherzog einer der prominentesten Förderer der Region. Von der nach ihm benannten Warte aus gibt es jedenfalls einen sagenhaften Ausblick auf das Umland: Der Erlaufsee leuchtet blaugrün, das Hochschwabmassiv strahlt stille Kraft aus.
BILD: SN/NADINE PINEZITS
Mariazell im sanften Abendlicht.
Im Herzen von Mariazell offenbart sich eine ganz andere, aber ebenso wertvolle Ruhe - die eines jahrhundertealten Pilgerorts. Der Grundstein für die imposante Basilika, einen der bedeutendsten Wallfahrtsorte Mitteleuropas, wurde im 12. Jahrhundert gelegt. Ihr heutiges barockes Antlitz verdankt sie mehreren Umbauten ab 1644. 1907 wurde die Basilika sogar zum österreichischen Nationalheiligtum erhoben. Historie also auf Schritt und Tritt, trotzdem schlägt hier ein moderner, vitaler Puls.
So auch im Brauhaus Mariazell. Das Wirtshaus besteht seit 1673, im Jahre 2024 haben Peter und Helga Lindmoser das traditionsreiche Haus übernommen. Seitdem werden hier zwischen Butzenscheiben, Kupferkessel und Kachelofen frisch gebrautes Bier und die echt steirische Küche mit einem frischen Blick und vor allem regionalen Zutaten versehen. Das sei für ihn mehr als nur ein Schlagwort, sagt Peter Lindmoser, sondern gelebte Philosophie. Oder einfacher formuliert: "Wir wollen unsere Gäste mit authentischen Produkten verwöhnen."
BILD: SN/MONTE STYRIA LINDMOSER
Peter und Helga Lindmoser.
Sagt er und hebt sein Glas "Erz-Hans-Bitter", einen alkoholfreien Longdrink aus Alpenwurzeln und Kräutern. Dessen Essenz bezieht er von einer 30 Kilometer entfernten Destillerie, produziert wird er von einer befreundeten Kleinbrauerei.
"Man soll spüren, dass Ruhe mehr ist als nur Abwesenheit von Lärm."
Johannes Hesele
Bauer und Gastgeber
Doch nicht nur mitten im Ort ist der enge Bezug zur Region spürbar. Auch in Langenwang, am Ende des Pretulgrabens auf 1040 Metern, geht es um Qualität und Herkunft. Hier hat Familie Hesele das alte Wohnhaus und den "Getreidekasten" ihres Hofes behutsam zu zwei stilvollen Gästehäusern umgebaut. "Ich wollte etwas schaffen, das nicht laut wirkt, sondern leise bleibt. Wie die Region selbst", sagt Johannes Hesele und blickt zufrieden um sich. Alte Holzbalken und Naturstein erzählen von bäuerlicher Vergangenheit, während klare Linien und heimische Materialien Moderne und Raum für Rückzug schaffen. "Hier soll man ankommen und spüren, dass Ruhe mehr ist als nur Abwesenheit von Lärm", fügt er hinzu.
BILD: SN/NADINE PINEZITS
Der Ruhebauer: Johannes Hesele.
Die Natur ist hier nicht nur Landschaft, sondern Lebensquelle und Raum für intensive Erfahrungen zugleich. Wer verstehen möchte, was das bedeutet, muss vor allem hinaus in den Wald. Auf dem Wald-zu-Wald-Wanderweg in Peter Roseggers Waldheimat führt Peter Rossegger - letzter Vollerwerbsbauer am Alpl und mit einem "s" mehr in seinem Namen als der prominente Steirer und bekennende "Waldbauernbub"
BILD: SN/LANDESARCHIV STEIERMARK
Naturfreund und Pionier: Peter Rosegger.
BILD: SN/NADINE PINEZITS
Lebt mit und im Wald: Peter Rossegger.
.
Den Waldpädagogen und Förster verbindet nicht nur diese Ähnlichkeit mit dem berühmten Schriftsteller, auch er lebt in und mit seiner grünen Umgebung. "In unserer schnelllebigen Zeit werden wir mit so vielen Eindrücken zugeschüttet, dass wir sie oft gar nicht mehr verarbeiten können." Zu viel Adrenalin: Früher sei es ums Überleben gegangen, heute reiche schon ein überfülltes E-Mail-Postfach, um in Stress zu geraten.
"Der Wald bietet etwas, das vielen fehlt: einen echten Ausgleich", sagt Peter Rossegger. Wer in den Wald geht, senkt Blutdruck, Puls und Stresshormone - das ist wissenschaftlich belegt. Und Studien zeigen, dass 20 Minuten im Wald nachweislich den Cortisolspiegel senken.
BILD: SN/STEIERMARK TOURISMUSHARRY SCHIFFER, TOM LAMM/NADINE PINEZITS
Draußen spielen wie zu Peter Roseggers Zeiten – hier vor seinem Geburtshaus.
Mit über 75 Prozent Waldanteil gehört die Hochsteiermark zu den waldreichsten Regionen Österreichs. Doch der Wald ist hier nicht nur Ruheoase, sondern bewirtschafteter Lebensraum. Und der Waldhüter bricht eine Lanze für seinen Beruf: "Ohne Pflege gäbe es keine Wege, keine Bestände, keine Erholung."
Wie stark die Beziehung zwischen Mensch und Natur sich im Laufe der Zeit gewandelt hat - das zeigt auch die Sonderausstellung "Kindheit im Wandel - Von der Strohpuppe zum Smartphone" im Peter-Rosegger-Museum in Krieglach. Sie führt in eine Zeit, in der Kinder draußen spielten, auf der Wiese, im Wald, mit einfachen, kleinen Dingen, aber mit großer Fantasie. Ohne Bildschirme, ohne Dauerbeschallung, ohne Musik aus der Konserve.
BILD: SN/STEIERMARK TOURISMUSHARRY SCHIFFER, TOM LAMM/NADINE PINEZITS
Blick ins Interieur des Rosegger-Museums.
Die Stille von einst ist eine Fähigkeit, die es heute neu zu erlernen gilt. Denn Ruhe zeigt sich oft erst, wenn man den Mut hat, das Gewohnte loszulassen. "Manches Vergnügen besteht darin, dass man mit Vergnügen darauf verzichtet", wusste schon Peter Rosegger. Wohl kein Zufall, dass genau diese Haltung hier, bei den Menschen in der Hochsteiermark - ob Landwirt, Gastgeberin oder Waldpädagoge -, noch immer zu finden ist.
Für sie hat sich die Region ihre Ruhe bewahrt. Und das bekommen auch die Gäste zu spüren - im wohltuenden Sinne. Kein überlaufener Hotspot, keine Inszenierung. Sondern ein stiller, kraftvoller Ort, in dem man sich verlieren darf - um sich dann wiederzufinden.
BILD: SN/TOM LAMM | IKARUS.CC
Guter Plan: auf dem Weg zum Hochschwab.
INFO & ADRESSEN
Schlafen & Essen: Montestyria, Chalets und Suiten, Michelin-Key-ausgezeichnet, Mariazell-Blick, beheizter Pool, privater Badesteg am Erlaufsee, Frühstücksservice, www.montestyria.at Heselehof, historisches Wohnhaus und Getreidekasten adaptiert, Ruhelage, Urlaub am Bauernhof, www.heselehof.at Brauhaus Mariazell, steirische, gemütliche Gaststube und Innenhof, www.brauhaus-mariazell.at Hotel & Restaurant Krainer, Langenwang, steirische Gourmetküche, "Feiakuchl" - Privatgrill im Garten, www.hotel-krainer.com Aktivhotel Weißer Hirsch, im Ortskern von Mariazell, Spa, Sonnenterrasse, www.weisser-hirsch.at