Wohnen auf der Festung Hohensalzburg: Umgeben von Mauern, Touristen und Geistern
Seit 59 Jahren wohnt Familie Wieser auf der Festung Hohensalzburg. Die besondere Lage bereitet im Alltag zahlreiche Schwierigkeiten.
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Familie Wieser wohnt im Wahrzeichen der Stadt − der Festung Hohensalzburg.
Sie ist weitum sichtbar und darf auf keinem Touristenfoto fehlen: die Festung Hohensalzburg. Sie ist eine der größten vollständig erhaltenen Burgen Mitteleuropas. Die Geschichte der Wehranlage reicht bis ins 11. Jahrhundert zurück. Aber nicht nur im Mittelalter bewohnten Menschen die Festung - noch heute nennen wenige Personen die Burg ihr Zuhause.
Unterhaltungen in verschiedensten Sprachen, die Geräusche der Öffnungsversuche der Tür ins eigene Wohnzimmer durch Touristinnen und Touristen oder der sanfte Klang des Glockenläutens im 15-Minuten-Takt. Mit diesen Tönen wird die älteste auf der Festung lebende Person, Helene Wieser, konfrontiert, wenn sie an ihrem Esstisch sitzt. Denn nur mehr eines der beiden hintereinander liegenden Fenster lässt sich als Folge der Witterung schließen.
Älteste Materialseilbahn der Welt als Taxi
Helene, die als Finanzbeamtin tätig war, und Ehemann Heribert waren in Lehen beheimatet, ehe sie im frühen Herbst des Jahres 1964 in die Burg einzogen. Heribert, der 2019 verstarb, arbeitete damals als Schlosser und Schmied und musste, wie alle Burghandwerker, auf die Festung ziehen, um zum Schutz des Stadtwahrzeichens rund um die Uhr einsatzbereit zu sein. Die Begeisterung darüber hielt sich bei Helene anfangs in Grenzen. "Ich habe mich überhaupt nicht darüber gefreut, die Wohnung war feucht und kalt. Der einzige Grund, warum ich doch raufgezogen bin, war, dass wir kostenfrei wohnen konnten."
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Heribert und Helene Wieser mit ihrer eineinhalbjährigen Tochter Michaela.
Neben dem mangelhaften Zustand der Unterkunft sorgte auch die Lage des neuen Zuhauses für Schwierigkeiten. Die Festungsbahn war in früheren Zeiten nur von Ostern bis Anfang November in Betrieb - "die restliche Zeit mussten wir alles raufschleppen", erzählt die mittlerweile 80-Jährige. Außerdem sei die Bahn von Touristinnen und Touristen belagert worden: "Die Leute sind Schlange gestanden. Da ist man lieber zu Fuß gegangen. Da war man schneller", meint Helene.
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Aufgrund zahlreicher Touristinnen und Touristen vor dem Festungsbahn-Einstieg ist man oft zu Fuß sogar schneller.
Auch der Reißzug, die älteste bis heute betriebene Materialseilbahn der Welt, musste als Personentransportmittel herhalten. "Damit bin ich damals zur Mandeloperation hinuntergefahren", erzählt Tochter Michaela. Mit dem Auto raufzufahren war verboten, schwere Gegenstände mussten zerlegt und mit der Seilbahn transportiert werden. Auch Postboten verbrachten Stunden damit, die Unterkunft der Familie Wieser zu finden.
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Der Reißzug, die älteste bis heute betriebene Materialseilbahn der Welt, musste früher als Personentransportmittel herhalten.
"Wir sind mit dem Schlitten hinuntergefahren und mit dem Plastiksackerl hinuntergerutscht", erzählen die Schwestern Michaela und Anita, die wenige Jahre nach dem Einzug der Eltern auf die Welt kamen. Für die beiden war die Kindheit auf der Festung etwas Besonderes. "Ich möchte es nicht missen, auch wenn es anstrengend war", erzählt Michaela. Früher fungierte der Burghof als Fußballplatz oder als Rennstrecke, um mit dem Roller um die Wette zu fahren. Die Mauern wurden genutzt, um darauf fangen zu spielen. Eine gefährliche Angelegenheit - zwei der 20 Kinder, die damals auf der Burg lebten, landeten aufgrund von Stürzen und folgenden Kopfverletzungen im Krankenhaus. Von Schlimmerem blieben sie aber verschont.
"Ich darf das, ich habe Eintritt bezahlt"
Auch mit dem schlechten Ruf der Burgbewohnerinnen und Burgbewohner hatten die beiden Schwestern in ihrer Kindheit zu kämpfen. Denn nach dem Ersten Weltkrieg waren Kinder zum Stehlen hinunter in die Stadt geschickt worden - der schlechte Ruf hielt sich. Selbst von der Lehrerin wurde Michaela in der Schule als "Festungskind" bzw. "Gesindel" abgestempelt.
Als Michaela mit 22 Jahren aus beruflichen Gründen nach Wien zog und zu Beginn die Vergnügungen der Großstadt lockten, ging ihr jedoch nach kurzer Zeit das Burgleben ab. "Den Blick von der Bastei hinunter habe ich schnell vermisst", erzählt Michaela.
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Auf dem Kanonenhügel begrüßten Michaela und Anita gelegentlich einen Kleinlastwagen mit „Unimog“-Rufen.
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In die Kanone konnte man früher hineinklettern, ehe sie vor Jahren geschlossen wurde.
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Das Dach des Stiegenabgangs in die Bastei hinunter fungierte gelegentlich als Rutsche.
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Michaela (rote Jacke, hinten) und Anita (rote Jacke, vorne) beim Spielen mit anderen „Festungskindern“.
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Beim Überqueren der kleinen Brücke verlor ein Bub das Gleichgewicht – ein Schädelbasisbruch war die Folge.
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Stunden verbrachte Michaela auf der Stiege damit, das gegenüberliegende Gebäude, den Hohen Stock, abzuzeichnen.
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Nach kurzer Zeit vermisste Michaela den Blick von der Bastei hinunter, nachdem sie nach Wien gezogen war.
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Bei Grabungen entdeckte man eine unter der Festungsschlosserei liegende romanische Burgkapelle von Erzbischof Konrad I.
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Eine alte Angebotsbroschüre von Schmied Heribert Wieser aus den 90er-Jahren.
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Michaela und Anita entdeckten als Kinder Schwarzpulver sowie eine Zündschnur in einer der Burgkanonen.
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Die dunklen Gänge der Festungsanlage sorgen während der Abenddämmerung für eine unheimliche Stimmung.
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Den Festungsgarten legte Helene mit Kräutern an, die ausschließlich auch im Mittelalter wuchsen.
Eine weitere Unannehmlichkeit, mit der es auf der Festung umzugehen gilt, ist der Tourismus. Die Festung Hohensalzburg ist ein Publikumsmagnet. Einige Touristinnen und Touristen nehmen auf die Privatsphäre keine Rücksicht. Mit den Worten "Ich darf das, ich habe Eintritt bezahlt" stürmte schon so manch ungebetener Gast die Wohnung der Wiesers. Darum muss man laut Helene immer sofort zusperren, wenn man zu Hause angekommen ist.
Der Mythos der Weißen Frau
Familie Wieser hat während ihrer langen Zeit auf der Burg einiges erlebt. Vom Fund eines Goldschatzes durch Archäologen über die Entdeckung einer von Erzbischof Konrad I. errichteten romanischen Burgkapelle unter der Festungsschlosserei bis zur Aufdeckung eines möglichen Anschlagversuches - Michaela und Anita entdeckten Schwarzpulver sowie eine Zündschnur in einer der Burgkanonen.
Auch von mysteriösen Erlebnissen erzählen die drei Frauen: einem unerklärlichen Fund eines einzelnen Stöckelschuhs in der Festungsanlage, unheimlichen nächtlichen Fackelzügen im Hof und einer seltsamen gespenstischen Erscheinung, der Weißen Frau. Sie soll auch die Burg bewohnen. Das erste Mal soll sie sich 1322, am Vorabend der Schlacht von Mühldorf, gezeigt haben. Auch den späteren Burgbewohnerinnen und Burgbewohnern soll sie mehrmals erschienen sein.
Nach dem Tod des Ehemannes Heribert leben nur noch Helene und Tochter Anita auf der Festung. Die 80-Jährige kam aufgrund körperlicher Beschwerden seit vier Jahren nicht mehr hinunter in die Stadt. Trotz der zahlreichen Schwierigkeiten im Burgalltag hält Helene aber an dem Ort fest: "Da muss sich schon was ganz Gravierendes ereignen, dass ich da weggehe."