Vor mehreren Hundert Jahren soll der Riese Abfalter auf dem Untersberg gehaust haben. Um sich die Zeit zu vertreiben, habe er Felsen vom Berg hinabgeworfen. Die Hügel in Maxglan, Wals und Liefering sollen von diesen Steinen herrühren. So wird es zumindest in einer der vielen Sagen um den Untersberg erzählt.

Am kommenden Donnerstag zieht der Riese Abfalter erneut durch die Dörfer. Denn: Er ist Jahr für Jahr eine der zwölf Figuren der Wilden Jagd vom Untersberg. "Der Perchtenlauf findet immer am zweiten Donnerstag im Advent statt", sagt Werner Schumacher von der Brauchtumsgruppe Jung Alpenland. Der Verein organisiert die Wilde Jagd. Wo die maskierten Figuren ein Mal im Jahr auftauchen, versucht man bis zuletzt geheim zu halten. Eins ist aber sicher: "Die Wilde Jagd findet im Weichbild des Untersbergs statt, also in dem Teil des Salzburger Beckens, der vom Gipfel des Salzburger Hochthrons zu sehen ist", so Schumacher.

Vom Dalai Lama bis zu Hitler
Die Geschichte des Riesen ist nicht die einzige Sage über den Untersberg. Über kaum einen anderen Berg werden noch heute derart viele Mythen verbreitet. Spuren der Tempelritter sollen dort zu finden sein. Hitler und sogar der Dalai Lama hätten die Bedeutung des Gebirgsstocks erkannt. "Im Internet kursieren die wildesten Geschichten über den Berg", sagt der Historiker Johannes Lang. Einige Sagen haben Einzug in das Brauchtum gehalten, andere wiederum - und das sei das Gefährliche - dienten bis heute als Basis für verschiedene Verschwörungstheorien.
Wie sind diese Sagen entstanden? Und warum ranken sie sich gerade um den Untersberg? Der Stadtarchivar von Bad Reichenhall hat sich in den vergangenen Jahren auf die Suche nach dem geschichtlichen Ursprung dieser Sagen gemacht. "Als ich mir die Erzählungen über den Untersberg angesehen habe, bin ich schnell darauf gekommen, dass die vielen Sagensammler eigentlich immer nur von einander abgeschrieben haben", sagt Lang. Er sitzt in seinem Büro in Bad Reichenhall, am Fuße jenes Berges, mit dem er sich bereits jahrelang beschäftigt hat - und den er seinen Lieblingsberg nennt. Der Untersberg sei allein aufgrund seiner Topografie außergewöhnlich. "Dieser Erratische Block ragt in das flache Land heraus. Wenn der Untersberg mitten im Alpenraum wäre, dann wäre das etwas komplett anderes." Bereits die Reiseschriftsteller der Romantik hätten den Berg als den "Hohen Dom von Salzburg" bezeichnet, sagt der Historiker.

"Ich kann nicht verhehlen, dass ich zu Beginn meiner Forschung auch von dem mystischen Gehalt begeistert war, der mit der Geschichte des Untersberges verbunden ist", gibt Lang zu. Dieses Gefühl habe sich jedoch gelegt - je länger er sich mit diesem Thema auseinandergesetzt habe.
Die Mythen um den Berg gehen laut Lang auf eine einzelne Erzählung zurück: die Lazarus-Geschichte. "Sie handelt vom Bad Reichenhaller Stadtschreibergehilfen Lazarus Gitschner." Der Mann bricht darin mit einer Gruppe von Menschen zum Untersberg auf. Dort findet die kleine Gesellschaft eine Inschrift. Die Gruppe kehrt ins Tal zurück, Gitschner wird jedoch später noch einmal auf den Berg geschickt, um die Schrift auf dem Fels zu dokumentieren. Von dieser Tour kehrt der Stadtschreibergehilfe jedoch nicht wie geplant zurück. Denn: Er trifft auf dem Untersberg auf einen barfüßigen Mönch, der ihn in das Innere des Gebirgsstocks geleitet. Lazarus Gitschner soll sieben Tage lang im Untersberg verbracht haben und dort auf bereits verstorbene Herrscher seiner Zeit getroffen sein - darunter auch Kaiser Karl V. Zurück im Tal berichtet Gitschner von seinen Erlebnissen und den Prophezeiungen, die ihm der barfüßige Mönch mitgegeben hatte. Der Mythos Untersberg war geboren.
Verfasser der Lazarusgeschichte: Lang stellt eine Vermutung auf
Mitte des 16. Jahrhunderts veröffentlicht, ist der Autor dieser Geschichte bis heute unbekannt. Doch Lang hat eine Vermutung: "Der Verfasser hat eine sehr gute Ortskenntnis. Der Mann kennt Dinge, die man außerhalb von Reichenhall wohl nicht gekannt hätte." Diese Ortskenntnis spricht für den Historiker dafür, dass der Autor der Lazarus-Geschichte aus der Gegend um Bad Reichenhall kommen musste. "Zweitens beschriebt der Verfasser sehr genau die Tagzeitenliturgie, die der Stadtschreibergehilfe Lazarus Gitschner mit den Mönchen im Berg mitmachte. Das kann man als Laie nicht wissen. Der Verfasser muss also aus dem monastischen Bereich sein." Auf wen trafen diese Merkmale damals zu? "In dieser Verbindung gibt es die Möglichkeit, dass der Mann aus dem Augustiner Chorherrenstift St. Zeno gewesen ist." Dieses befand sich bis 1803 im heutigen Stadtgebiet von Bad Reichenhall.

Das Besondere am Untersberg ist laut Lang jedoch auch, dass all diese Sagen um den Berg inhaltlich noch nicht abgeschlossen sind. "Fast täglich wird Neues dazuerfunden. Das hebt den Untersberg von anderen Bergen ab." Gerade digitale Medien haben einen großen Anteil daran, sagt der Historiker. "Man muss sich nur ansehen, was in den vergangenen 20 Jahren über den Untersberg erschienen ist. Wir leben in einer Zeit, in den Wissenschaftlichkeit oft durch Glaubensfragen abgelöst wird."
SN-Podcast "Schattenorte"
In der Podcast-Serie "Schattenorte" widmen sich die SN-Redakteurinnen Anna Boschner und Simona Pinwinkler den dunklen Kapiteln in der Geschichte in und um Salzburg. Haben Sie Fragen oder Anregungen zu dieser Episode - oder kennen Sie Schattenorte in Ihrer Heimat, die es Wert sind, beleuchtet zu werden? Dann schreiben Sie uns an podcast@sn.at