Wie Sabine zu Sam Vincent wurde, wie weit der Transmann seinen Körper durch Operationen an seine Geschlechtsidentität angeglichen hat - und warum genau heute ein Freudentag ist.

2022: Transmann Sam Vincent vor der Hochzeit. BILDER: SN/SAM SCHWEIGER (3)
1975 wurde in Wien ein Mädchen geboren und auf den Namen Sabine getauft. 47 Jahre später ist alles anders: Aus Sabine ist Sam Vincent geworden und genau heute, am 10. September 2022, heiratet der Transmann seine Partnerin, mit der er seit sechs Jahren verbunden ist.

Sam Vincent ist endlich das, was er schon seit seinen jungen Jahren gespürt hat: ein Mann. Schon als Kind hat er sich als Mann mit der äußeren Hülle einer Frau" gefühlt. Bis zur Pubertät war das kein ganz großes Problem. Die Eltern hatten den Eindruck, ihr Mädchen sei eben sehr burschikos. ,,Und solange ich auch im Freibad als junger Bub durchging, war ich glücklich", schreibt Sam Vincent Schweiger in seinem Buch „anders normal“. Trotzdem war schon die Schulzeit von dem inneren Wunsch geprägt, ein Mann zu sein, was aber niemand wusste. „Es war eine Zeit, in der ich mich wie viele andere unglücklich in Mädchen verliebte, aber keine Beziehung haben konnte, da ich ja äußerlich weiblich war."
Der erste Aufruhr kam in der Pubertät. Die war ein einziges Hormonchaos", schreibt Schweiger. ,,Ich entwickelte große Ängste gegenüber meinem Körper, vor allem der Brust. Ich konnte mich weder ansehen noch wirklich bewusst angreifen und verleugnete meinen Körper." Die werdende Frau, die sich als junger Bursche fühlte, wurde depressiv. Dass sie mit den anderen Sport machte und sogar schwimmen ging, half nicht.
Erst mit 35 Jahren, im Jahr 2010, konnte Sam Vincent Schweiger den Schritt tun, der für die meisten Menschen in seiner Situation der schwierigste ist: den eigenen Weg zu gehen und ihn vor Eltern, Freunden und Arbeitskolleginnen und -kollege nöffentlich zu machen. Nach vielen anderen Therapien ging es 2010 um jene Psychotherapie, ,,die mir den Weg zu mir und zu meinem Körper geöffnet hat". Den Beginn der ersten Hormontherapie im Februar 2011 nennt der Transmann heute seinen ,,zweiten Geburtstag". Im selben Jahr besiegelte die Personenstandsänderung den Wechsel von der Frau zum Mann. Der Vorname Sam kam dabei aus zwei Gründen gelegen. Zum einen weil Schweiger schon immer eine Affinität zu Schottland hatte, zum anderen weil die Abkürzung ,S.“ in der Übergangszeit sehr hilfreich war. Sie konnte sowohl Sabine als auch Sam bedeuten.


Ein anderer, bereits erfahrener Transmann gab Sam Vincent wertvolle Tipps. Auch wie der Übergang gesetzlich geregelt ist: dass zuerst die Hormontherapie kommt, bevor die ersten operativen Eingriffe möglich sind. „Ich halte das für eine durchaus sinnvolle Schutzfrist, denn die Operationen sind endgültig", betont Schweiger im SN-Gespräch.
Und er atmet am Telefon richtig auf, als er vom ersten operativen Befreiungsschlag" erzählt: die Entfernung der weiblichen Brust. Diese sei so entscheidend, weil die Brust den am meisten sichtbaren Unterschied zwischen Mann und Frau mache. ,,Die Entfernung der Gebärmutter und der Eierstöcke ist auch wichtig, aber das sieht niemand."
Immer wieder geht es im Gespräch um das männliche Erscheinungsbild. Der Transmann trägt jetzt einen Bart und hat sich „über jeden Flaum gefreut, der gewachsen ist". Einen hohen Stellenwert für die männliche Identität hat auch die Stimme. „Die höre ich als zweifelsfrei männlich", bestätige ich dem Gesprächspartner am Telefon. ,,Das freut mich, aber in meinem Arbeitsumfeld werde ich am Telefon manchmal immer noch als Frau angesprochen. Vor allem wenn es stressig wird, wird die Stimme höher. Und am Ende des Drei-Monate-Zyklus, in dem ich Testosteron bekomme."
Lange Zeit gelassen hat sich Sam Vincent Schweiger mit dem operativen Penisaufbau. „Das ist ein riesiger Einschnitt in den eigenen Körper, unter anderem wegen der notwendigen Verlängerung der Harnröhre, die dann im Penis liegt", erzählt der Transmann. Vier Jahre lang musste mehrfach nachoperiert werden. Die Bilder auf seinem Blog schweigsamer.at geben eine Ahnung davon. 2018 war die bislang letzte Operation. Danach hieß es Stopp. Den chirurgischen Aufbau der Hodensäcke aus den Schamlippen ließ Schweiger noch machen, die Silikonimplantate nicht. ,,Vorerst jedenfalls nicht", wie er sagt. ,,Ich habe auch so keine Scheu, in die Sauna oder nackt baden zu gehen, weil man das auf den ersten Blick kaum sieht."
Ein Kinderwunsch ist für den 47-Jährigen nicht mehr aktuell. ,,Ein genetisch von mir stammendes Kind könnte ich nicht mehr haben. Ich bin aber sehr glücklich, dass meine Frau, die ich vor sechs Jahren kennengelernt habe, einen jetzt zwölfjährigen Sohn in unsere Ehe mitbringt." Wie viele Transmänner oder Transfrauen vor den OPs Eizellen oder Samenzellen einfrieren lassen, um später ein Kind bekommen zu können, ist unbekannt.
Durch die Gabe von Testosteron sind Lust und Libido gestiegen. ,,Ich verstehe jetzt, warum Männer mehrmals am Tag an Sex denken und meist öfter Sex haben wollen als Frauen, sofern es der Alltag zulässt." Der Penis sei für erfüllenden Sex und für das Mannsein ,,immer noch nicht wichtig, obwohl ich den Aufbau habe machen lassen. Wenn die Chemie passt, landet man im Bett." Entscheidend sei, ,,dass ich meinen Körper für mich ausreichend an meine Geschlechtsidentität angeglichen habe, dass ich in ihm angekommen bin und mich wohlfühle“.
,,Wann ist Mann fertig?", fragt Sam Vincent Schweiger selbst in seinem Buch. ,,Man kann z. B. mit einer Therapie, einer Namensänderung, einer OP fertig sein. Aber welcher Mensch ist schon fertig auf seinem Lebensweg? Wir entwickeln uns ständig."
Heute heißt es: Herzliche Gratulation zur Hochzeit! - JOSEF BRUCKMOSER
Transmänner und Transfrauen: Begriffe und ein hilfreiches Buch
Transidentität bzw. trans: Die gefühlte Geschlechtsidentität stimmt nicht mit den Geschlechtsmerkmalen überein. Deutsches Wort für ,,transsexual" (engl.), das fälschlicherweise mit Transsexualität/Transsexualismus übersetzt wird. Hier geht es jedoch um Identität und nicht um Sexualität.
Transgender: Überbegriff für alle Phänomene, bei denen Geschlechtergrenzen überschritten werden. Viele Personen, die sich nicht in eine Kategorie einordnen wollen/ können, bezeichnen sich selbst auch gern als Transgender.
Transmann (TM): Eine Person, die mit biologisch weiblichen Körpermerkmalen und Chromosomen geboren wurde, die sich jedoch in ihrer Identität männlich fühlt. Ein Transmann ist ein transidenter Mensch. Gleichwertige Bezeichnung: FtM, FzM.
Transfrau (TF): Eine Person, die mit biologisch männlichen Körpermerkmalen geboren wurde, die sich jedoch in ihrer Identität weiblich fühlt. Eine Transfrau ist ein transidenter Mensch. Gleichwertige Bezeichnung: MtF, MzF.

Das Buch,, anders normal" verfasste Sam Vincent Schweiger gemeinsam mit Katharina Maria Burkhardt. Der Transmann und die Hormonspezialistin erzählen ,,wie man wird, wer man ist". 184 S., 19,90 Euro, www.aerzteverlagshaus.at.