Auf da Roas

Dem Sommer per Paddelschlag hinterher

Kanu und Lagune. Das Naturreservat an der Stella-Mündung ist ein Paradies für Vögel und Paddler. BARBARA HUTTER

BILDER: SN/UWE NESEMANN/BARBARA HUTTER/ULDARICA DA POZZO/PRIVAT

Es kommt auf den richtigen Moment an. Darauf, wann das Netz hinabgelassen wird, und natürlich darauf, wann es wieder hochgezogen wird. Daniele Ciprian wirkt nicht wie ein alter Fischer. Ist er auch nicht, er hat seinen Beruf als Skipper hintangestellt und die Fischerhütte samt Senknetz von seinem Großvater übernommen, der die „Bilancia di Bepi" 1976 errichtet hat. Der Opa war zu seiner Zeit noch mit Ernest Hemingway befreundet, der seinen Aufenthalt hier an der Adria in seinem Buch „Über den Fluss und in die Wälder" festgehalten hat. Und der Opa hat Daniele beigebracht, wann der jeweils richtige Zeitpunkt ist. Die Flut dreht die Fließrichtung.

Zum richtigen Zeitpunkt wird das Netz ins Wasser gelassen. BILD: SN/BARBARA HUTTER

Es ist ein kleines Refugium, das der wortkarge Daniele liebevoll pflegt, der Garten mit seinen Schattenplätzchen sowie der Food Truck mit großem Weinkühlschrank, in dem Köstliches aus fangfrischem Fisch gebrutzelt wird. Sardinen, Äschen, manchmal ein Wolfsbarsch, ein paar Ährenfische. Doch vor dem Schnabulieren heißt es Schwimmwesten anlegen und ins Kanu klettern. Die Fischerhütte selbst liegt direkt an der Mündung des Flusses Stella in die Lagune von Marano - und mitten im Naturreservat, das ein ausgewiesenes Vogelschutzgebiet ist. Die paar Gäste, die die Kanutour gebucht haben, klettern über den Steg in die Zweierboote, hoch über ihnen spannt sich in elegantem Bogen das Senknetz. An seinem tiefsten Punkt: die Reuse, wie ein Wurmfortsatz, in dem sich nach dem Hochziehen die Fische sammeln. Dann fährt Daniele mit seinem Boot genau unter die Reuse und öffnet sie. Der Fang purzelt in einen Eimer.

Jetzt aber geht es mit rhythmischen Paddelschlägen erst einmal aufs Wasser hinaus. Die schilfbewachsene Uferlandschaft zwischen Stella-Mündung und Lagune - und damit Meer - kennt Alice Sattolo wie ihre Westentasche. Seit 1996 ist diese Zone Naturreservat und Vogelschutzgebiet. ,,300 Vogelarten werden hier verzeichnet", sagt die junge Frau, die ähnlich wie ein Naturpark-Ranger als Guide ihre Gast-Kanuten durch die Flussarme lotst. „In ganz Europa gibt es rund 550 Vogelarten, und gut die Hälfte davon bei uns. Hier machen die Vögel, die über die Alpen gen Süden fliegen, halt und jausnen." Sie schmunzelt. Bald sind die ersten Wasservögel zu beobachten, die die Paddler beäugen und dann vorsichtshalber ein Stück weiterflattern. Rote Reiher und Enten sind zu sehen, aber auch Kormorane. Herbst ist eine besondere Zeit an der Lagune. „Ab September sind die Vögel in der Mauser, da sind sie besonders vorsichtig und haushalten mit ihrer Energie, die sie für den Federkleidwechsel brauchen", erklärt Alice.

Zu den Casoni, den Fischerhütten (rechts), geht's per Ausflugsschiff oder - viel besser - mit dem Kanu und Naturguides wie Alice. BILDER: SN/UWE NESEMANN/BARBARA HUTTER/ULDARICA DA POZZO/PRIVAT

Das Gebiet zwischen Flussmündung und Lagune ist eine eigene kleine Welt. Aus dem spiegelglatten Wasser schnellen Fische empor, Libellen surren vorüber, in einer Baumgruppe auf einem Inselchen geben Stare ein lautstarkes Konzert. Auch der Blick ins Wasser lohnt. Das übrigens sauber ist, aber nicht klar. Denn als Karstquellfluss führt der Stella, der schon zu Römerzeiten für Binnenschifffahrt genutzt wurde, Schwemmstoffe mit sich. Eine ganz besondere Art von Queller, auch Meeresspargel genannt, gedeiht hier. Wichtig, sagt Alice, denn diese salzresistenten Pflanzen sind Zuflucht für viele Arten und fixieren gleichzeitig die Ufer. „Ein wenig wie die Mangroven in den Tropen." Auch Schiffe gibt es noch: Ausflugstouren aus dem nahen Marano. Beim Paddeln gilt: Immer die Innenseite der Flussbiegungen nehmen, die - tiefere - Außenseite brauchen die größeren Boote.

Es wird stiller hier im Herbst, und ein wenig mystisch. Bald tauchen die Casoni auf, schilfverkleidete Hütten auf Pfählen, in denen die Fischer einst übernachteten, um am nächsten Morgen mit ihren Ruderbooten rascher zur Stelle zu sein. Steile Dächer, kleine Fenster - die Casoni sind beliebt geworden, nicht zuletzt als Wochenenddomizil. Und auch die Ausflugsboote machen hier halt für ein Picknick. Alices kleines Grüppchen paddelt weiter in Richtung Meer. Kleine Wellen kommen auf, weit öffnet sich die Sicht auf die Lagune, Marano ist zu erkennen. Wer Glück hat, sieht sogar Flamingos oder zierliche Flussuferläufer. Im Oktober, so Alice, kommen die Wildenten und Wildgänse. Gerade segelt eine ganze Flotte von Schwänen unbeeindruckt den Schilfgürtel entlang in Richtung offenes Meer, das Kanutengrüppchen jedoch schlängelt sich nach rechts ins Schilf und ist wieder auf dem Stella-Fluss angelangt.

Nach dem Paddeln gibt's Fisch bei Daniele.

Kanus und Schwimmwesten sind verstaut, der Imbiss wartet schon. Nur Daniele Ciprian hat das verbriefte Recht, in diesem Naturreservat zu fischen, er nimmt auch nur so viel, wie er braucht, um für sich und seine Gäste eine Mahlzeit zu bereiten. Er wendet die Fischstücke in einer Mischung aus Gries und Mehl, Zitronenzesten, Salz, Kapern und Pfeffer. Dann kommen sie ins heiße Öl. Die frischen, kalten Weißweine der Region passen perfekt dazu, Pinot Grigio, Friulano.

Die Gäste sind begeistert, Daniele lächelt. Was so entspannt aussieht, ist dennoch aufwendig. Wind und Wasser nagen an den Casoni und auch an seiner Hütte. ,,Casoni sind schön, aber viel Arbeit. Wenn man die ein, zwei Jahre sich selbst überlässt, sind sie hin. Das ist wie ein Boot, am besten nutzt man das der anderen." Eine satte Stille breitet sich aus, die Herbstsonne wärmt die vom Paddeln müden Glieder. Bald geht's per Auto oder E-Bike ganz entspannt zurück vom Deich und der Bilancia zu Hotel oder Agriturismo. Den Bauch voll mit Fisch, den Kopf voller Bilder.

INFORMATIONEN

BILD: SN/BARBARA HUTTER

Die Bilancia di Bepi bietet Ausflüge in das Naturreservat von Stella-Mündung und Lagune von Marano an, nach dem Paddeln wird eine Portion ,,pesce fritto" vom frischen Fang des Tages serviert, die Weinkarte ist für den kleinen Food Truck erstaunlich gut. Reservierungen: Tel. +39 340 3436733 oder bilanciadibepi@gmail.com, labilanciadibepi.it

Wenn Alice Sattolo nicht gerade auf dem Stella paddelt, wandert sie mit ihrer Eselin und Gästen durch den Karst und vieles mehr, alicesattolo.com

Das Ausflugsschiff ,,Saturno da Geremia" macht Tagestouren von Marano Lagunare aus in die Lagune zu den Casoni, www.saturnodageremia.it

Der empfehlenswerte Agriturismo Albafiorita im nahen Latisana hat hübsche Zimmer (und Apartments) in einem Gehöft aus dem 19. Jahrhundert. Juniorchef Dino De Marchi experimentiert erfolgreich mit PIWI-Trauben und engagiert sich in der Bauernkooperation Sincero, www.albafiorita.com

Die Region: www.turismofvg.it/de , www.italia.it