Lebenszeit

,,Das Flötenspiel ist für mich ein Lebenselixier"

Silvia Habisch entdeckt mit 35 Jahren die Flöte für sich. Sie lernt die Griffe, übt Etüden, trägt Stücke vor - und das, obwohl sie fast nichts sieht. Inzwischen ist sie Mitglied des Salzburger Sonnenorchesters für blinde und sehbehinderte Musikerinnen und Musiker. 
JUDITH NEUHUBER

Silvia Habisch ist leidenschaftliche Flötistin. Als Sehbehinderte muss sie Noten erst über die Braillezeile an ihrem Laptop (unten links) erfühlen, bevor sie Stücke auswendig lernt. Mit dem Pianisten Matthias Gampe und Sängerin Alina Konarska-Schmidt spielt Habisch im Sonnenorchester. BILD: SN/J. MÜLLER

Silvia Habisch leidet unter Lampenfieber. ,,Das ist ein groBes Manko", sagt die 64-Jährige. Sie habe aber das Glück, dass sie nicht sehe, wie die Zuhörer sie anschauen. Mit ihren drei Prozent Sehrest kann sie Hell und Dunkel sowie Konturen und Kontraste erkennen. Damit sie nicht geblendet wird, trägt Habisch eine Brille mit orangen Gläsern, die das Blaulicht herausfiltern. Trotz ihrer Nervosität eröffnet die Flötistin das Konzert des Salzburger Sonnenorchesters mit einem Solostück von Georg Philipp Telemann. Sie stellt sich der Herausforderung. ,,Es wäre doch schade, daheim nur für die Möbel zu spielen."

Musik macht die Bregenzerin seit ihrer Kindheit. Blockflöte hat sie nach Gehör gelernt. Der Lehrer spielte vor, sie nach. Als Teenager begleitete sie gemeinsam mit einer Freundin auf der Gitarre und sie lernte drei Jahre lang klassische Gitarre. Als im Erwachsenenalter eine Freundin Klavier lernte, dachte sich Habisch: ,,Das kann ich auch. Schließlich bin ich ehrgeizig." Ihr Ziel, Mozarts Sonate Nr. 11 in A-Dur, schaffte sie jedoch nicht. Ihre Finger sind für dieses Stück nicht lang genug, um die Tasten sauber zu treffen. Habisch und ihr Mann ließen ihre beiden Kinder, als diese noch jung waren, in die Musikschule gehen. Als die Tochter keinen Flötenunterricht mehr wollte, fragte Habisch den Lehrer, ob er sie unterrichten würde. ,,Ich war 35 Jahre alt, als ich meine ersten Querflötenstunden hatte", erinnert sich Habisch und betont: ,,Es stimmt nicht, dass man als Erwachsener nichts mehr lernen kann."

"Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich gerne täglich zwei Stunden sehen können nur fürs Üben."
Silvia Habisch  Flötistin

Aber als Sehbehinderte tat sie sich anfangs schwer damit, den richtigen Ansatz zu finden. Wie muss sie die Lippen formen, damit genügend Luft in das Mundstück der Flöte kommt und ein schöner Ton entsteht? Von ihrem Lehrer konnte sie es sich nicht abschauen. Auch fast 30 Jahre später sagt sie: ,,Ich suche noch immer nach dem guten Ton. Es ist ein lebenslanges Lernen." Ist sie zum Beispiel aufgeregt, bleibt die Luft weg, was schlecht ist für die Tonqualität. Bis heute nimmt Habisch Unterricht, vor allem der Technik wegen, damit ihr Lehrer diese kontrolliert.

Anfangs übersetzte Habisch die Noten ihrer Stücke selbst in Blindenschrift. Dafür hielt sie eine starke Lupe direkt an ein Auge und dann die Noten wiederum direkt an das Vergrößerungsglas. Ein C als Achtelnote ist in der Blindenschrift zum Beispiel ein D, ein C als Viertelnote ein CH, ein C als halbe Note ein N und ein C als ganze Note ein Y. Inzwischen gibt es aber die Möglichkeit, Noten in Normalschrift nach Leipzig zu schicken, wo sie in Blindenschrift übersetzt werden.

Phrase für Phrase lernt Habisch die Stücke auswendig, die sie mit dem Sonnenorchester aufführt. 1,5 Stunden sind es mindestens, die sie täglich übt. ,,Das Flötenspiel ist für mich ein Lebenselixier. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich gerne täglich zwei Stunden sehen können nur fürs Üben. Aber ich bin zufrieden, so wie es ist", sagt Habisch. Daheim übt sie nur ihre Stimme. Damit sie einen Eindruck davon bekommt, wie das Stück mit Klavier und Gesang klingt, erhält sie von Hossam Mahmoud, Künstlerischer Leiter des Sonnenorchesters, Hörbeispiele. Die Gesamtproben für die Konzerte finden in Salzburg statt und werden von renommierten Künstlern betreut.

Als Habisch die Ausschreibung des Sonnenorchesters entdeckte, reizte sie die Teilnahme. Da sie dachte, etwas vorweisen zu müssen - die anderen beiden Mitglieder sind studierte Künstler -, absolvierte sie das silberne Leistungsabzeichen.

„Es ist ein Erlebnis, eine Bereicherung und eine Ehre für mich, Teil des Orchesters zu sein. Ich mag es vom Musikalischen her gerne, mit blinden Musikern zusammenzuspielen", erklärt die Flötistin. Am schwierigsten sind für die drei blinden Musiker die gemeinsamen Einsätze. Der Pianist gibt die Einsätze vor, etwa durch ein etwas lauteres Einatmen. Manchmal zählt er auch leise ein. Am einfachsten ist es für Habisch bei Stücken mit Vorspielen, dann weiß sie, wann sie zu spielen beginnen darf. Bei anderen Stücken, wie bei der Sonnenorchester-Auftragskomposition ,, interne voci perse" von Fausto Tuscano, muss sie hochkonzentriert die Pausen mitzählen, damit sie nicht aus dem Stück geworfen wird. ,,Das Stück hat mich sehr angestrengt und die meiste Probenzeit erfordert. Es war aber auch spannend und inspirierend, das Feld zeitgenössischer Musik ausprobieren zu dürfen", stellt Habisch fest. Ausgerechnet bei der Uraufführung des Stücks fährt ein Einsatzwagen mit Sirene und Blaulicht an der Schlosskirche Mirabell vorbei. Die Sirene nimmt Habisch wahr, lässt sich dadurch aber nicht aus dem Konzept bringen. ,,Ich bin insgesamt zufrieden mit den drei Konzerten. Wir haben gemacht, was möglich war", sagt sie rückblickend. 


Das Projekt Sonnenorchester

Gründer des Projekts Sonnenorchester und Obmann  des Vereins ist Hossam Mahmoud. Er wurde in Kairo geboren, ist Komponist und Instrumentalist. Mit dem Sonnenorchester sollen blinde und sehbehinderte Musikerinnen und Musiker, unabhängig von ihrem Alter, musikalisch gefördert werden mit dem Ziel, sie in einem professionellen klassischen Orchester bei Konzerten auftreten zu lassen. 

Vorbild für das Sonnenorchester ist das Blindenorchester aus Kairo, das erfolgreich weltweit Konzerte gibt. Hossam Mahmoud hörte dieses Orchester spielen, das ein inzwischen verstorbener Freund von ihm geleitet hat, und war überrascht von der Qualität des Klangkörpers.

Derzeit besteht das Sonnenorchester aus drei Mitgliedern: einem Pianisten, einer Flötistin und einer Sängerin. Ziel ist es, das Ensemble mithilfe von Sponsoren zu erweitern.

Konzerte finden am 14. Dezember, 20 Uhr, und am 15. Dezember, 11 und 20 Uhr, in der Schlosskirche Mirabell, Mirabellplatz 4, in Salzburg statt. Es treten dieses Mal drei Musiker (Querflöte, Klavier, Viola) und eine Sängerin auf. Karten gibt es an der Abendkasse.