Barock in der Wachau. Die UNESCO-Welterberegion an der Donau zeigt ihre glanzvollste Seite. BARBARA HUTTER

Wachauer Gustostückerl: der Prandtauerhof der Familie Holzapfel. BILD: SN/ART REDAKTIONSTEAM-FRANK HEUER
Mit gewaltigem Keulenschlag streckt Herkules den dreiköpfigen Höllenhund nieder. Sünder stürzen kopfüber aus den lichten Höhen dem Betrachter entgegen, an ionischen Säulenkapitellen vorbei. Gezäumte Löwen bäumen sich auf, Engel jubeln, hell strahlt der Lichtkranz hinter der goldbehelmten Pallas Athene. So hell, wie Kaiser Karl VI. sich gerne strahlen sah als Herrscher, der seine Untertanen vom Dunkel ins Licht führt. Besucher des Marmorsaals von Stift Melk blicken heute wie damals staunend an die Decke. Hier hat der Südtiroler Paul Troger mit feinstem Pinselstrich, vor allem aber mit seinem legendären, leuchtenden Blau, den Geist seiner Zeit in ein Bild gebannt.
,,Barock, das ist der Blick nach oben." So bringt es Pater Martin Rotheneder vom Benediktinerstift Melk auf den Punkt. ,,Wenn man sich den Alltag der Menschen vor 300 Jahren vorstellt, für die war das der Himmel." Melk, das sei Barock an seinem Höhepunkt, in seiner reinsten Ausformung. In absoluter Harmonie geplant, mit Metaphern und Symbolik gespickt und höchst symmetrisch auf dem vorspringenden Felsen über dem Städtchen errichtet. Keine leichte Aufgabe, nicht einmal für den genialen Baumeister Jakob Prandtauer.
Gelegenheiten, den Blick gen Himmel zu wenden, gibt es viele. 1645 fallen die Schweden gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges ein, 1679 und 1680 geht die Pest durchs Land, 1683 die Türkenheere. Zudem hatte der Protestantismus die Wachau erreicht. Kaum eine andere Kunstepoche hat in der Wachau so deutliche Spuren hinterlassen wie diese Zeit voller Widersprüche. Glanz und Not, Schönheit und Bedrängnis - wen wundert's, dass der Begriff ,,Barock" ursprünglich die Rundungen einer nicht perfekten Perle beschreibt?
Der ,,Barocco" keimt in Rom Ende des 16. Jahrhunderts, als die Gegenreformation gegen Luther und andere Neuerer zu einer - auf Neudeutsch - effizienten PR-Kampagne ausholt. Mit Gold und Ornamenten für mehr himmlische Pracht auf Erden sowie mit hochdramatischen Darstellungen. Hier geht's um ein klares Bekenntnis zu Kirche und Herrscher. Ein Leitspruch der Epoche lautet ,,Carpe diem". Jeder Tag, ja jede Minute sei zu nutzen. Der Wohlstand durch den Handel auf der Donau mit Salz und Wein darf gezeigt und gefeiert werden. Bürgerhäuser, aber vor allem manche der 63 Lesehöfe der Kirchenherren bekommen ein neues, barockes Kleid, das sie bis heute tragen: in Spitz der heutige Barock-Landhof Burkhardt, der Aggsteinerhof und der Rondellenhof sowie das Schiffmeisterhaus Prankl wie auch in Wösendorf der Florianihof oder in Joching als des Baumeisters Frühwerk der Prandtauerhof. Hier mischt sich Frühbarockes mit Renaissance-Arkaden zu heiter-mediterranem Ambiente. Und nicht zuletzt das „Lusthaus im Weinberg" des Dürnsteiner Probstes Hieronymus Übelbacher, ein idealer Rahmen für Weinseligkeit unter Freunden. Heute lädt das weiß-gelbe Prunkstück aus Prandtauers Feder am Fuße des Kellerbergs in seinen Festsaal und zwei Kabinette zu Besuch und Fest ein.


Der Alltag ist hart, die Zeiten sind unsicher - höchste Zeit für ein Wunder. Oder auch zwei. Wie jenes von der wundersamen Heilung von Matthias Härings Töchterchen. Der brave Katholik errichtet eine Kapelle, alles geht gut aus. Das Resultat: die Wallfahrtskirche Maria Langegg, heute spätbarockes Schmuckstück im Dun-kelsteinerwald mit beeindruckenden Trompe-l'œil-Malereien. Der „wahre" Glaube hat gesiegt. Und auch stromaufwärts, in Blickweite von Stift Melk, wird 1642 ein gewisser Richter Schinagl von seinen Depressionen befreit, als er wie im Traum befohlen das alte Taferl auf der als wundertätig bekannten Eiche gegen sein schönes PietàBild tauscht. Nach weiteren Mirakeln wird dort endlich 1660 der Bau einer Kirche genehmigt. Heute ist „Maria Taferl" eine weithin bekannte Pilgerstätte und ein barocker Prunkbau mit einer Kuppel von Prandtauer, der größten Orgel Niederösterreichs und unzähligen Votivgaben in der Schatzkammer. Außergewöhnlich ist, wie bei Maria Langegg, die Nord-Süd-Ausrichtung, die seine helle Frontseite weit über das Donautal leuchten lässt.
Ein weiteres Motto heißt ,,Memento mori". Und wer trotz all dieser Sterblichkeit überlebt, zeigt sich dankbar: etwa durch reich verzierte Pestsäulen wie die Nepomuksäule am Rathausplatz in Stein oder die Dreifaltigkeitssäule in Krems. Auch Kalvarienberge werden gestiftet - in Unterranna von den Paulinermönchen sowie in Rossatz ein Kreuzweg mit sieben Stationen, an dem es nach einer Spontanheilung zu Wallfahrten und Prozessionen kommt. Einer, der die vielen Wege der ebenso zahlreichen Heiligen vom Diesseits ins Jenseits in unerreicht virtuoser Art beschreibt, ist Martin Johann Schmidt, genannt der Kremser Schmidt. Seine Andachts- und Altarbilder erzählen in lyrischem, manchmal dramatischem Hell-Dunkel-Spiel von tiefer Religiosität - so etwa die ,,Marter des hl. Mauritius" in der prächtigen, barocken Innenausstattung der Pfarrkirche Spitz, dazu zahlreiche, kleinere Werke in Stift Göttweig, wie auch das Altarblatt vom hl. Nikolaus in der Pfarrkirche Stein oder die Deckenfresken im Kremser Dom. ,,Ein Schmuckstück des Frühbarocks" nennt Ulrike Hohenwarter die Kremser St.-Veit-Kirche des Baumeisters Cipriano Biasino. Die Fremdenführerin begibt sich regelmäBig auf Spurensuche. Ihr neuester Fund: ,,Der feinst gearbeitete Stuck im Piaristenkolleg, wirklich sehenswert."


Carpe diem und Memento mori - sie finden einander in den großen Stiften. Der Umbau Göttweigs ist wie Melk als Jubelschrei des christlichen Abendlandes gedacht, nach der „vollkommenen Victoria", dem endgültigen Sieg 1683 über die Heere der Osmanen. Den, nebst bei erwähnt, Kaiser Leopold I., vom Volk scherzhaft „Türkenpoldl" genannt, sicherheitshalber auf seiner Staatsbarke vor Dürnstein abwartet.
Ein zweites Montecassino soll hier entstehen, nach den Plänen Lucas von Hildebrandts, ein himmelsstürmender Bau, mächtiger noch als Melk. Hinter der weiß schimmernden Eleganz der Stiftsfassade hoch über der Donau entstehen Meisterwerke, tief taucht Paul Troger den Pinsel in sein Azurblau für die Apotheose Karls VI. über der Kaiserstiege“ – der größten barocken Prunkstiege Österreichs, während der Kremser Schmidt die heilige Familie in warm-dunkle Farben bannt.
Tod und Freude liegen nah beieinander. Königin dieser Epoche: die Orgel. Melk, Spitz, Göttweig, Dürnstein und auch die Urpfarre der Wachau, St. Michael - überall werden im Namen des Herrn alle Register gezogen, von dunkel mahnend bis hell jubilierend. Von einem dieser Schmuckstücke kann Anna Pritz erzählen. Recht froh sei sie, so die Seniorchefin des ,,Schwarzen Bären", auf den Maria Langegger Organisten gehört und die Orgel der Magdalenenkapelle restauriert zu haben. So steht das frühbarocke Instrument nun wieder auf eigenen Beinen - die Tragorgel ist heute ein echter Hingucker. Ein weiteres, wunderschönes Exemplar ist im Schifffahrtsmuseum Spitz zu bewundern.
Orgelklang, Stiftskonzerte in Göttweig, Konzertreihen im Barockstift Dürnstein und nicht zuletzt die Internationalen Barocktage in Stift Melk - der musikalische Nachhall einer Epoche klingt noch immer die Donau entlang. Der Wein dazu, sagt Hans Altmann vom Traditionshaus Jamek in Joching, sei ,,natürlich ein Smaragd". Reich, opulent, nicht ohne Eleganz - etwa ein Weißburgunder Ried Hochrain 2011, so soll Barock schmecken. Und auch das Auge trinkt mit. Der Melker Pater Martin Rotheneder: ,,Barock ist nicht zackig, sondern gemütlich, großzügig und harmonisch. Da kann man atmen." Wachau pur eben.