Lebenszeit

Natur mit anderen Augen sehen

Mit Spaziergängen bringt Christina Pürgy Menschen die Natur nahe und möchte mit ihnen über ihre Gefühle sprechen. Denn dass es heutzutage vielen Menschen nicht gut geht, habe einen Grund, sagt Pürgy.
CHRISTINE GNAHN

Auf eine Entdeckungstour durch die Natur laden Christina Pürgys Spaziergänge ein. BILD: SN/HAUBNER

Gemeinsam wandert die Gruppe eine Wiese entlang, in die Nähe eines Walds. Dort, an einem lauschigen Platz auf liegenden Baumstämmen, setzt sie sich hin. Christina Pürgy, die den Spaziergang anleitet, ermuntert die Menschen zu erzählen. Aus ihrem Leben. Und davon, welche Plätze in der Natur sie in ihrer Kindheit als zauberhaft empfunden haben. ,,Das Miteinandersprechen ist ein sehr wertvolles und kraftvolles Werkzeug", erklärt Pürgy. Die 42-jährige Salzburgerin und Mutter eines Sohns verfolgt ein großes Ziel: Sie möchte den Menschen die Natur nahebringen. Im Namen ihrer Initiative ,,Naturreflex-Raum für Tiefes Entdecken und Gemeinsames Tun" veranstaltet sie Workshops, engagiert sich für Umweltthemen. Und geht mit Menschen spazieren.

Die studierte Kommunikationswissenschafterin hat eine erlebnispädagogische Ausbildung in der Schweiz gemacht: zur systemischen In- und Outdoortrainerin für kreativ-rituelle Prozessgestaltung. Sie erzählt: ,,Es geht um die Idee, dass die Natur nicht das Werkzeug für Pädagoginnen und Pädagogen ist, sondern unsere Partnerin. Sie ist nicht nur unsere Umwelt, sie ist unsere Mitwelt, denn wir sind selbst ein Teil davon." Pürgy plädiert dabei für eine dem Menschen angeborene Nähe und Verbundenheit zur Natur. ,,Sie hat uns immer schon begleitet." Zwar sei einiges von dieser Nähe verloren gegangen - erlebe aber bereits eine Renaissance: „Die Menschen spüren, dass in ihrem Umfeld etwas nicht stimmt. Vor zehn, zwanzig Jahren hätte ich mit meinen Spaziergängen noch als ,Crazy Tree Hugger', als extrem alternativ und esoterisch gegolten. Das ist heute anders, sehr viele haben verstanden, dass wir die Natur brauchen."

Zwölf Jahre lang war Pürgy als Sozialarbeiterin in der Begegnungsarbeit in Itzling tätig, organisierte dort Programme von Urban Gardening bis zu Theateraufführungen. Noch früher engagierte sie sich als Kind und Jugendliche bei den Pfadfindern. Ihre Diplomarbeit schrieb sie über Projekte im Sinne der Frauengesundheit in Guatemala. ,,Es geht mir bei meinen Initiativen darum, die Menschen zusammenzubringen, sodass sie möglichst unkompliziert und niederschwellig miteinander in Austausch kommen“, erzählt Pürgy. Kleine Spaziergänge im direkten Umfeld seien dabei ein gutes Mittel, die Menschen zu erreichen.

Pürgy möchte mit ihren Spaziergängen die Gefühle der Menschen erreichen. ,,Unsere Welt verändert sich sehr stark und für uns als Menschen ist das bedrohlich, ruft viele Emotionen hervor wie Angst, Wut, Ohnmacht. Es ist sehr wichtig, dass wir diese Gefühle nicht verdrängen, sondern uns ihnen stellen und über sie sprechen", erklärt sie. ,,Das ist auch etwas Politisches: Jeder Mensch darf aussprechen, was er empfindet." Sie selbst habe angesichts des sehr trockenen Sommers Furcht empfunden. „Es war ja nicht etwa so, dass der Herbst früh angefangen hat. Die Welt hatte einfach nur Durst." Diese Gefühle zu verdrängen sei aus psychologischer Sicht problematisch - ,,wir wissen, dass alles, was man verdrängt, auf irgendeinen Weg wieder zurückkommt.

Auf den Spaziergängen möchte Christina Pürgy den Menschen die Nähe zur Natur vermitteln.
Auf den Spaziergängen möchte Christina Pürgy den Menschen die Nähe zur Natur vermitteln.

So führt Pürgy viele psychische und soziale Probleme, unter denen die Menschen heutzutage leiden, auf die beschädigte Natur zurück. ,,Ich glaube, wir spiegeln das wider, was in unserer Welt passiert. Wie sollen wir angstfrei und optimistisch in die Zukunft sehen, wenn uns alle unsere Sinne sagen, dass etwas nicht stimmt?" Bei ihren Spaziergängen bezieht sich Pürgy auf die Theorie der Tiefenökologie, eine Umwelt- und Naturphilosophie, die ein Leben im Einklang mit der Natur anstrebt. Natürlich wolle sie die Menschen dazu anregen, sich für den Schutz der Natur einzusetzen, sagt Pürgy. „Aber nur in dem Rahmen, wie es für die Person gerade stimmig ist."

Um den Menschen die Natur mit allen Sinnen näherzubringen, verfügt Pürgy über verschiedene Methoden. Neben gemeinsamen Gesprächen-,, es ist wichtig, dass jede und jeder zur Sprache kommt" - bittet sie bei sogenannten Vertrauensspaziergängen die einen darum, die Augen zu schließen, und die anderen, die Personen zu führen. ,,Dann greift sich jemand etwas aus der Natur, beispielsweise einen Stein, hält es dem anderen vor die Augen, bittet ihn, die Augen wieder zu öffnen, und sagt dann: ,Auch das bist du."" Es sei immer wieder erstaunlich, wie sehr die Menschen das berühre, erzählt Pürgy. Bei den Tiefenzeitspaziergängen wiederum sucht sich Pürgy eine Strecke von 4,6 Kilometern aus-repräsentativ für die 4,6 Milliarden Jahre, die die Erde bereits existiert. ,,Wir gehen dann rückwärts oder vorwärts in der Zeit und ich erzähle, was bei dem Streckenabschnitt gerade passiert ist. Da wird einem klar, wie alt und wertvoll unsere Erde ist."