Mit nur siebzehn Jahren reißt Virginia Hill von zu Hause in Alabama aus und geht nach Chicago. Innerhalb kürzester Zeit arbeitet sie sich mit Sex-Appeal, Dreistigkeit und Entschlossenheit in die höchsten Kreise der Cosa Nostra, der amerikanischen Mafia, hinauf. Mit nur 49 Jahren stirbt sie - in Salzburg. Peter Blaikner hat sich in einem Roman der faszinierenden Geschichte von Virginia Hill angenommen.
CONSTANZE EBNER

Virginia Hill (hier in Beaulieu, Frankreich). Eine mondäne Frau, die Partys, Luxus und das Leben im Kreis der High Society liebte. BILD: SN/MAURITIUS IMAGES/ALAMY STOCK PHOTO
Virginia Hill bedient sich der Männer gnadenlos und erfolgreich, um ihre Ziele zu erreichen, sie wird die Geliebte und Vertraute von Gangsterbossen wie Joe Adonis, Frank Costello und Benjamin ,,Bugsy" Siegel, dem Gründer von Las Vegas. Das erste Hotel in Las Vegas benennt dieser nach ihrem Spitznamen ,,Flamingo". Virginia ist begabt darin, Drogen, Geld und Juwelen zu schmuggeln und Schwarzgeld reinzuwaschen. Nat Coiner, Finanzchef der Cosa Nostra, ist ihr langjähriger Förderer und Vertrauter, der ihr Potenzial früh erkennt. Ihre Dienste für die Mafiabosse ermöglichen Virginia ein Leben in großem Luxus. Ein Leben, das von Partys geprägt ist und Virginia einen festen Platz in Amerikas High Society beschert.

Die Ermordung Bugsy Siegels - zu viel Geld ist beim Bau des ,,Flamingos" auf unerklärliche Weise verschwunden - wirft auch Virginia aus der Bahn. Zur Erholung wird sie in den mondänen Wintersportort Sun Valley geschickt, wo sie sich in ihren österreichischen Skilehrer Hans Hauser verliebt. Angetan von seiner einfachen, ehrlichen Art, heiratet sie ihn 1950. Ein Jahr später kommt Sohn Peter zur Welt. Virginia ist glücklich, dennoch langweilt sie sich bald in ihrem beschaulichen Leben mit Hans und beginnt wieder, Aufträge für die Cosa Nostra durchzuführen. 1950 beginnen die berühmten Kefauver-Prozesse, die dazu dienen sollen, das organisierte Verbrechen in den USA einzudämmen und die führenden Köpfe der Mafia vorzuführen. 1951 wird auch Virginia Hill vorgeladen. Sie hält dicht, liefert aber mit ihrer Schlagfertigkeit mehr Schlagzeilen für die Zeitungen als die Mafiosi selbst. Zwar können Virginia keine Straftaten nachgewiesen werden, doch wird sie der Steuerhinterziehung angeklagt, ihr gesamter Besitz wird versteigert. Zusammen mit Hans und Peter flüchtet sie vor der Steuerfahndung nach Österreich, genauer gesagt auf die Zistelalm am Gaisberg. Monatlich erhält sie einen Scheck von Nat Coiner, der ihr und ihrer Familie ein sorgenfreies Leben ermöglicht.
Ablenkung gegen die Langeweile sucht und findet das Paar auf Reisen durch Europa und im Kreise der urlaubenden High Society in Klosters, Davos und St. Moritz in der Schweiz. Irgendwann bleiben die Zahlungen der Mafia aus. Virginia macht Druck bei Nat Coiner und Joe Adonis, doch ihre Dienste werden nicht mehr gebraucht, sie wird fallengelassen. Virginia weiß keinen anderen Ausweg mehr, sie droht der Mafia mit der Veröffentlichung ihres Tagebuchs, in dem sie alle Aufträge und Geschäfte der Cosa Nostra fein säuberlich aufgelistet hat. Damit hat sie die Omertà, das Gesetz des Schweigens, gebrochen - ihr Todesurteil scheint unterzeichnet. Zwei Jahre lang versteckt sie sich in einer Hütte der Familie Hauser in Unken. Als sie Anfang des Jahres 1966 nach Salzburg zurückkehrt, droht sie erneut mit der Existenz ihres Tagebuchs.
Im März 1966 ist Virginia Hill tot, Selbstmord steht in den Akten. Zum Todeshergang gibt es allerdings unterschiedliche Versionen, angeblich existierten sogar zwei Polizeiberichte, im ersten soll von Mord die Rede gewesen sein. Dieser ist verschwunden. Hans Hauser wird im Jahr 1974 erhängt in seiner Bar aufgefunden. Wieder lautet die offizielle Todesursache Selbstmord. Freunde und Zeitzeugen bezweifeln das. Immerhin soll auch Hans versucht haben, mit einer Kopie von Virginias Tagebuch Geld zu erpressen.

Herr Blaikner, wie viel Wahrheit und wie viel Fiktion steckt in Ihrem Buch?
Peter Blaikner: 70 Prozent davon sind sicher wahr, zirka 30 Prozent sind dazuerfunden. Wobei natürlich auch bei der Wahrheit einzelne Szenen von mir ausgeschmückt wurden. Man weiß beispielsweise, welche Gespräche stattgefunden haben, aber den exakten Gesprächsverlauf kennt man nicht. Den habe ich dann so pointiert geschrieben, dass das Gespräch auch interessant und schlüssig wird.
Was für ein Charakter war Virginia Hill?
Viele Anhaltspunkte über ihren Charakter finden sich in ihren Memoiren. (Diese hat Virginia Hill während der zwei Jahre in der Hütte in Unken niedergeschrieben, Anm.) Das Buch hat Hans Hauser 1970 herausgegeben. Darin schreibt sie zwar sehr viel über Partys und über ihre Männergeschichten, aber ganz wenig über die Mafia. Wirklich ausgeplaudert hat sie dabei gar nichts. Dementsprechend war das Buch auch kein Erfolg. Aber über Virginias Charakter kann man sich beim Lesen dieser Lebensbeschreibung ein gutes Bild machen. Sie war immer sehr kurz angebunden und schnell aufbrausend. Auch gewalttätig - v. a. mit Nebenbuhlerinnen hat sie sich wohl öfter geschlagen. Und auch mit Benjamin „Bugsy" Siegel hat sie sich scheinbar häufig geprügelt. Sie hat sich halt durchschlagen müssen in dieser Männerwelt. Und es war in diesen Kreisen tatsächlich eine reine Männerwelt mit einer einzigen Frau dabei, nämlich Virginia, und das ist wirklich nicht leicht - auch heute noch nicht.
Virginia ist als sehr junges Mädchen nach Chicago abgehauen - hatte sie keine Hemmungen, sich mit der Mafia einzulassen?
Ich denke, das hat sie gar nicht gewusst. Als sie anfangs von Nat Coiner zu Pferderennen bzw. -wetten mitgenommen wurde, da hatte sie keine Ahnung, was da läuft. Und Coiner war einfach ein netter Herr, der sie sehr freundlich und distanziert und sehr gut behandelt hat. Der Name Nat Coiner ist übrigens von Virginia Hill erfunden, das ist ein Pseudonym – man nimmt an, für Joseph Epstein.
Was war das für eine Beziehung zu Nat Coiner, immerhin hielt diese ,,Freundschaft" über 30 Jahre?
Coiner hatte Virginia wirklich sehr gern. Zwar hat er sie als Drogen-, Geld- und Juwelenkurier ausgenutzt und auch zum Weißwaschen von Schwarzgeld eingesetzt - sie war eben unauffälliger als irgendwelche Verbrecher. Trotzdem hat er sie sehr geschätzt und bewundert, wahrscheinlich sogar geliebt. Angenähert hat er sich ihr allerdings nie, denn er war homosexuell. Das hat aber nichts daran geändert, dass er immer sehr eifersüchtig auf Virginias Männergeschichten war.
Über Bugsy Siegel schreibt Virginia, dass sie ihn sehr geliebt hat. Er war jedoch berüchtigt für seine Gewalttätigkeit und Skrupellosigkeit. Hat sie das nicht abgeschreckt?
Sie konnte das sehr gut ausklammern. „Da schaue ich nicht hin, dann existiert es nicht." Und obwohl die Liebe zu Bugsy sicher sehr groß war, letzten Endes war ihr Egoismus stärker. Als sie von Nat Coiner nach Paris geschickt wurde, ahnte sie ja, dass Benjamin Siegel ermordet werden sollte, trotzdem hat sie ihn nicht gewarnt, wohl um sich selber zu retten.

Verschwundenes Geld beim Bau des ,,Flamingos" war Siegels Todesurteil. Inwiefern war Virginia da involviert?
Also objektiv betrachtet, war Virginia sicher mitschuldig an Bugsys Ermordung, denn einen Großteil von dem Geld hat sie abgezweigt - für sich selbst. Das wusste nicht einmal Bugsy.
In Sun Valley lernt Virginia den österreichischen Skilehrer Hans Hauser kennen und lieben ...
Virginia war anfangs wirklich sehr begeistert von Hans Hauser und sehr verliebt. Das war endlich mal ein ganz anderer, ein ehrlicher, gradliniger Typ. Irgendwann war er ihr aber wohl doch zu einfach, vor allem weil er kein Geld dahergebracht hat. Aber Hauser war eben eher ein Sonnyboy. Schön, gut aussehend und ein guter Geschichtenerzähler. Er hatte aber keine großen Ambitionen, wollte immer nur Skilehrer sein und auch nur dann arbeiten, wenn es wirklich notwendig war. Er selbst war durchaus zufrieden damit und hat auch nicht mehr gebraucht zum Glücklichsein.
Als die beiden schließlich nach Österreich kamen, wie war ihr Verhältnis zur Schwiegermutter und zum Schwager? Das war ja eine ganz andere Welt.
Mit der Mutter vom Hans hat das nicht gut funktioniert, mit dem Max, dem Bruder, schon. Die Mutter war zwar glücklich, dass ihr ,,verlorener" Sohn nach vielen, zirka fünfzehn, Jahren in Amerika wieder zurück war, aber dann bringt der eine Frau mit, die gar nicht hierher passt. Die Mutter, die alte Hauserin, war ja eine sehr sparsame Frau, die sich alles selbst aufgebaut und Tag und Nacht gearbeitet hat. Und dann kommt eine daher, die das Geld nur so rausschmeißt und sich gar nicht fürs Arbeiten interessiert.

Im Buch bekommt man den Eindruck, Virginia war sehr bald gelangweilt vom Leben hier in Salzburg.
Das stimmt schon. Sie wollte Partys, sich in der High Society bewegen und wichtige Leute kennenlernen, das hat ihr voll getaugt. Darum waren sie und Hans auch viel unterwegs, vor allem in der Schweiz. Das war natürlich super dort mit den ganzen Stars, die dort Winterurlaub gemacht haben. Aber wirklich akzeptiert wurden sie dort nicht, eher als bunte Vögel und gute Stimmungsmacher angesehen. Als das Geld dann ausblieb, war es vorbei, dann wurden sie fallengelassen.
Als die Mafia ihre Zahlungen an Virginia Hill einstellt, droht diese mit der Veröffentlichung ihres Tagebuchs. Ihr Todesurteil, wie es scheint und wie Sie es auch in Ihrem Buch darstellen ...
Von Virginias Tod gibt es mehrere Versionen. Und ich habe mich für eine davon entscheiden müssen. Ein Historiker kann herumtüfteln und Vermutungen anstellen, wie es gewesen sein könnte. Ich als Autor und Dichter muss mich aber für eine Version entscheiden, sonst sind die Leser beleidigt, wenn sie am Ende selbst raten müssen. Da braucht es eine handfeste Geschichte, die schlüssig ist bis zum Schluss, die muss man dann auch liefern.
ÜBER DEN AUTOR
Peter Blaikner
wurde 1954 in Zell am See geboren. Er studierte Germanistik sowie Romanistik und war Lehrer an einem Gymnasium. Heute lebt er als Musiker, Kabarettist und Autor von Geschichten, Romanen, Musicals und Theaterstücken in Salzburg.
Lesung mit Peter Blaikner aus ,,Virginia Hill": Mittwoch, 30. November 2022, 19 Uhr, in der Stadtbücherei Hallein. Reservierung: office@keltenbuchhandlung.at