Salzburg 100

Taschen, Träume, Tradition

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Christina Roth setzt in ihrer Ledermanufaktur auf Handarbeit.BILD: SN/JUDITH NEUHUBER

Was wäre eine Frau ohne ihre Handtasche? Geldbörse, Handy, Lippenstift, Taschentücher-allerlei Nützliches und Unwichtiges sammelt sich darin. So kann einiges an Gewicht zusammenkommen, was frau mit sich trägt. Doch eine Tasche ist nicht nur ein Accessoire. Im Fall von Christina Roth hat eine Tasche ein ganzes Leben verändert.

Ursprünglich war die gebürtige Südoststeirerin beruflich auf der Karriereleiter auf dem Weg nach oben. Als Projektmanagerin bei Red Bull in Salzburg mit Personalund Budgetverantwortung hatte sie zwei Masterabschlüsse in der Tasche und einige Auslandsaufenthalte absolviert. Nach dem zweiten Wirtschaftsstudium wollte sich Roth selbst mit einer Tasche belohnen. ,,Ich bin aber kein Markenmädchen", sagt die 35Jährige über sich selbst. Eine Tasche von der Stange, bei der man auch für den Namen zahlt, kam also nicht infrage. In Wien fand Roth eine Taschnerin, die ihr eine Tasche nach ihren Vorstellungen anfertigte.

Liebe auf den ersten Blick
Die gefiel letztlich nicht nur ihr, sondern auch anderen. Vor ihrem wirtschaftlichen Hintergrund kam Roth die Idee, mehrere dieser Taschen herstellen zu lassen und diese dann zu verkaufen. Doch mit der Taschnerin in Wien konnte sie nicht mehr rechnen, denn die hatte inzwischen aufgehört. Schließlich stieß sie auf den Taschner Mark Kainberger in Salzburg. ,,Als ich in seine Werkstatt rein bin, war es Liebe auf den ersten Blick: der Ledergeruch, der knarrende Holzboden, die erdige Arbeit", erinnert sich Roth. Es war ein Kontakt zu einer anderen Welt, und Roth war bis dahin nicht bewusst, dass diese andere Welt sie so anziehen würde.

Christina Roth war dermaßen begeistert von der Arbeit mit Leder, dass sich in ihr ein aus heutiger Sicht naiver Gedanke festsetzte: ,,Das kann nicht so schwer sein. Das kann ich auch." Kurzerhand fuhr sie zu einem Baumarkt, kaufte sich dort Schere und Kleber und besorgte sich noch Leder. Doch so einfach, wie Roth sich die Arbeit vorgestellt hatte, war sie doch nicht, wie sie schnell herausfand. Sie probierte zum Beispiel 15 verschiedene Kleber aus, bis sie wusste, mit welchem sie arbeiten konnte. Tipps von Ledergalanteriewarenerzeugern, wie diese Taschner-Sparte offiziell heißt, konnte sich Roth nicht holen, weil es nur mehr wenige dieser Handwerker gibt. Und auch im Internet ist nicht viel über diesen alten Beruf zu finden. Trotzdem blieb Roth dran. „Ich habe eine richtige Obsession entwickelt", erzählt sie. Da war sie Mitte 20. Sie opferte für ihre Leidenschaft Freizeit und Urlaub und hatte daneben ihren regulären Job. ,,Ich habe beide Berufe exzessiv betrieben", stellt Roth fest. Doch dann stand sie vor einem Scheideweg. Will man in Österreich Produkte aus Leder verkaufen, braucht man dafür eine Gewerbeberechtigung. Die gibt es aber nur mit einer entsprechenden Ausbildung. Also den gut bezahlten Job aufgeben und in die Berufsschule gehen?

Roth entschied sich für diesen Schritt. Sie besuchte die Berufsschule in Lilienfeld und saß als einzige Ledergalanteriewarenerzeugerin mit Reitsportund Autosattlern in der Klasse. Praktische Erfahrung konnte Roth allerdings nicht in einer Werkstatt sammeln, denn: „Für mich gab es keinen Lehrbetrieb." Also zog sie auf eigene Faust los, machte Praktika in Frankreich und Japan, bei einem der besten Taschner der Welt. Und weil sie keinen Lehrbetrieb hatte, musste sie auch die Schulkosten sowie die Reiseund Übernachtungskosten aus eigener Tasche bezahlen. Sie finanzierte das und ihren Lebensunterhalt mit Erspartem. Seit 2019, nach der Lehrabschlussprüfung, ist Christina Roth nun eine der wenigen Ledergalanteriewarenerzeugerinnen in Österreich.

Werkstatt in der Getreidegasse
Anfang 2020 der nächste Schritt: Roth eröffnete in der Getreidegasse in Salzburg ihre eigene Werkstatt. Ein messingfarbenes Schild an einer Holztür weist Kunden den Weg. Er führt über eine Holztreppe und einen Fußboden aus Adneter Marmor in den ersten Stock von Haus Nummer 30. Ihre Ledermanufaktur war ursprünglich ein Lager und die Arbeit gerade im ersten Winter ohne Heizung sehr mühsam. Schließlich braucht Roth für ihre Arbeit warme Finger. ,,Ich wollte aber unbedingt wohin, wo das Umfeld zum Handwerk passt", erklärt die 35-Jährige. Das Haus, in dem sie ihre Produkte herstellt, hat eine 500-jährige Geschichte. Christian Wieber mit seiner Schlosserei und Messermacher Richard Kappeller befinden sich in der Nachbarschaft.

In Roths Werkstatt entsteht alles aus Leder, was nicht zum Anziehen ist. Taschen, Geldbörsen, Schlüsselanhänger oder Gürtel werden ausschließlich in Handarbeit gefertigt. Zwar gibt es auch zwei Nähmaschinen im Raum, die kommen aber nur bei Reparaturen und beim Anfertigen von Prototypen zum Einsatz. Roth hat sich inzwischen einen Namen gemacht und stellt Prototypen für die Massenproduktion her, sei es für den funktionellen Bereich oder für Modedesigner. Dass dann nicht ihr Name auf den Produkten steht, ist Roth nicht so wichtig. Ihr geht es um das Handwerkliche.

„Wir sind im deutschsprachigen Raum die Einzigen, die Feinlederwaren und Taschen von Hand mit der traditionellen Sattlernaht nähen", berichtet Roth. Sie spricht in der Mehrzahl, denn sie beschäftigt inzwischen auch eine Auszubildende. „Wenn du mit den Händen was machst, steckst du Energie rein. Das Produkt ist dann anders aufgeladen", ist die Taschnerin überzeugt. „Das, was wir machen, ist etwas Besonderes. Wir konkurrieren nicht mit dem Massenmarkt." Ob Leder von Karpfen, Schlange, Kalb, Schwein, Ziege oder Krokodil-natürlich zertifiziert -, verwendet wird, was dem Kunden gefällt und für das gewünschte Produkt geeignet ist. Nachdem zum Beispiel die Einzelteile einer Tasche zugeschnitten sind, wird das Leder in Wien gespaltet, zurück nach Salzburg geschickt und dort zusammengefügt. Dafür braucht die Taschnerin Fingerfertigkeit, Geduld und Feingefühl. Die Arbeit ist körperlich durchaus anstrengend, da viel zu heben ist, aber auch gehämmert, gezogen, geschnitten und gedrückt wird. Zahlreiche Arbeitsschritte und -stunden stecken in einem fertigen Produkt. Wer eine Tasche von Christina Roth haben will, muss mindestens sechs Monate darauf warten. Auch für Reparaturen gibt es eine Wartezeit.

Nach ihren Wünschen für die Zukunft gefragt, sagt die Taschnerin: ,,Ich will, dass das Handwerk weiterlebt und wieder wächst." Sie gibt deshalb ihr Fachwissen in Workshops weiter und will weiterhin Lehrlinge ausbilden. Ihr persönliches Ziel: „Ich würde geme zu den fachlich besten Lederhandwerkerinnen in Europa gehören."