SN.AT / Leben

Neptuns schuppige Schätze

Istriens salziger Reichtum. Seit jeher leben die Menschen hier mit und vom Meer. Von traditionellen Fangmethoden und innovativem Artenschutz.

Auswilderung einer Schildkröte.
Auswilderung einer Schildkröte.

Der Krake benutzt seine Fangarme sowohl als Füße wie auch als Hände. Er nimmt die Nahrung mit den beiden auf, welche über seinem Mund liegen." Das schrieb der berühmte griechische Philosoph Aristoteles. Vom Leben unter Wasser fasziniert, fragte er Fischer nach den Namen der Tiere. Diese Faszination teilen Forscherinnen, Hobbytaucher und auch Feinschmecker bis heute. Mit gut 600 Fischarten - von Flachwasser bis Riff und Tiefsee - zeigt gerade das Mittelmeer eine enorme Artenvielfalt. Und manche dieser Arten brauchen besonderen Schutz.

Ein fast unscheinbares Steintor öffnet sich im Fort Verudela auf der idyllischen Halbinsel am Südrand der Stadt Pula. In der Befestigungsanlage aus der Habsburgerzeit saßen einst k. u. k. Marinesoldaten, heute sind hier rund 250 Tierarten aus dem Mittelmeer und anderen Ozeanen untergebracht. Im Aquarium mit seinen Wasserbecken und Vivarien sind Spezies aus dem Meer zu bestaunen, aber auch Bewohner der kroatischen Flüsse und Seen.

Warum Milena Mičić ihr eindrucksvolles Projekt ausgerechnet in Pula realisiert hat, erklärt die Meeresbiologin so: "Alles hat in Pula begonnen, hier war der Standort des k. u. k. Hydrografischen Amts und aller meeresbezogenen Wissenschaften." Gegründet im Jahr 2000 und 2006 offiziell anerkannt, wurde das einzige Aquarium Istriens - und das größte Kroatiens - nun mit EU-Hilfe ausgebaut. Denn hier werden nicht nur Fische und andere Meeresbewohner gezeigt.

Eine alte Festung als neues „Sanatorium“: In Pulas „Aquarium“ sind Meerestiere zu bestaunen, aber auch Schildkröten werden gesund gepflegt und danach wieder ausgewildert.
Eine alte Festung als neues „Sanatorium“: In Pulas „Aquarium“ sind Meerestiere zu bestaunen, aber auch Schildkröten werden gesund gepflegt und danach wieder ausgewildert.
Eine alte Festung als neues „Sanatorium“: In Pulas „Aquarium“ sind Meerestiere zu bestaunen, aber auch Schildkröten werden gesund gepflegt und danach wieder ausgewildert.
Eine alte Festung als neues „Sanatorium“: In Pulas „Aquarium“ sind Meerestiere zu bestaunen, aber auch Schildkröten werden gesund gepflegt und danach wieder ausgewildert.
Eine alte Festung als neues „Sanatorium“: In Pulas „Aquarium“ sind Meerestiere zu bestaunen, aber auch Schildkröten werden gesund gepflegt und danach wieder ausgewildert.
Eine alte Festung als neues „Sanatorium“: In Pulas „Aquarium“ sind Meerestiere zu bestaunen, aber auch Schildkröten werden gesund gepflegt und danach wieder ausgewildert.

Tamara Sović geht zu einem fast mannshohen blauen Bottich und schaut prüfend hinein. Hier erholt sich Čiko von einer Kopfverletzung, die die Meeresschildkröte am Tauchen und damit an der Futtersuche hinderte. Zum Einsatz kommt auch Manukahonig. "Wenn es irgendwie geht, vermeiden wir Antibiotika", sagt die junge Meeresbiologin. Derzeit paddeln vier Schildkröten ihrer Genesung entgegen. Stolz zeigt Tamara die neuen Geräte in der Schildkrötenambulanz: Röntgenapparate, die noch am selben Tag etwa verschluckte Angelhaken zeigen, ein OP-Raum mit Anästhesie, Ultraschall und Videosonde. Das sei wichtig, denn die besondere Anatomie der Reptilien erlaube es nur von zwei Seiten, unter ihren Panzer zu kommen. "In den 24 Jahren wurden hier 200 Schildkröten gerettet oder zumindest behandelt."

Ein Mal im Jahr werden die gesundeten Tiere wieder ausgewildert, unter viel Beifall der Zuschauer, meist am 16. Juni, dem Weltschildkrötentag. Die Erfolgsgeschichte ist als Multimediaschau im Aquarium zu erleben. Und wer sich - vor allem die kleinen Gäste - nicht aufs Zusehen beschränken möchte, macht beim Spiel mit. Tamara: "Man muss als Tierarzt eine Schildkröte diagnostizieren und therapieren, das Spiel ist für alle Altersklassen."

Ein weiteres Sorgenkind: Pinna nobilis, die Große oder auch Edle Steckmuschel. Ein kleiner Parasit, der von Spanien aus das Mittelmeer eroberte, führte zu einem Massensterben dieser imposanten Meeresbewohner. 98 Prozent des Bestands sind verschwunden, nur in manchen Adriabuchten gab es Überlebende. Der Lebenszyklus wird im Aquarium genau beobachtet. Befruchtungszeit ist im Frühling und im Sommer, im Oktober werden im gesamten Adriabereich Jungtiere eingesammelt, um sie dann wieder anzusiedeln. "Wir wollen untersuchen, ob sich die Lagune von Venedig und die Region um das istrische Städtchen Vrsar dafür eignen", erklärt Tamara. "Wir produzieren Zoo- und Phytoplankton als Futter für die Krankenstation, die Muschelzucht und generell für die Aquarien." Lieblingsspeise in der Unterwasserwelt: Isochrysis galbana, die nahrhafteste unter den Mikroalgen.

Im nächsten Trakt ist ein Quallenlabor eingerichtet. Hier arbeitet und forscht Milenas Tochter Klara, die in die Fußstapfen ihrer Mutter tritt. Sie bricht eine Lanze für die oft verkannten Geschöpfe: "Quallen zählen zu den besten Kohlenstoffbindern, ähnlich wie Miesmuscheln, aber die sind halt nicht mobil." Es ist eine wundersame, faszinierende Welt, voller Farben und Formen. Und wer hier durch die Fauna und Flora der nassen Welten flaniert, spürt schnell Begeisterung und Respekt.

Seit vielen Jahren Treffpunkt für Fischliebhaber: das Restaurant Madalu von Mauro Bernobić und seinen drei Söhnen, hier Mateo und Luka.
Seit vielen Jahren Treffpunkt für Fischliebhaber: das Restaurant Madalu von Mauro Bernobić und seinen drei Söhnen, hier Mateo und Luka.
Wo die Fischerboote unterwegs sind, sind Möwen und auch Delfine nicht mehr weit .
Wo die Fischerboote unterwegs sind, sind Möwen und auch Delfine nicht mehr weit .
Danilo Skokos Herz schlägt heute noch für die Fischerei und das Meer.
Danilo Skokos Herz schlägt heute noch für die Fischerei und das Meer.

Und dennoch: Urlaub in Istrien ganz ohne frischen Fisch und Meeresfrüchte auf dem Teller ist für die meisten Gäste undenkbar. Das Wasser an der rund 550 Kilometer langen Küstenlinie ist meist glasklar und wohltemperiert. Zwischen Felsnischen, Kiesstränden und Seegraswiesen ist gut leben für Frau Muschel, Herrn Hummer und Familie Fisch. Und so birgt rund um die Halbinsel Istrien und bis in den Golf von Triest die Adria vielerlei Schätze. Die Fischer holen Doraden und vielerlei Brassen, Seeteufel und Drachenköpfe, Makrelen und Sardellen, Wolfsbarsche und Meeräschen aus dem Wasser. Dazu kommen die lokalen Spezialitäten, wie Austern aus dem Limski-Fjord, der sich zwischen Vrsar und Rovinj tief ins Landesinnere zieht, und Seezungen und kleine Jakobsmuscheln aus dem Meer vor Novigrad und Savudrija.

Irena Fonda mit einer Dorade und einem Wolfsbarsch aus ihrer Aquakultur.
Irena Fonda mit einer Dorade und einem Wolfsbarsch aus ihrer Aquakultur.

Fischerei hat hier Tradition, das zeigen die traditionellen Rezepte der Istrianer. Schwierig jedoch, sich gegen kommerzielle Fangflotten zu behaupten. Danilo Skoko zuckt die Schultern. "Ich bin hier geboren, lebe schon immer hier, bin Fischer in vierter Generation. Von der Fischerei kann man aber nicht leben." Also hat der studierte Wirtschaftswissenschafter vorerst in einer Spedition gearbeitet. Und dann, vor 24 Jahren, die Konoba Batelina in Banjole eröffnet. "Wir verarbeiten den Tagesfang; 70 Prozent davon, was in unserem Gasthaus auf den Tisch kommt, fangen wir selbst." Das Fischen ist immer noch seine Passion. "Wenn ich in den Hafen zurückkomme, ist das ein unglaubliches Gefühl von Frieden."

Mehr als 40 Sitzplätze hat er nicht. "Wir haben an der Qualität gearbeitet, nicht am Umfang." Mit einer Handvoll Leute in Küche und Service kommt er aus, die berühmten Desserts macht seine Frau. Er selbst ist jeden Tag bis zu 16 Stunden im Einsatz. Entweder am Boot oder bei der Menübesprechung oder in der Küche. Nur im August schließt er die Türen. Da ist zwar Hochsaison, aber der Fisch "ist nix". Denn es gibt Jahreszeiten.

"Im Frühjahr beginnt die Hummersaison, dann Wolfsbarsch und Goldbrasse, im Winter stehen die Seezungen auf der Karte", zählt Jozo Ponjavić auf. Die Jakobsmuscheln und auch Vongole für sein Restaurant Tri Palme kommen ganzjährig aus dem Meer vor Novigrad. "Wir haben genügend Fischer. Trotzdem ist es manchmal schwierig, dann greifen wir auf Fischzucht zurück, aber auf die lokale." Auch die profitiert von der exzellenten Wasserqualität.

80% des Sauerstoffs kommen aus dem Meer

"Fisch gibt's immer, aber er ist nicht immer gleich gut. Wenn nicht Sardinenzeit ist, dann haben die keinen Geschmack", bestätigt auch Mauro Bernobić. "Alles hat seine Saison, die Früchte wie die Meeresfrüchte." 20 Jahre lang war er Fischer, bis er 1984 begonnen hat, im Tourismus zu arbeiten, gemeinsam mit dem Halleiner Guido Schwengersbauer. Mit seinem Restaurant Madalu - benannt nach seinen Söhnen Mateo, Danijel und Luka - hat sich Mauro einen Namen bei den Gourmets gemacht, auch über die Grenzen hinweg. Gegrillte Pilgermuscheln werden da serviert, aber auch Carpaccio vom Wolfsbarsch, Oktopussalat oder ein Tatar von Kvarner-Scampi - für ihn die allerbesten. Und auch wenn er nun Wirt in Tar auf dem Festland ist, kennt er die Fischerei gut. Erfahrung gehöre dazu, etwa 10 bis 20 Jahre. "Man kann eine Woche lang das Netz ins Wasser halten und nichts fangen." Und es gibt gute Tage. Dann bleiben rund 40 bis 50 Kilo Tintenfisch im Netz. Ausnahme: Delfine hinter dem Boot. "Dann bleiben nur ein paar Stücke übrig. Die sind schlauer als wir. Wenn man als Fischer alleine unterwegs ist und Delfine sieht, dann nix wie weg." Er lacht.

Irena Fonda ist daran gewöhnt, dass Delfine kommen. Wenn sie mit Besuchern die Fische in ihren Aquakulturnetzen im Meer vor Piran füttert, dann "sind mehr Fische außerhalb der Netze als drinnen". Ein Fest für alle. Auch für Delfine.

Als Irenas Vater Ugo, Meeresbiologe wie sie selbst und ihr Bruder Lean, mit seiner Idee kam, war Irena skeptisch - Fischzucht sei doch bedenklich. Doch ihr Vater widersprach. "Er sagte, wir sind Biologen, wir können den besten Fisch der Welt machen." Ugo Fonda war überzeugt, dass jedes Netz, jede Kette der Anlage binnen kürzester Zeit besiedelt würde, und wirklich: Eine unglaubliche Artenvielfalt ist unter Wasser zu bestaunen, um jedes Plätzchen entsteht ein Wettbewerb. Begehrt sind seit Jahren auch die Fonda-Fische: Fangfrisch werden die Doraden und Wolfsbarsche bis nach Österreich geliefert.

Unweit der Fischbecken werden die Bauteile mit integrierten Natursteinen, wie im Modell ersichtlich, im Meer vor Piran versenkt.
Unweit der Fischbecken werden die Bauteile mit integrierten Natursteinen, wie im Modell ersichtlich, im Meer vor Piran versenkt.
Bauteil wird versenkt.
Bauteil wird versenkt.
Unweit der Fischbecken werden die Bauteile mit integrierten Natursteinen im Meer vor Piran versenkt.
Unweit der Fischbecken werden die Bauteile mit integrierten Natursteinen im Meer vor Piran versenkt.
Piran
Piran

Von Österreich kommt auch die meiste Unterstützung für das Herzensprojekt ihres Vaters, das Irena jetzt umsetzt: ein künstliches Riff als Lebensraum und als Antwort auf die zunehmende Verschlammung des Meeresbodens vor der istrischen Küste Sloweniens durch die Umleitung von Flüssen. "Der Schlamm ist nützlich, als Fango für die Spas, und durchaus lebendig, hier leben Krebse, Würmer, Muscheln." Wie ein Baum, in dem Vögel, Mäuse, Insekten zu Hause sind, solle das Riff die Struktur vorgeben. "Dann siedeln sich wieder die Rasenkoralle, die Cladocora caespitosa, und all jene Tiere an, die das Wasser filtern. Dort, wo es eben nicht perfekt ist, wo auch die Kanalisation ins Meer geht." Ein Gewinn für alle. In ihrem Gesicht leuchtet die Begeisterung.

Nun sind die Bewilligungen da, und erste Sponsoren. "Ich wollte immer Papas Strukturen verwirklichen, vor 30 Jahren war's ja ganz neu. Jetzt gibt es das auf der ganzen Welt." Überzeugt von dem Projekt gründete sie das Non-Profit-Institut für Biodiversität You(r)Sea und startete das Crowdfunding. Neuer Name der "Aquacultura multitrophica": Sea Oasis Piran. Die gut durchdachten Elemente aus schadstofffreiem Beton, ein wenig Eisen - "Tiere wie Meeresschnecken lieben das" - und Kalkstein sind ökologisch unbedenklich und sollten rund 100 Jahre problemlos überdauern. Die Basis mit fünf Wachstumsplatten ist 5,5 Meter breit, drei Meter hoch und 3,5 Meter lang - ein ideales Fertigteilhaus für Meeresorganismen.

Das Wichtigste für die Meeresbiologin jedoch ist Information. Ihr jüngstes Projekt für Kinder: Die "Blaue Schule", mit der Ausstellung "Bewohner des Meeres" oder beim Müllsammeln an der Küste, nicht nur auf den 46,6 Kilometern Sloweniens. Nette Randnotiz: Die erste Klasse der "Scuola blu" kam aus Kärnten.

Generell stellt Irena den Österreichern ein gutes Zeugnis aus: "Sie sind sehr engagiert und haben viel Bewusstsein, viel Gemeinschaftssinn." Der nächste Punkt auf dem Einkaufszettel: Unterwasserkameras. Ein Schritt nach dem anderen. "Unsere Oasis ist nur ein Tropfen im Meer, aber der Unterricht in der Schule ist eine Welle." Da spricht sie auch von den so unbeliebten Seegraswiesen, dem Tang. "Auch wenn immer vom Wald die Rede ist: 80 Prozent des Sauerstoffs kommen aus dem Meer." Es sei schon absurd, dass die Menschheit zum Mars fliegen wolle, aber unseren Planeten zerstöre. "All das macht mir unglaublich viel Arbeit, doch es gibt mir auch unglaublich viel Energie zurück, und ich gebe dem Meer etwas zurück. Dieses Projekt ist für alle."

Adria-Delfine
Adria-Delfine

Info& Adressen

Aquarium Pula:
Die Anlage liegt in der 130 Jahre alten Festung Verudela, Teil der k. u. k. "Festung Pula". Im Erdgeschoß sind die nordadriatischen und Süßwasserlebensräume untergebracht, eine Sommerterrasse und ein Spielplatz sowie die "Evolutionsausstellung" mit lebenden Fossilien und Reptilien. Im ersten Stock liegen die Meeresschildkröten-Rettungsstation und weitere Mittelmeerlebensräume. In der benachbarten Batteria San Giovanni: tropische Welten. Tipp: Blick vom Dach der Festung auf das umliegende Meer und Pula. Täglich und ganzjährig geöffnet. Tägliche Aktivitäten wie Kaiman- und Haifütterungen.
aquarium.hr/en

Fonda Fish Farm:
In frei in der Meeresströmung schwebenden Netzen werden Branzino und Dorade mit Herkunftsbezeichnung sowie Miesmuscheln gezüchtet. Fonda Fresh Fish Tasting Academy, Workshop rund um Fisch und seine Reifung. Besuch der Fischgärten per Boot: vorab zu buchen, nur bei gutem Wetter, inklusive kleiner Fischverkostung.
www.fonda.si/en/
You(r)Sea, Fonda-Initiative zum Schutz des Meeres und seiner biologischen Vielfalt, Info zu Meeresoase Piran, Blaue Schule, Wohltätigkeitsaktion und mehr.
www.yoursea.org

Schlafen & Essen:
Grand Hotel Brioni Pula auf der Halbinsel Verudela, moderne Eleganz mit Meerblick und Pool, mitten im Pinienhain, eigenes Restaurant, das Aquarium ist nur wenige Schritte entfernt.
www.radissonhotels.com/de-de
Konoba Batelina, Čimulje 25, Banjole; feinste Fischküche auf karierten Tischtüchern. Gemütliches Ambiente, exzellente Desserts, istrische Weine.
Tel. +385 52 573 767
Tri Palme, Novigrad, hübsches, typisch istrisch gestaltetes Lokal, sehr freundlicher Service, gute Muscheln, feine Weine.
www.facebook.com/TriPalmeNovigrad
Madalu, seit vielen Jahren Fixpunkt für Freunde von frischem Fisch, delikate und vielfältige Vorspeisenplatten, Ulica Istarska 58, Tar.
Tel. +385 95 854 6708