Müssten die Waldviertler ein Wappentier bestimmen, wäre die Entscheidung wahrscheinlich schnell getroffen. Neben Graumohn, Erdäpfeln und Bier gehört auf jeden Fall der Karpfen zu den wichtigsten kulinarischen Repräsentanten der Region. Die Bedeutung des schuppigen Speisefischs reicht aber weit über die Esskultur hinaus. 900 Jahre Teichwirtschaft und Fischzucht haben im Waldviertel nicht nur das Brauchtum geprägt, sondern auch das Landschaftsbild nachhaltig verändert. Mehr als 2000 Teiche und Weiher überziehen heute das "Viertel ober dem Manhartsberg", ein Großteil davon wurde einmal für die Fischzucht künstlich angelegt. Was als landschaftliches Potpourri aus Wald, Hügeln und Teichen den Charakter des Landstrichs heute so reizvoll macht, ist nicht zufällig entstanden. Es ist eine über Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft.
Fastenspeise des Klerus
"Ihren Ursprung hat die Waldviertler Karpfenzucht im Umfeld der Klöster", weiß Leo Kirchmaier, Geschäftsführer des Niederösterreichischen Teichwirteverbands. Fisch sei früher eine Speise der Geistlichkeit und des Adels gewesen, erklärt er. "An bis zu 180 Fastentagen durfte im Mittelalter kein Fleisch gegessen werden. Deshalb hat man sich mit Fisch als hochwertiger Proteinquelle beholfen." Dass ausgerechnet der Karpfen als Zuchtfisch auserkoren wurde, sei kein Zufall gewesen, führt der Niederösterreicher weiter aus. "Aufgrund ihrer Robustheit und ihrer Toleranz gegenüber geringen Sauerstoffgehalten eignen sich diese Fische hervorragend für die Haltung in Teichanlagen." Unvergleichlich sei aber vor allem die Qualität des hochwertigen Fleisches. "Der Waldviertler Karpfen hat einen exzellenten Geschmack und ein besonderes Aroma", betont Kirchmaier. Mit einem Fettanteil von etwa 10 Prozent sei das Fleisch - anders als häufig behauptet - sogar relativ mager. An dieser Stelle weist der Experte noch ein anderes hartnäckiges Gerücht zurück. Das Vorurteil, die Fische würden "grundln", "murln" oder "lettln", sei mittlerweile völlig haltlos. "Das kommt heute nicht mehr vor. Die Teiche werden gut gepflegt und von Algen befreit. Zudem benutzen so gut wie alle Betriebe Frischwasserbecken, in denen die Fische einige Zeit verbringen."
Naturnahe Fischwirtschaft
Rund 1700 Hektar Teichfläche und damit über 80 Prozent der niederösterreichischen Fischteiche befinden sich im Waldviertel. "Im Regelfall sind die Karpfen in den Teichanlagen die Hauptfische", weiß Kirchmaier. "Üblicherweise werden sie - je nach Altersklasse - in Polykultur mit zum Beispiel Schleien, Zandern oder Hechten gehalten." Eine Besonderheit sei die Aufzucht der Karpfen aufgrund des drei- bis viersömmerigen Umtriebs, führt er aus. Das heißt: Drei bis vier Jahre dauert es, bis die Fische ihre Speisereife erreichen und geerntet werden können. "In der Tierhaltung ist das ein ungewöhnlich langer Zeitraum", betont Kirchmaier. "Gleichzeitig macht das auch die Wertigkeit dieses Produkts aus."
Ökologisch hochwertig ist auch der Lebensraum der Tiere. Karpfenteiche bieten nämlich auch optimale Voraussetzungen für das Gedeihen einer Vielzahl von anderen Tier- und Pflanzenarten. So profitieren die Zuchtfische nicht nur von den sauberen, unbelasteten Gewässern, sie ernähren sich durchwegs auch von natürlichen Nahrungsquellen im Teich. Zusätzlich dazu erhalten sie eine geringe Menge an Getreide und Leguminosen.