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Waldviertler Karpfen: König der Teiche

Seit 900 Jahren werden im Waldviertel Karpfen gezüchtet. Die naturnahe Teichbewirtschaftung sorgt für eine hervorragende Fischqualität.

Im Oktober beginnt die Fischernte und an einigen Waldviertler Seen finden traditionelle Abfischfeste statt.
Im Oktober beginnt die Fischernte und an einigen Waldviertler Seen finden traditionelle Abfischfeste statt.

Müssten die Waldviertler ein Wappentier bestimmen, wäre die Entscheidung wahrscheinlich schnell getroffen. Neben Graumohn, Erdäpfeln und Bier gehört auf jeden Fall der Karpfen zu den wichtigsten kulinarischen Repräsentanten der Region. Die Bedeutung des schuppigen Speisefischs reicht aber weit über die Esskultur hinaus. 900 Jahre Teichwirtschaft und Fischzucht haben im Waldviertel nicht nur das Brauchtum geprägt, sondern auch das Landschaftsbild nachhaltig verändert. Mehr als 2000 Teiche und Weiher überziehen heute das "Viertel ober dem Manhartsberg", ein Großteil davon wurde einmal für die Fischzucht künstlich angelegt. Was als landschaftliches Potpourri aus Wald, Hügeln und Teichen den Charakter des Landstrichs heute so reizvoll macht, ist nicht zufällig entstanden. Es ist eine über Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft.

Fastenspeise des Klerus

"Ihren Ursprung hat die Waldviertler Karpfenzucht im Umfeld der Klöster", weiß Leo Kirchmaier, Geschäftsführer des Niederösterreichischen Teichwirteverbands. Fisch sei früher eine Speise der Geistlichkeit und des Adels gewesen, erklärt er. "An bis zu 180 Fastentagen durfte im Mittelalter kein Fleisch gegessen werden. Deshalb hat man sich mit Fisch als hochwertiger Proteinquelle beholfen." Dass ausgerechnet der Karpfen als Zuchtfisch auserkoren wurde, sei kein Zufall gewesen, führt der Niederösterreicher weiter aus. "Aufgrund ihrer Robustheit und ihrer Toleranz gegenüber geringen Sauerstoffgehalten eignen sich diese Fische hervorragend für die Haltung in Teichanlagen." Unvergleichlich sei aber vor allem die Qualität des hochwertigen Fleisches. "Der Waldviertler Karpfen hat einen exzellenten Geschmack und ein besonderes Aroma", betont Kirchmaier. Mit einem Fettanteil von etwa 10 Prozent sei das Fleisch - anders als häufig behauptet - sogar relativ mager. An dieser Stelle weist der Experte noch ein anderes hartnäckiges Gerücht zurück. Das Vorurteil, die Fische würden "grundln", "murln" oder "lettln", sei mittlerweile völlig haltlos. "Das kommt heute nicht mehr vor. Die Teiche werden gut gepflegt und von Algen befreit. Zudem benutzen so gut wie alle Betriebe Frischwasserbecken, in denen die Fische einige Zeit verbringen."

Naturnahe Fischwirtschaft

Rund 1700 Hektar Teichfläche und damit über 80 Prozent der niederösterreichischen Fischteiche befinden sich im Waldviertel. "Im Regelfall sind die Karpfen in den Teichanlagen die Hauptfische", weiß Kirchmaier. "Üblicherweise werden sie - je nach Altersklasse - in Polykultur mit zum Beispiel Schleien, Zandern oder Hechten gehalten." Eine Besonderheit sei die Aufzucht der Karpfen aufgrund des drei- bis viersömmerigen Umtriebs, führt er aus. Das heißt: Drei bis vier Jahre dauert es, bis die Fische ihre Speisereife erreichen und geerntet werden können. "In der Tierhaltung ist das ein ungewöhnlich langer Zeitraum", betont Kirchmaier. "Gleichzeitig macht das auch die Wertigkeit dieses Produkts aus."

Ökologisch hochwertig ist auch der Lebensraum der Tiere. Karpfenteiche bieten nämlich auch optimale Voraussetzungen für das Gedeihen einer Vielzahl von anderen Tier- und Pflanzenarten. So profitieren die Zuchtfische nicht nur von den sauberen, unbelasteten Gewässern, sie ernähren sich durchwegs auch von natürlichen Nahrungsquellen im Teich. Zusätzlich dazu erhalten sie eine geringe Menge an Getreide und Leguminosen.

Der Karpfen hat nicht nur die beste Ökobilanz unter den Speisefischen, sondern ist auch eine absolute Delikatesse.
Der Karpfen hat nicht nur die beste Ökobilanz unter den Speisefischen, sondern ist auch eine absolute Delikatesse.
Die traditionelle Karpfenteichwirtschaft im Waldviertel ist eine der nachhaltigsten Formen der Fischzucht.
Die traditionelle Karpfenteichwirtschaft im Waldviertel ist eine der nachhaltigsten Formen der Fischzucht.

Anders als in vielen anderen Aquakulturen geraten die Waldviertler Karpfen bei ihrer Aufzucht nicht in räumliche Bedrängnis: In einem Abwachsteich hat jedes ausgewachsene Tier rund 15 Quadratmeter Bewegungsfreiheit. Seit 1999 ist der Waldviertler Karpfen auch als geschützte Marke beim Österreichischen Patentamt registriert. Inhaber ist der Niederösterreichische Teichwirteverband, der die Schutzmarke nur an jene Betriebe vergibt, die den Richtlinien entsprechend produzieren.

Aufzucht der Karpfen

Rund 1300 Arten Karpfengattungen gibt es weltweit. Dazu zählen unter anderem auch die farbenprächtigen japanischen Kois, quasi die exotischen Verwandten der Waldviertler Karpfen. Rekordverdächtige 25 Kilogramm können wild lebende Arten auf die Waage bringen, das reguläre Marktgewicht bewegt sich - je nach Region - zwischen zwei und drei Kilogramm. Entsprechend ihrer Altersklasse werden die Tiere in der Regel in getrennter Abfolge in verschiedenen Teichen gehalten. "Man unterscheidet zwischen Laich-, Brut-, Streck- und Abwachsteichen", erklärt Kirchmaier. Erreichen die Fische ein gewisses Alter bzw. eine bestimmte Größe, werden sie in den nächsten Teich übersiedelt. Nach drei bis vier Sommern verbringen die Karpfen ihren letzten Turnus dann in den sogenannten Abwachsteichen, wo sie zu Speisekarpfen heranwachsen. Eine zweite (althergebrachte) Variante ist die sogenannte Femelwirtschaft, bei der alle Altersklassen zusammen gehalten werden.

Im Herbst kommt mit dem Abfischen die Erntezeit. Die Teiche werden fast vollständig geleert und die Fische mithilfe von Netzen und Keschern entnommen.

Königin und Prinzessin

Über einen "Hofstaat" verfügt der König der Waldviertler Teiche übrigens auch. Als Karpfenkönigin und Karpfenprinzessin amtieren seit dem vorigen Jahr Sandra Esser und Michaela Altmann. Beide haben einiges an Repräsentationsarbeit zu leisten, denn sie sind gern gesehene Markenbotschafterinnen auf Abfischfesten, Messen und Märkten. Altmann ist zudem auch ausgebildete "Teichrangerin" und arbeitet im Fischzuchtbetrieb ihres Lebensgefährten mit. "Die Teichwirtschaft ist ein wichtiger Teil unserer landwirtschaftlichen Kultur", ist sie überzeugt. "Der Karpfen gehört einfach zum Waldviertel wie Mohn und Bier."

Michaela Altmann
Michaela Altmann