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SN-Mitgekocht: Göttlicher Fischeintopf - und ja wirklich, er wird mit Sauerkraut serviert

Geheimnisse der elsässischen Küche. Der ehemalige Dombaumeister Christophe Boule verrät die Geheimnisse der elsässischen Küche - und damit, ob Fisch und Sauerkraut je zusammenpassen können. Und nebenbei erzählt er uns, wieso Notre-Dame beim Brand eigentlich einstürzen konnte.

Ein Gericht wie eine Kathedrale.
Ein Gericht wie eine Kathedrale.
Der geräucherte Fisch wird mit Milch geschmort, der Rest kommt aufs Backblech.
Der geräucherte Fisch wird mit Milch geschmort, der Rest kommt aufs Backblech.

Weder eine gotische Kirche noch einen Choucroute kann man an einem Tag fertigstellen", sagt Christophe Boule. Punkt. Er weiß es, denn es handelt sich um den ehemaligen Dombaumeister des Liebfrauenwerks, der Dombauhütte des Straßburger Doms. Jetzt macht Christophe erst einmal eine Flasche Elsässer Riesling auf.

Rund zehn Jahre war Meister Boule für das weltbekannte Münster zuständig. In seine Zeit fiel die Fertigstellung der Generalsanierung des 142 Meter hohen Nordturms. Nach der Jahrtausendwende, am Beginn einer tiefgreifenden Immobilienkrise in Frankreich, machte er sich dann selbstständig - und ist zum größten privaten Wohnbauunternehmer des Elsass aufgestiegen.

Das Sauerkraut hat er schon am Vortag im traditionellen elsässischen "Baeckeoffe", einer Art Römertopf aus Ton, vorgegart. Dazu zuerst fein gehackte Zwiebeln und Knoblauch in Gänsefett glasig anbraten, Kraut rein, das Gewürzsackerl dazu - und eine Flasche trockenen Riesling darüberleeren. Die Bauchspeckscheiben und noch etwas Gänsefett obendrauf und für drei Stunden am Holzofen schmurgeln, danach über Nacht abkühlen lassen.

Der gerade geöffnete Riesling aber kommt nicht mehr in den Baeckeoffe, sondern ist für die Köche, erfahre ich zu meiner Freude. Während ich genüsslich am trocken-fruchtigen Weißwein aus der Gegend von Obernai nippe, erfahre ich folgendes Geheimnis: "Ein Baeckeoffe muss dicht sein wie ein Gewölbe einer gotischen Kathedrale. Zu viel Hitze darf nicht raus und Flüssigkeit darf gar nicht durchdringen." Der Riesling, der Speck und das Gänsefett haben das Kraut über Nacht schön weich und schmackhaft werden lassen.

Ein Dombau- und Küchenmeister mit seinem liebevoll geschmorten Sauerkraut.
Ein Dombau- und Küchenmeister mit seinem liebevoll geschmorten Sauerkraut.

Besonders gespannt bin ich allerdings, wie sich das große Mysterium des heutigen Tages auflösen wird: Wie sollen Sauerkraut und Fisch zusammenpassen? Das Restaurant Kammerzell hat vor rund 50 Jahren aus einer Armenspeise der alten Rheinfischer einen modernen Küchenklassiker kreiert. Das Traditionshaus am Straßburger Münsterplatz, das im Besitz des Liebfrauenwerks ist, bereitet diesen Choucroute mit drei Fischen, eben Zander oder Lachs und einem frischen Meeresfisch wie Kabeljau sowie geräuchertem Schellfisch zu.

Von diesem Rezept lässt sich Meister Boule heute inspirieren: Den geräucherten Schellfisch schmort er vorsichtig in Milch, während die anderen Fischfilets gesalzen und gepfeffert auf ein Backblech bei niedriger Temperatur für zehn Minuten ins Rohr des Holzofens kommen. Zuletzt wird die Sauce zubereitet. Schalotten mit Butter, Weißwein und einem Schuss Essig glasig aufkochen und reduzieren lassen, Crème fraîche hinzufügen, ein letztes Mal einreduzieren lassen, Butterflocken unterrühren, pfeffern und salzen - und fertig ist die Beurre blanc.

Die Fischstücke und das heiße Kraut auf den Tellern anrichten, mit der Sauce übergießen und schnell servieren. Kartoffeln oder Brot braucht es nicht dazu. Der Speck im Kraut wird nicht zum Fisch, sondern erst am nächsten Tag mit geräucherten Würsten serviert. Ein Dombaumeister denkt eben immer langfristig!
Zutaten für 8 Personen: 3 kg Sauerkraut, eine Flasche Riesling, 3 Zwiebeln, 4 Knoblauchzehen, 400 g geräucherter Bauchspeck, Gewürzsackerl (Wacholder, Kümmel, Lorbeer und Thymian), Salz und Pfeffer, 70 g Gänsefett, je 500 g geräucherte Schellfischfilets, Kabeljau, Lachs und Zander.
Für die Sauce: 300 g Butter, 4 gehackte Schalotten, 15 cl Branntweinessig, 10 cl Riesling, 25 cl Crème fraîche.

Wie es geschmeckt hat? Es war ein Meisterwerk, wie eine Kathedrale für den Gaumen. Übrigens: "Gotische Kathedralen wurden so gebaut, dass sie ohne größeren Schaden in Brand geraten konnten!" Dieser Satz von Dombaumeister

Boule war der überraschendste des sauerkrautschwangeren Abends.

Im Mittelalter hatten die Feuerwehren mit ihren Wasserkübeln und kurzen Leitern gar keine Chance, das Dach der gigantischen Kirchen zu löschen. Deshalb bauten die Dombauer jedes Deckengewölbe in zwei Schichten: unten das von unten sichtbare, filigran wirkende Steingewölbe, darüber eines aus Backstein mit Kalkmörtel dicht gemacht und Wasserabflüssen versehen. Brannte der darüber gebaute Dachstuhl ab - was nicht selten passierte - fiel die Asche auf das wasserdichte Gewölbe. Die Backsteine hielten die Hitze von der darunter liegenden Kirche ab. Erst in den darauffolgenden Jahren wurde das Dach wieder aufgebaut.

Der Brand des Dachs des Wiener Stephansdoms am Ende des Zweiten Weltkriegs ist ein Beispiel für diese These: Nicht primär die Wiener Feuerwehr rettete damals den Dom, sondern vor allem die Klugheit der Dombaumeister aus dem Mittelalter.

Aber warum funktionierte dann beim Brand von Notre-Dame de Paris 2019 das Konzept nicht, fragen wir, während wir ein weiteres Glas Riesling genießen. Die Arroganz des Denkmalpflegers Viollet-le-Duc zur Zeit von Kaiser Napoleon III., ist Christophe sicher. Der ersetzte Mitte des 19. Jahrhunderts das leichte "Bischofsmützerl" über der zentralen Kuppel durch den zig Tonnen schweren, monumentalen Vierungsturm aus Eichenholz und Blei. Christophe: "Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Super-GAU eintrat. Der hohe und spitze Vierungsturm wirkte wie ein brandbeschleunigender Kamin, und schließlich durchbrach das einstürzende Konstrukt das Gewölbe und riss das Feuer mit sich ins Kirchenschiff."

Beim Wiederaufbau agierte der von Staatspräsident Macron beauftragte General Georgelin dann sehr klug, indem er die besten Handwerker und Fachleute für Kathedralenbau zusammenrief, um Notre-Dame wieder aufzubauen. Mittelalterliches und modernes Hightechwissen kombiniert schafften das Wunder des Wiederaufbaus in rund sechs Jahren. Nur ein Kardinalfehler wurde dabei begangen, so Boule: "Leider wurde aus politischem Druck der schwere Vierungsturm von Viollet-le-Duc und nicht der ursprüngliche leichte gotische Dachreiter wieder aufgebaut. Es ist nur zu hoffen, dass die vielen Feuermelder und die moderne Brandschutzanlage im Fall eines neuerlichen Funkenflugs zukünftige Katastrophen vermeiden."