Freising. Rund 40 Kilometer nördlich von München liegt der wahre Ursprung des Gerstensafts - 300 Jahre lang ganz ohne Reinheitsgebot. GERALD STOIBER

Bischof Otto vor dem Freisinger Dom. BILD: SN/LAGOM-STOCKADOBE
Weltweit gilt München heute als Zentrum der Bierkultur. Doch zur Zeit, als im heutigen Freising, dem Herz von Altbayern, die Benediktinermönche schon seit einigen Jahrhunderten Bier brauten, gab es München noch gar nicht. Die Weltstadt an der Isar verdankt nämlich ihren Aufstieg einem gewagten Geniestreich von Heinrich dem Löwen.
Der selbstbewusste Welfenprinz, ab 1156 auch Herzog von Bayern, schaffte es, den Zoll für den Salztransport vom Salzburger Raum ins Schwäbische in seine Kassen umzuleiten. Dadurch bremste er die Bischöfe von Freising nachhaltig aus - mit einem Effekt, der bis in unsere Zeit andauert. Hat doch München heute locker 30 Mal so viele Einwohner wie Freising. Kirchlich sind beide Städte im Erzbistum München-Freising verbunden, und wirtschaftlich steht Freising seit der Ansiedlung des Flughafens München 1992 der Landeshauptstadt wohl kaum nach.
Mit einer schriftlich festgehaltenen Geschichte etwa ab dem Jahr 700, wie Stadtführer Ferdinand Schreyer erzählt, darf sich Freising - dessen lateinischer Name Frisingia lautete - die älteste Stadt an der Isar nennen. Das ist nur recht und billig, denn zum Hochstift Freising, das, wie auch zum Beispiel das Erzbistum Salzburg, nur dem römisch-deutschen Kaiser verantwortlich war, gehörte Jahrhunderte hindurch auch das Werdenfelser Land mit Garmisch-Partenkirchen und der Zugspitze. Darüber hinaus verzeichnete dieser Kirchenstaat auch Besitzungen in Oberitalien sowie in der Wachau. Davon zeugt heute noch der Freisinger Hof in Weißenkirchen. Exzellente Quellen für den benötigten Messwein.



Noch heute lässt sich die Geschichte der Stadt auch für Laien mit einem Blick erfassen. Hoch oben am Domberg war das Domizil der kirchlichen Herren. Sie sprachen Latein und hatten wenig Kontakt zum Volk. Der romanische Dom, von außen sehr schlicht, erhielt seine barocke Pracht im Inneren ab 1724 von den Brüdern Asam, das Altarbild hingegen, das ,,Apokalyptische Weib", stammt aus der Werkstatt von Peter Paul Rubens.
Unterhalb des „Lehrbergs" war der Lebensraum für die Bewohner den Sümpfen zwischen der Isar und der Moosach abgetrotzt worden, dort stehen die Bürgerhäuser. Viele davon sind auf Stelzen errichtet, so wie in Venedig. Im Rahmen eines großen Stadterneuerungsprogramms wird momentan daran gearbeitet, einen Arm der Moosach in der Hauptstraße wieder freizulegen, um der Fußgängerzone damit mehr Flair zu verleihen. In der Hauptstraße gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht weniger als zwölf Gasthausbrauereien, drei Weinschenken und fünf Bierzapfler.
Das Gegenstück zum „Lehrberg" mit seinem Dom war der etwas südlich gelegene Hügel Weihenstephan, im Volksmund wegen dessen Brautradition schlicht und einfach der „Nährberg" genannt. Das Kloster besteht längst nicht mehr, dafür ist dort die Fakultät für Lebensmittel- und Getränketechnologie der Technischen Universität München angesiedelt. Und dort steht - mit klösterlichem Ursprung auch die älteste Brauerei der Welt.
Weihenstephan beruft sich auf das von Abt Arnold 1040 von der Stadt Freising erworbene Brau- und Schankrecht. Die Brauerei selbst gehört – wie übrigens auch das Hofbräuhaus München dem Freistaat Bayern. Bis 1802, als das Hochstift Freising selbstständig war, verlief zwischen Freising und Weihenstephan eine Staatsgrenze. In Bayern galt im ganzen Lande das Reinheitsgebot von 1516, in Freising hingegen nicht. Doch es darf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass das Bier hier wohl ganz ähnlich gebraut wurde, sonst hätten sie es nicht verkaufen können, heißt es in Freising.
Noch heute wird auch erzählt, dass die Stadtbevölkerung eher das Freisinger Bier trinke und nicht Weihenstephaner. Wie auch immer: Beim alljährlichen Volksfest, das Anfang September stattfindet und für Eingeweihte eine gute Alternative zum touristisch überlaufenen Münchner Oktoberfest darstellt, teilen sich beide Brauereien das Geschäft brüderlich.
Der Bezug zum Bier liegt sicherlich auch an der Nähe zur Hallertau, dem weltweit größten Hopfenanbaugebiet direkt vor den Toren der Stadt. Seit dem achten Jahrhundert wird hier die begehrte Ranke angebaut, heute sind es 17.000 Hektar. Daher trägt die Stadт auch den Titel „Tor zur Hallertau". Das sanft geschwungene, nördlich voн Freising gelegene Hügelland hat seinen ganz eigenen Reiz und eignet sich wunderbar für Erkundungstouren mit dem Drahtesel. Ein guter Zwischenstopp: das Hopfenmuseum in Wolnzach.

Persönlich erläutert bekommt man die Hopfenkultur bei den Botschafterinnen für diese alte Kultur- und Heil pflanze, wie Daniela Blomoser in Nandlstadt. Die Bäuerin ist mit dieser Kultur innig verbunden und trägt sogar ein Dirndl aus einem Stoff mit Hopfendolden darauf. Wenn sie erzählt, wie der Hagel ihre eigenen Hopfengärten im heurigen Juni schlichtweg zerstörte, kann sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Ein Sprichwort aus der Hallertau - im Dialekt heißt es Holledau, was so ähnlich klingt, als hätte Frau Holle auch im Sommer zu tun - lautet: „Wen der Hopfa amoi kratzt hod, den lasst er nimmer los."
Doch zurück nach Freising: Beide Braustätten, Freising und Weihenstephan, haben natürlich auch ein standesgemäßes Wirtshaus. Architektonisch ist schon das Hofbrauhaus am Rande des Stadtzentrums für sich genommen eine Attraktion, denn der bunt angefärbelte Industriebau wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Art-déco-Stil errichtet. Etwas oberhalb lockt der Hofbrauhauskeller mit bayerisch-österreichischer Küche. Das privat geführte Hofbrauhaus gehört der Familie Graf zu Törring-Jettenbach.

Das staatliche Bräustübl in Weihenstephan hat sogar eine offizielle Bezeichnung der Universität: In den Hörsaal 13 ziehen sich Studierende wie Lehrende regelmäßig zu Privatseminaren zurück. Besucher können dort den Obatzdn nach dem Originalrezept genießen - er hat nichts mit fadem Frischkäse zu tun, wie er sonst oft auf den Tisch kommt, sondern die Basis ist ein Weichkäse wie Brie, der mit etwas Zwiebel, Butter und Paprika zu einer cremig-würzigen Gaumenfreude wird.
Erfunden hat den schmackhaften Aufstrich, der sich in kürzester Zeit zum Biergartenklassiker mauserte, die Wirtin Katharina Eisenreich, die von 1920 bis 1958 das Regiment im Weihenstephaner Bräustübl führte. Am besten genießt man den Obatzdn - neben den 16 Bierspezialitäten natürlich, die in der staatlichen Braugaststätte zur Auswahl stehen - freilich mit einer reschen Brezn.
Das Schlusswort, gelassen ausgesprochen, wollen wir Stadtführer ,,Ferl" Schreyer überlassen: ,,Ich liebe das Bier nicht, ich trink's einfach."
INFORMATION

Alles rund ums Bier:
Gräfliches Hofbrauhaus Freising, hofbrauhaus-freising.de Hofbrauhauskeller Freising, Speis und Trank, ganz authentisch, www.hb-keller-freising.de
Brauerei Weihenstephan, www.weihenstephaner.de
Bräustüberl Weihenstephan, www.braeustueberl-weihenstephan.de
Führung durch die Gewölbe des historischen Sporrerkellers unter dem Weihenstephaner Berg, buchbar bei der Stadtheimatpflege Freising, www.stadtheimatpflege.de/index.php/sporrerkeller.html
Info zu Stadt und Region:
Dom St. Maria und St. Korbinian, www.freisinger-dom.de
Tourismus Freising, tourismus.freising.de
Hopfenland Hallertau, www.hopfenland-hallertau.de
Deutsches Hopfenmuseum Wolnzach, www.hopfenmuseum.de