Lebenszeit

Kleine Tiere in Not: Sie ist für die Igel da

Bis zu 450 Igel hat Gabi Reisinger schon bei sich zu Hause in St. Lorenz betreut. Die kleinen Tiere mit den Stacheln stecken in großen Schwierigkeiten. Reisinger erklärt, wieso.

CHRISTINE GNAHN

Mit liebevoller Fürsorge pflegt Gabi Reisinger Igel, die Hilfe benötigen. BILDER: SN/SCHNABLER (3); PRIVAT

Zwischen zwei und vier Uhr morgens beginnt für Gabi Reisinger in St. Lorenz am Mondsee der Tag. Sie begibt sich in die Küche und wäscht Geschirr. 400 bis 600 Schüsserl warten darauf, gesäubert zu werden. Schüsserl, die von Igeln leer gefressen wurden. Denn den kleinen Tieren hat sich die geborene St. Gilgnerin verschrieben: Wenn es ein Igel draußen durch einen Unfall oder Infektionen nicht mehr schaffen würde, dann nimmt sich die 72-Jährige der Tiere an. 50 Igel beherbergt sie zum Zeitpunkt des Interviews im August - mit der Erwartung, bis zum Herbst noch deutlich mehr zu bekommen. Bis zu 450 hat sie schon daheim gehabt. Insgesamt drei Räume, die Garage und den großräumigen Keller verwendet die Mondseerin für diese Pflegearbeiten, für die sie einen rein auf Spendenbasis finanzierten Verein übernommen hat. Sechs Stunden pro Raum müsse man schon rechnen, sagt Reisinger. ,,Es sind die Boxen sauber zu machen, in denen die Igel untergebracht sind, sie brauchen neues Futter, manche müssen mit Medikamenten versorgt werden - da kommt was zusammen."

Igel hätten es heutzutage gar nicht leicht, erklärt Reisinger. Und das aus mehreren Gründen. Einer davon ist der Rasenroboter oder Trimmer. ,,Viele glauben, es macht nichts, wenn man den Roboter tagsüber einsetzt, weil Igel ja nachtaktiv sind. Aber ein Igel legt sich, wenn es warm ist, auch einfach auf den Rasenrand, entspannt sich, hat sich längst an das Geräusch vom Mähroboter gewöhnt - und wird dann schwer verletzt oder getötet, wenn der Roboter bei ihm ankommt." Auch die Jungen, die tagsüber von der Mutter gesäugt werden und dann aktiv sind, seien durch den Rasenroboter in großer Gefahr. ,,Und nicht nur sie, auch Eidechsen, Blindschleichen und viele weitere Tiere." Auch das Klima mache den stacheligen Vierbeinern zu schaffen. ,,Ich finde große und ausgewachsene Igel, die nur noch Hautfetzen sind. Sie finden im Sommer keine Insekten mehr, weil es zu trocken ist und natürlich, weil es allgemein viel weniger Insekten als früher gibt." Ein weiteres Problem sei die veränderte Parasitenlandschaft, verursacht durch den Einsatz von chemischen Mitteln in Landwirtschaft und Gärten.

"Rasenroboter sind furchtbar für Igel und andere Tiere. Sie erleiden schreckliche Verletzungen und verenden zum Teil qualvoll."

Gabi Reisinger
Igelpflegerin

Igel mit Verletzungen, Igel mit Parasiten, Igel mit Krankheiten, Igel mit Untergewicht - sie alle finden bei Reisinger ein warmes Plätzchen, an dem sie wieder aufgepäppelt werden. Ihr akribisches Wissen über die Tiere hat Reisinger durch jahrzehntelange Arbeit gesammelt. So begann alles vor 22 Jahren mit einem Inserat, das sie in der Zeitung sah: Der Verein Igelfreunde in Hallwang suchte nach jemandem, der einen Igel bei sich aufnehmen könnte. Reisinger, die mit vielen Tieren aufgewachsen war und sich schon immer mit ihnen verbunden gefühlt hatte, meldete sich spontan dafür. Zusätzlich begann sie, sich neben ihrer Berufstätigkeit als Lehrerin einen Nachmittag in der Woche in der Igelstation zu engagieren. Bei sich zu Hause nahm sie erst einen, im Folgejahr zwei, im dritten Jahr vier Igel bei sich auf. Als die Räumlichkeit in Hallwang zu klein wurde, übernahm Reisinger die Igelfreunde und siedelte sie in ihrem Zuhause in St. Lorenz an. ,,Mein Vater war damals gestorben und ich habe seine ehemalige Wohnung als Igelherberge umgebaut."

Dass Gabi Reisinger schon als Kind ein Herz für Igel hatte, zeigt diese Fotografie aus ihrer Kindheit.
Dass Gabi Reisinger schon als Kind ein Herz für Igel hatte, zeigt diese Fotografie aus ihrer Kindheit.

Reisinger kümmert sich nicht nur selbst um hilfsbedürftige Igel, sie berät auch gerne Menschen, die ihren Findling eigenständig über den Winter bringen wollen. Sie bietet dafür ihre Beratung an (WWW.IGELHILFE.NET ). Mit dem richtigen Wissen und einem guten Platz für die Igel sei jeder in der Lage, einen Igel bei sich überwintern zu lassen, ,,außer bei Babys, da muss man sehr viel wissen. Da ist mir lieber, die Leute bringen sie zu mir." Auch im Falle von schweren Verletzungen, Parasiten oder Krankheiten kümmert sich Reisinger lieber selbst um die Tiere. ,,Ich arbeite eng mit dem Tierarzt zusammen." Doch im Falle dessen, dass tierliebe Menschen hilfsbedürftige Igel selbst über den Winter bringen wollen, sei sie sehr froh.

,,Die Lage ist angespannt", erklärt Reisinger, ,,kaum einer der zu spät geborenen Igel kann in der freien Natur überleben. Grund dafür ist das Untergewicht dieser jungen Igel. Sie brauchen bis Ende Oktober unbedingt 800 Gramm, damit sich die benötigten Fettschichten entsprechend entwickeln können." Bei einem geringeren Gewicht seien die Tiere nicht in der Lage, diese Fettschichten aufzubauen. Ein gesunder Winterschlaf sei dann nicht möglich. Stattdessen könne der Igel nur einen Dämmerschlaf halten. „Das bedeutet, dass er die Körperfunktionen nicht herabsetzen kann und den Schlaf zum Fressen immer wieder unterbrechen muss. Er verliert dabei sehr viel an Gewicht und das, wo er ohnehin keine 800 Gramm Ausgangsgewicht hatte. Das überlebt er dann meist nicht." Da die zu spät geborenen Igel in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben und auch dadurch immer weniger Igel überleben, nimmt die Igelpopulation sehr stark ab. ,,Wenn es so weitergeht, wird es in acht Jahren unter Umständen keine Igel mehr in der freien Natur geben." Zusätzlich hat Reisinger in St. Lorenz eine Wildblumenwiese für Insekten angepflanzt. Sie freut sich über alle, die es ihr nachtun.