Salzburger Festspiele 2022

Gegen eine Welt der Berieselung

Inferno anderswo. Ilija Trojanow hält die heurige Festspielrede: ein Gespräch darüber, wo es wirklich Höllen gibt.

Launderette Hölle an jeder Ecke? Das Foto von Lars Eidinger ist zu sehen in der Ausstellung ,,Black & White Thinking" in der Leica Galerie Salzburg. BILD: SN/LEICA GALERIE SALZBURG, LARS EIDINGER

In der Rhetorik des Krieges ist schnell von Katastrophe und Inferno die Rede. Der Schriftsteller, Übersetzer und Essayist Ilija Trojanow bemüht sich, einen anderen Ton zu finden, der die Welt erklären kann.

SN: Ihre Eröffnungsrede der heurigen Salzburger Festspiele wird den Titel ,,Ton des Krieges, die Tonarten des Friedens" haben. Ist der Ton des Krieges denn nicht einfach nur der Schmerz?

Ilija Trojanow: Nein, es ist die Eintönigkeit.

SN: Warum?

Der Krieg, und das erleben wir alle, hat eine extrem reduzierte Sprache, die alles andere durchherrscht. Plötzlich sind Ambivalenzen und Abwägungen, Komplexitäten nicht mehr möglich. Übersetzen wir es in die Sprache der Musik. Stellen Sie sich vor: Es tritt bei den Salzburger Festspielen jemand auf und schlägt nur einen Ton an.

SN: Das wäre schnell eine Aufregung.

Irgendwann protestieren die Leute. Aber der auf der Bühne erwidert: Was wollt ihr denn, ich habe den richtigen Ton schon gefunden, warum soll ich mich mit anderen Tönen abgeben.

SN: Die Salzburger Festspiele verstehen sich gerne als Friedensprojekt. Kann Kunst das?

Der Kunst ist inhärent, dass sie ein Friedensprojekt ist, weil die Sprache und die Ästhetik essenziell anders sind.

SN: Im Gegensatz zur Politik?

Ja, auch. Ich habe nachgeschaut was es , an Romanen und Musikwerken gibt, die sich mit dem Krieg beschäftigen: fast nichts, was vom Krieg inspiriert wäre. Die Werke sind vielmehr dem Krieg abgerungen, meist mit klarer Antikriegshaltung, und selbst bei Stücken, die propagandistischen Zwecken dienen sollten, kommen nur kurz martialische Töne auf, bald schon gebrochen, es wird leiser, es wird grotesk oder nachdenklich. Kunst hat gar nicht die Fähigkeit, der Sprache des Krieges zu folgen - das ist ein natürlicher Gegensatz.

SN: Was folgt daraus?

Ich bin skeptisch, wenn man sagt, Kunst werde zu propagandistischen Zwecken missbraucht und daher müsse man den oder jenen nun wegen des Krieges in der Ukraine ausladen. Es ist unmöglich, Kunst, die den Namen verdient, zu missbrauchen, außer man hört nicht zu - aber dann braucht man sie gar nicht.

SN: Für Ihre Reportagen waren Sie viel unterwegs. Wie ändert die Nähe des Anderen, das Kennenlernen des Fremden den Blick auf die Welt?

Nun, zunächst ist man immun gegen Katastrophenstimmungen. modische

SN: Das heißt, es wird einiges egal. 

Ganz im Gegenteil, Hysterie ist ja nicht gleich Empathie. Man kommt - um ein Beispiel zu nehmen - zurück von einer Reise aus Sierra Leone, einem der ärmsten Länder der Welt, wo ein dauerhafter Krieg anderer Art vorherrscht. Danach fällt es einem schwer zu begreifen, dass der Anstieg der Benzinkosten ein Weltuntergang ist.

"...unter dem festen Panzer des Reinheitsgefühls."
Dante, ,,Hölle", 28. Gesang

SN: Um einen Buchtitel von Ihnen zu zitieren: Rettung lauert keine?

Es dominiert momentan eine Ausbeutung an Mensch und Natur, die wie ein Perpetuum mobile der Gewalttätigkeit ist. Wenn man das öfter erlebt und recherchiert hat, entwickelt man eine entspanntere Haltung zu den Wohlstandssorgen unserer Gesellschaft, die ja von diesen globalen Ungerechtigkeiten massiv profitiert.

SN: Aber es geht den Menschen wegen des Krieges doch auch hier schlechter als bisher.

Selbstverständlich, aber die begleitende Rhetorik ist übertrieben. Seit Putin die Ukraine angegriffen hat, höre ich jeden Tag über die „Krisen" und „Katastrophen" hier bei uns.

Das ist doch unverfroren den Menschen in der Ukraine gegenüber. Wir erfahren gewisse Nachteile und Zumutungen. Hingegen gibt es ökologische Katastrophen, die als Folge unseres Konsums und unserer Wachstumsmanie erfolgen. Sprache muss die unterschiedliche Gewichtung abbilden. Wer nicht maßvoll globale Phänomene zueinander in Beziehung setzt, stammelt die primitive Sprache des eigenen Egoismus.

SN: Dantes ,,Göttliche Komödie" steht als Übertitel über dem Programm der Salzburger Festspiele. Da ist die Rede von Hölle und Inferno.

Solche Programme werden konzipiert von nachdenklichen, sensiblen Menschen, die wie Seismografen Bedrohungen, Stimmungen, Brüche wahrnehmen. Es wäre aber ein Fehler, dies auf die ganze Gesellschaft zu projizieren. Ich erlebe, dass eine Mehrheit weiterhin prasst und den nächsten Konsumschritt plant - für manche wäre die Hölle eine gesperrte Kreditkarte.

SN: Wir rennen also blind auf einen höllischen Abgrund zu? voi

Nun, metaphysische Kategorien wie Himmel und Hölle verschwinden ohnehin. Stattdessen flimmert das Leben an einer selbstperformativen Oberfläche der konsumatorischen Exzesse. Wenn wir tatsächlich die ökologischen und sozialen Bedrohungen verinnerlichten, könnten wir von einem drohenden „Inferno" sprechen. Aber das Problem der Gegenwart ist, dass ein großer Teil der Bevölkerung dies nicht tut. Manche wollen es nicht, manche haben sich eine partielle Blindheit angeeignet, die jede Transformation verunmöglicht.

SN: Heißt das, wir schauen nur zu?

Wenn man bei der Lektüre von Dante ins Inferno kommt, erfolgt der Moment der Wahrheit. Hier ist ein jeder aufgefordert, sich zu erklären. Was hast du getan? Das Letzte Gericht. Und dann gibt es diese entsetzlichen, grausigen Strafen. Welche Strafen fürchten jene, die sich aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters vor den kommenden ökologischen Folgen sicher wähnen? Und die Jüngeren, die sollten allmählich erkennen, dass die Hölle auch als Summe unserer Versäumnisse begriffen werden kann.

SN: Aber warum scheint uns nichts zu veranlassen, Dinge anders zu sehen oder zu ändern?

Wir haben einen Mangel an Fantasie. Das hängt damit zusammen, dass wir überwiegend Konsumenten und nicht Produzenten von Geschichten sind. In den sogenannten primitiven Gesellschaften verbrachte man einen Teil des Tages damit, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen. Es war eine Anforderung an den mündigen Mitmenschen, erzählen zu können. Inzwischen hocken wir vor dem Fernseher oder dem Internet, lassen uns berieseln. Fantasie wird nicht als etwas Überlebenswichtiges empfunden. Es braucht zudem eine gewisse Ruhe und Rückschau, um sich selbst und die Gesellschaft in einen breiteren Kontext zu stellen und Lehren zu ziehen.

SN: Hat das Abhandenkommen des Erzählens auch mit der Geschwindigkeit zu tun, mit der Informationen, vor allem auch aus dem Krieg, auf uns einprasseln?

Ja, so ist es. Und ebenda hat ein Kunst- und Kulturfestival wie die Salzburger Festspiele eine wichtige Rolle. Die komplexen Kunstwerke, die dort aufgeführt werden, können ja nur konzentriert entstehen, aus einer gewissen Distanz, mit Abstand zu den Ereignissen. Es ist ein langer Prozess der Verarbeitung, der Überarbeitung und schließlich der Kristallisierung des Wesentlichen. So könnte man die provokante These aufstellen, dass jemand, der die Musik und die Literatur Russlands und der Ukraine wirklich kennt, die Essenz dieses grauenvollen Konflikts besser begreift als jemand, der nur die aktuellen Meldungen konsumiert.

SN: Was passiert durch diese Verkürzung?

Wir erleben vor allem die Simulierung von Wissen und Kompetenz. Das kann beim Erzählen aber nicht genügen, denn da geht es um das Ausarbeiten von Zusammenhängen, um das Aufzeigen langfristiger und unsichtbarer Linien.

SN: Bringt der Krieg also eine Verstärkung dessen, was sich mit autoritären Regimen schon lange abzeichnet?

Der Krieg lässt Vielfalt nicht zu. Er will keine Zusammenflüsse. Er strebt nach strenger Kanalisierung. Während des Krieges wird das freiheitliche, progressive, demokratische Element niemals gestärkt. Danach passiert Unvorhersehbares.

SN: Sind wir in Friedenszeiten zu bequem?

Auch diesbezüglich sind wir zu passiv unterwegs. Der Frieden wird bloß als angenehme Abwesenheit von Krieg verstanden. Glück gehabt. Dabei sollten wir Frieden als ein aktives Projekt begründen, bei dem wir alle kriegerischen Aspekte in unserer Tradition und Gegenwart infrage stellen: die Heldendenkmäler, die Lektüren in der Schule, die nationalistischen Töne, die den ,,Fremden" nur als Störfaktor, Gegner und Konkurrenten wahrnehmen. Krieg und Naturzerstörung können wir nur global überwinden, mit universeller Haltung. Der martialische Nationalist ist ein Apokalyptiker. BERNHARD FLIEHER