„Jedermann". Frau Hörbiger: Was wäre, wenn's Himmel und Hölle wirklich gäbe?

Keine andere Künstlerin bei den Salzburger Festspielen muss gleichzeitig vom Himmel sprechen und aus der Hölle hochfahren. Seit vergangenem Jahr ist Burgschauspielerin Mavie Hörbiger in der „Jedermann"-Inszenierung von Michael Sturminger in den Rollen von Gott und Teufel zu sehen, als zürnend-strafende Himmelfigur und als verzweifelt-aussichtslos herumstolpernde Höllengesellin. Eine ideale Ausgangslage für eine Vielseitige und auch für ein sommerliches Gespräch über die Idee, was passiert, wenn man nach dem Tod draufkommt, dass Himmel und Hölle tatsächlich existieren - und auch darüber, wie sich Himmel und Hölle für eine Frau in der Theaterwelt anfühlen.

SN: Frau Hörbiger, kennen Sie dieses Papierfaltspiel Himmel und Hölle?
Mavie Hörbiger: Freilich kenne ich das, warum?
SN: Bei diesem Spiel kann man mit einer simplen Fingerbewegung vom Himmel in die Hölle gelangen. Und ich frage mich nun, ob das auf der Bühne auch so einfach geht.
So mit einem Fingerschnippen? Bloß mit einer kleinen Veränderung von Gott zum Teufel? Ein bisschen ist es bei meinen Auftritten im „Jedermann“ schon so, weil die beiden Figuren in dem Stück auch ganz unterschiedlich sind.
SN: Nachdem Sie einige Zeit die Werke spielten, spielen Sie seit vergangenem Jahr im „Jedermann" die Rollen von Gott und Teufel. Zu wem der beiden haben Sie denn den engeren Bezug?
Auf jeden Fall zum Teufel. Das ist die lustigere Rolle. Die Szene mit den Werken ist ja eher innig, traurig. Der Teufel kommt ja, wenn alles schon vorbei ist. Der kann nur mehr eine Witzfigur sein, und eine tragische Gestalt. Eine gute Ausgangslage, weil das Komische ja stets aus der Tragik wächst.
SN: Wieso ist der Teufel denn so eine tragische Gestalt?
Er taucht in dem Stück recht spät, für ihn zu spät, auf. Und das Erste, was er hören muss, ist, dass der Glaube zu ihm sagt: „Hier ist kein Weg." Dabei geht der Teufel doch davon aus, dass er ein leichtes Spiel haben wird, weil der Jedermann sein ganzes Leben lang schlecht war.
SN: Teufel und Gott werden gerne als männlich empfunden, haben auch einen männlichen Artikel.
Ja, zwei so alte weiße Männer, der eine tragische Figur, der andere zürnend-zornig.
SN: Haben Sie die Rollen deshalb angenommen, um diesen alten weißen Männern ein neues, quasi weibliches Gesicht zu geben?
Nun zunächst hieß es ja nur, dass ich den Teufel spielen soll. Da hatten wir eine Abmachung. Und dann kam die Überraschung, als Regisseur Michael Sturminger meinte: ,,Du bist übrigens Gott auch noch." Da gibt's doch nicht so viel zu überlegen, oder? Das nehme ich doch gerne mit. Und es wäre mir recht, müsste man etwa gar nicht mehr darüber sprechen, ob das jetzt eine Frau spielt.
SN: Sie betonten im vergangenen Jahr ohnehin, dass der Teufel bei Ihnen in besten Händen sei.
Ich sagte das, weil - interessanterweise von einer Journalistin - die Frage aufgetaucht war, ob die Rolle mit einer Frau denn richtig besetzt ist. Das ist doch lächerlich.

SN: Das heißt ja auch, dass die Theaterwelt immer noch kämpft mit der Gleichberechtigung.
Oh ja, da muss sich noch viel tun. Ich glaube, dass man bisweilen im Supermarkt oder in anderen Bereichen weiter ist als im Theater. Die gesamte Theatergeschichte ist aus der Sicht eines weißen Mannes erzählt. Es ist ein durch und durch patriarchales System, sogar die Garderoben für die Männer sind größer und schöner. Zu 90 Prozent sind Männer Intendanten, dann gibt es die Dramaturgie und wenn man Glück hat, ist dann eine von sieben Stellen mit einer Frau besetzt. Männer sind auch besser bezahlt. Ich werde nicht mehr erleben, dass sich das ändert. Vielleicht aber meine Kinder. Ich bin auch schon so müde, immer und immer wieder darüber zu reden.
SN: Also ist es auch eine Art Hölle, diese Theaterwelt für Frauen?
Nein, so will ich das nicht sagen. Ich muss nicht mit einem Gewehr in den Krieg ziehen oder den ganzen Tag auf meinen Beinen stehen und jemanden bedienen, bis ich müde umfalle. Ich bin ein privilegiertes Kind, das weiß ich zu schätzen. Ich verdiene mein Geld mit Faxenmachen. Dafür bin ich dankbar. Hölle stelle ich mir anders vor! Hölle ist es, wenn mir jemand ein Gewehr in die Hand drückt und sagt: Verteidige dein Vaterland. Ich habe es schon eher himmlisch, vielleicht mit manchen ganz kleinen Höllen.
SN: Und diese kleinen Höllen, die Ihnen da begegnen, weil Sie eine Frau sind, die ärgern Sie?
Ja, und es enttäuscht mich sehr und immer und immer wieder. Aber wir machen kleine Schritte. In unserer „Jedermann"-Inszenierung spielen mehr Frauen als Männer. Es geht in die richtige Richtung. Ich dachte auch nie darüber nach, ob der Gott oder der Teufel nun weiblich oder männlich ist. Ich sah auch noch auf keinem Bild eine Teufelsdarstellung, die ein Geschlecht gezeigt hätte. Der hat nie einen Penis, nur manchmal einen Schwanz am Rücken.
SN: Wie ist's denn mit dem Gottesbild? Sie sind im katholischen Bayern aufgewachsen. Da kommt man an Gott doch gar nicht vorbei.
Na ja, aber der ist halt nie irgendwo zu sehen. Da sind immer nur so Wölkchen gemalt, aus denen Strahlen kommen. Der Teufel ist aber schon zu sehen.
SN: Wo denn?
Nun, auf Bildern in der Kirche wird Gott ja nicht dargestellt. Aber der Teufel sitzt da manchmal schon. Das sind dann die ersten Bilder, die man von diesem Männchen hat, das schon da etwas Lächerliches hat.
SN: Sie haben sich also nicht vor ihm gefürchtet?
Nein, ich hatte zum Teufel gar nicht so einen Bezug, sondern eher zu den ganzen Märtyrerinnen. Die haben mich als Kind fasziniert. Vor allem, wie man mit denen umgegangen ist. Etwa die heilige Agnes, der sie die Haut abgezogen haben. Oder auch der Sebastian, der mit Pfeilen durchbohrt ist. Diese Gestalten fand ich immer cool, sogar ein bisschen sexy - und je grausamer, desto besser.
SN: Sie haben sich nicht gefürchtet?
Nein, ich konnte die Geschichten der Märtyrerinnen auch einmal fast alle auswendig, die Qualen und die Todesarten.

SN: Und wie sieht es aus Ihrer Sicht nach dem Tod aus?
Na ja, es kommt darauf an, welchen Himmel und welche Hölle man sich vorstellt.
SN: Na, dann nehmen wir einfach einmal den Himmel und die Hölle an, die wir als Kinder in der katholischen Kirche vorgesetzt bekommen haben.
Das ist beides scheiße, das ewige Engeldasein und das ewige Fegefeuer. Ich glaube nicht an Gott oder Teufel. Andererseits: Stellen Sie sich vor, man wacht da eine Sekunde nach dem Tod wieder auf und dann ist Wirklichkeit, was uns da erzählt wurde von Himmel und Hölle. Das wäre doch lustig?
SN: Sie meinen, dass man womöglich feststellt, dass es den katholischen Himmel und die Hölle wirklich gibt.
Genau! So eine Welt mit weißen Wölkchen und sanften Engeln. Und mit einem alten Mann, der mit weißem Bart dasitzt und vor dem man abgestellt wird vom Tod, der einen vorher mit der Sense geholt hat.
SN: Und weil man halbwegs redlich lebte, bekommt man den Auftrag, Halleluja zu singen, wie der Alois in „Der Münchner im Himmel".
Ja, auf einem Wölkchen sitzen und Harfe spielen. Schrecklich.
SN: Und wo möchten Sie, wenn es diese beiden Nach-dem-Tod-Welten gibt, dann lieber enden?
Na ja, ich käme schon lieber in den Himmel, der dürfte bestimmt der angenehmere Ort sein. Obwohl: Ich habe auch ein bisschen Höhenangst. Da wäre so eine Wolke auch nichts für mich. In der Hölle ist es heiß und da muss man doch auch mit allerhand Qualen rechnen. Klingt beides nicht so erfreulich.
SN: Vor allem klingt der Gedanke recht komisch, dass man an nichts von dem allen glaubt und dann nach dem Sterben aufwacht und dann doch so eine heile Himmelwelt da ist.
Ja, das ist tatsächlich komisch. Wenn man sich diesen Moment vorstellt, in dem man sich dann zwei, drei Minuten denken muss: Oh, jetzt haben doch alle anderen recht gehabt und ich hab mir das nicht vorstellen können. Komisch, oder? Und alles haben wir nur deshalb ausgedacht, weil wir solche Furcht davor haben, dass das Leben enden wird, und wir uns nicht vorstellen wollen, dass danach einfach nichts mehr ist. Und wegen dieser Angst denken wir uns dann einen Blödsinn aus.
Theater: Im vergangenen Jahr wurde in der Regie von Michael Sturminger ein neuer „Jedermann" inszeniert. Als Jedermann kam Lars Eidinger, seine Buhlschaft war die gebürtige Halleinerin Verena Altenberger. Heuer wird wieder mit derselben Besetzung gearbeitet und die Inszenierung verfeinert. Premiere ist am 18. Juli um 21 Uhr auf dem Domplatz. Bernhard Flieher
Teufel(in)-Lehre
Archivsuche. Viele Männer, aber auch eine Frau waren schon Teufel.
Der erste Teufel bei den Salzburger Festspielen hieß Werner Krauß im „Jedermann" der Gründungsfestspiele im Jahr 1920. Er war zwei Mal der Domplatz-Teufel (ehe er - fast eine Parallele zu den Rollen von Mavie Hörbiger als „Stimme des Herrn" 1949 wieder auftauchte) und es dauerte einige Zeit, bis Krauß in gewisser Weise auch der zweite wichtige Teufel in Salzburg wurde.
Denn im Jahr 1933 kam „Faust" ins Schauspielprogramm. Und den ersten Mephisto spielte damals Max Pallenberg, der zuvor auch der Teufel im „Jedermann" gewesen war. Die „Faust"-Inszenierung Max Reinhardts war fortan in der Form so etwas wie ein kleiner „Jedermann“, denn in der Inszenierung, die einige Jahre lief, änderte sich wenig - außer der Besetzung. Auf Pallenberg als Mephisto folgten unter anderem Raoul Aslan oder Franz Schafheitlin. Und schließlich - im „Jedermann" war er längst nicht mehr dabei - im Jahr 1937 auch Werner Krauß.
Ein flotter Streifzug durch das Archiv der Salzburger Festspiele bringt aber noch andere Namen ans Licht, die aus der Hölle kommen. Da war nämlich auch ein - was Höllenfahrten betrifft, sonst unverdächtiger - Sänger wie Dietrich Fischer-Dieskau einmal als Teufel zu hören. In der ersten Festspielaufführung von Hector Berlioz' „La damnation de Faust" sang er 1979 unter der Leitung von Seiji Ozawa mit dem Boston Symphony Orchestra.
Zehn Jahre später stand das Werk wieder auf dem Spielplan: José van Dam war der Méphistophélès. Und noch einmal zehn Jahre später, 1999, war Willard White in der Rolle zu sehen, als La Fura dels Baus das Stück inszenierten.
Nur Männer in den klassischen teuflischen Rollen, möchte man einwenden. Und viele reden freilich immer von „Jedermann"-Teufeln mit den prominenten Namen wie Helmuth Lohner, Otto Schenk oder Tobias Moretti. Zeit also, dass Mavie Hörbiger im „Jedermann" als erste Teufelin zu sehen ist?!
Aber von wegen, es habe nie eine teuflische Frau gegeben: Mavie Hörbiger ist nun im zweiten Jahr in Folge die Erste, die im so populären Domplatz-Spektakel als Frau in die Rolle des Teufels schlüpft. Doch an weniger prominenter Stelle war die wirklich erste Teufelin der Festspielgeschichte zu sehen, die damals 31-jährige deutsche Schauspielerin Jana Schulz. Sie spielte in dem nach Christian Dietrich Grabbe entworfenen Stück „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung" die Hauptrolle: „Der Teufel". Somit taucht der erste weibliche Teufel in einer Regie von Roger Vontobel schon vor sechzehn Jahren im Young Directors Project auf. Bernhard Flieher