Treffpunkt Salzburg

Ans Aufhören mag sie nicht denken

Hermengild Partl schnappt sich regelmäßig ihren Rucksack, aber nicht zum Wandern, sondern zum Gleitschirmfliegen. Und das mit bald 79 Jahren. JUDITH NEUHUBER

Die bald 79-jährige Hermengild Partl geht für ihr Leben gern in die Luft. Ihr Alter ist für sie kein Grund, den Rucksack mit ihrem Gleitschirm in die Ecke zu stellen. BILD: SN/ANDREAS EDER

Was braucht es, um zum Gleitschirmfliegen zu kommen? Im Fall von Hermengild Partl sind es Knieprobleme beim Bergabgehen und eine Beobachtung. Es war im Jahr 1988. Partl ging mit ihrem Lebensgefährten vom Zwiesel zurück ins Tal nach Bad Reichenhall. Ein Knie zwickte, als ein Gleitschirm über ihren Köpfen hinwegschwebte. ,,Das wäre doch etwas für uns", meinte Partls Lebensgefährte. So eine Aussage verpufft gern mal unausgeführt. Nicht so bei diesem Paar.

Es machte sich schlau, was alles fürs Gleitschirmfliegen erforderlich ist, und schon kurz darauf war es auf dem Weg zu einer Flugschule in Lienz in Osttirol. „Zunächst läuft man nur einen Hang hinunter und kommt gar nicht zum Fliegen. Es geht vielmehr darum, ein Gefühl für den Schirm zu bekommen", erzählt Partl. Bereits am zweiten Tag stand für sie fest, dass das Gleitschirmfliegen genau das Richtige für sie ist. Schirm und Ausrüstung hatten sich die beiden von der Flugschule ausgeliehen. Wieder daheim in Salzburg, wo Partl seit 1970 lebt, kaufte sich das Paar gleich eigenes Equipment. Ein Jahr später, 1989, machten beide den damals so genannten Sonderpilotenschein. Sie nahmen am ersten Kurs teil, der in Salzburg angeboten wurde. „Wir waren damals ziemlich unter den ersten Gleitschirmfliegern“, blickt Partl zurück.

Rund 40 bis 50 Flüge unternimmt Partl jährlich, sommers wie winters. Partl und ihr Lebensgefährte starten oft vom Predigtstuhl bei Bad Reichenhall. Der Berg hat den Vorteil, dass eine Seilbahn hinauffährt. Früher seien sie und ihr Partner viel auf Berge gegangen, den Schirm verstaut im Rucksack, erzählt Partl. Heute sei das altersbedingt mühsamer, zumal die zierliche Frau zwölf Kilogramm schultern muss. Zur Ausrüstung gehören neben dem Schirm auch ein Helm, ein Funkgerät und ein Variometer, ein Gerät, das das vertikale Steigen und Sinken anzeigt. Auch ein Rettungsschirm ist dabei, er befindet sich im Gurtzeug.

Partl war beziehungsweise ist aber nicht nur in heimischen Gefilden unterwegs. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten geht sie zwei Mal im Jahr auch im Urlaub der Fliegerei nach. Im Gepäck ist immer die eigene Ausrüstung. Das Paar hob schon in Südafrika, Kenia, Marokko, Frankreich, Griechenland, Italien, Spanien und in La Palma ab. Egal, wo es in die Luft geht, die Startreihenfolge ist stets gleich. „Ich fliege immer als Erste. Mein Lebensgefährte wartet, bis ich draußen bin“, erklärt Partl. Sollte sie einen Fehlstart haben, richtet er ihren Schirm wieder her, ohne dass sie sich aushängen muss. Gleiches würde man auch bei Fliegerkollegen machen, denn es gebe ein ganz extremes Gemeinschaftsgefühl unter den Gleitschirmfliegern, schwärmt Partl. ,,Man kann sich auf alle verlassen und man hilft sich sofort, egal in welcher Situation."

Von dieser Hilfe profitierte sie selbst schon. Als sie in der Türkei an einer felsigen Bergkante entlanggeflogen ist, klappte plötzlich ihr Schirm zusammen. Weit und breit stand nur ein einziger Baum, seine Äste trugen keine Blätter mehr. Die Salzburgerin schaffte es tatsächlich zu diesem Baum. Ihr Schirm legte sich über die Äste, Partl selbst kam auf einem Ast zu sitzen. Ihr Lebensgefährte und andere Flieger hatten die Bruchlandung beobachtet und machten sich auf den Weg zu ihr. ,,Als ich auf dem Ast gesessen bin, fühlte ich mich sicher. Aber als mein Lebensgefährte den Baum heraufgeklettert kam und mir das Gurtzeug geöffnet hatte, bekam ich Angst, dass ich runterfalle", erzählt Partl. Als sie den Stamm hinuntergerutscht war, rieten die Fliegerkollegen Partl, dass sie sich von dem Vorfall erholen solle. Doch sie kannten die Frau schlecht. Gemäß dem Ratschlag ,,Wenn man vom Pferd fällt, soll man gleich wieder aufsitzen" machte sich Partl auf den Weg zurück zum Startplatz, hob ab und landete schließlich in einer schönen Bucht.

Dass Hermengild Partl hart im Nehmen ist, zeigte sich bei einem weiteren Vorfall. Auf dem Staufen, dem Reichenhaller Hausberg, brach sie sich beim Start den Knöchel. An einen Abstieg war nicht zu denken. Als ein weiterer Pilot zu dem Paar stieß, entschieden sie sich anstelle eines Anrufs bei der Bergwacht für einen Flug. ,,Mein Lebensgefährte hat mir den Schirm aufgezogen, also dass er in der Luft stand, und der andere hat mich aufgehoben und rausgeschupft", schildert Partl den Start.

Ihr Lebensgefährte, der nach ihr abhob, drängte sie zu einer raschen Landung. Da aber die Thermik gut war, blieb sie länger in der Luft. Als sie sich der Erde wieder näherte, blieb ihr nur eine Landung auf dem Hintern. Ein Kollege vom Gleitschirmclub Albatros Bad Reichenhall rügte sie dafür, da sie sich dabei das Steißbein hätte brechen können. Dass sie sich schon etwas anderes gebrochen hatte, wusste er nicht.

Harmloser sind Notlandungen, wenn die Thermik schlecht ist oder man sich mit der Höhe verschätzt hat und in der Folge nicht mehr den geplanten Landeplatz erreicht. Partl wird immer etwas nervös, wenn ihr der Landeplatz unbekannt ist und sie nicht weiß, wie sie ihn anfliegen soll. ,,Wenn es brenzlig wird, dann fange ich mit mir zu reden an. Ich spreche mir Mut zu und beruhige mich selbst." Angst oder Nervosität sind bei ihr aber nicht die dominierenden Gefühle beim Fliegen. ,,Wenn ich in der Luft bin, genieße ich nur noch und denke an gar nichts. Dann schalte ich ab."

Dauerhaft am Boden zu bleiben kommt für die agile Frau, die im November 79 Jahre alt wird, noch nicht infrage. ,,Ich darf gar nicht daran denken, dass es mal vorbei sein wird." Vor zwei Jahren sprach sie mit einem Kollegen, der mit damals 84 Jahren den Gleitschirm an den Nagel gehängt hatte. Bei ihm hatte sich das Ende schrittweise abgezeichnet. Mit der Zeit konnte er beim Start nicht mehr so schnell laufen und die Kraft, um den Schirm schnell aufzuziehen, ließ nach. Bei der Landung blieb er schließlich nicht mehr stehen. „Man muss selber merken, dass es so nicht mehr geht", erklärt Partl. ,,Ich habe noch keine Probleme und auch noch nicht das Gefühl, dass es Zeit zum Aufhören ist. Aber sie wird kommen."

Etwa alle vier Jahre kauft sich die Salzburgerin einen neuen Schirm. In den vergangenen 34 Jahren, in denen sie fliegt, hat sich bei diesen Fluggeräten einiges getan. Sie sind leichter geworden, die Stoffqualität verbesserte sich und auch die Form des Schirms hat sich etwas gewandelt. „Mit den neuen Modellen geht es viel besser und man kann viel länger fliegen", sagt Hermengild Partl. Sie und ihr Partner besitzen beide noch ihren ersten Schirm. Mit diesem nahmen sie 2020 an einem Oldtimer-Flugtag teil. ,,Ich bin gelaufen und gelaufen und habe lange nicht abgehoben.“ Partl wunderte sich, was los war. Doch etwas falsch gemacht hatte sie nicht, denn ihrem Lebensgefährten erging es nicht anders, während ein Bekannter mit einem neuen Schirm schon nach wenigen Schritten schwebte.