Salzburger Festspiele 2022

„Die schlimmste Hölle erzeugt man in sich“

„Herzog Blaubarts Burg". Aušrinė Stundytė erforscht gerne die dunklen Seiten der Seele. Béla Bartóks Einakter ist ein ideales Spielfeld.

„Unbewältigtes Trauma": Aušrinė Stundytė vor einem Spiegel im Großen Festspielhaus. BILD: SN/FRANZ NEUMAYR

Sieben Türen muss Judith in Herzog Blaubarts Burg öffnen, um ihr künftiges Schicksal zu erkennen: die Rolle der Nacht einzunehmen. In einer Stunde Spielzeit erzählt Béla Bartók die Sage vom mysteriösen Frauenmörder. Bei den Salzburger Festspielen koppelte Robert Wilson 1995 „Herzog Blaubarts Burg“ mit Arnold Schönbergs „Erwartung“, 2008 verknüpfte Johan Simons den Einakter mit Bartóks „Cantata profana“ zu einer abendfüllenden Produktion.

Jetzt stellt Romeo Castellucci die Blaubart-Oper Carl Orffs „De temporum fine comoedia" gegenüber. Der Gesamtkünstler arbeitet erstmals mit Aušrinėé Stundytė zusammen. Die Sopranistin hat nicht erst seit der Salzburger „Elektra“ ihre Heimat im Musiktheater des 20. Jahrhunderts gefunden. Opern von Prokofjew, Schostakowitsch, Korngold, Reimann und - zuletzt - Penderecki bilden Eckpfeiler ihrer Karriere. In Béla Bartóks Einakter verkörpert Aušrinė Stundytė die Figur der Judith, die unerschrocken durch Blaubarts Schreckenslandschaften wandelt.

SN: Geht Judith in dieser Oper durch die Hölle?

Aušrinė Stundytė: Die schlimmste und furchtbarste Hölle, die kreiert man in sich selbst. Das ist auch in dieser Inszenierung so. Judith ertrinkt in ihrem eigenen Schmerz und ihrer Einsamkeit. Sie kämpft dagegen, indem sie versucht, eine Verbindung mit Blaubart aufzubauen. Aber weder sie noch er sind dazu wirklich fähig und bereit. Wir sehen ein Paar, das ein Trauma nicht bewältigen konnte und sich durch Schmerz und Schuldgefühle entfremdet hat. Jede Tür symbolisiert einen weiteren verzweifelten Versuch der Judith, aus dieser Hölle auszubrechen und zur Normalität und Nähe aus der Vergangenheit zurückzukehren. Sie ist aber nicht bereit, sich selbst zu verzeihen, und so scheitert sie jedes Mal.

SN: Worin liegen für Sie die Herausforderungen in Herzog Blaubarts Burg"?

In dieser Oper gibt es nur zwei Darsteller. Es gibt keine andere Ablenkung und Tricks, die die Aufmerksamkeit des Publikums bannen könnten. Die Spannung das ganze Stück über zu halten, noch dazu in diesem riesengroßen Raum - das ist eine der größten Herausforderungen für mich. Auch sängerisch ist diese Partie nicht einfach für Sopran - sie ist eigentlich für Mezzo geschrieben.

SN: Sie haben die Felsenreitschule bereits in der Titelrolle von Elektra" kennengelernt. Welche Erfahrungen konnten Sie mitnehmen? Däumo

Ich liebe große Räume. Dennoch bin ich ein bisschen erschrocken, wie wenig man auf der Bühne von seinem Gegenüber sieht. Wenn sich Klytämnestra auf der rechten Seite befand und ich mich auf der linken, konnte ich sie kaum erkennen. Ich habe mich aber trotzdem bemüht, artifizielle Darstellung zu vermeiden - und werde das auch diesmal tun.

SN: Ein wichtiger Bezugspunkt ist gerade in einer so speziellen Spielstätte der Dirigent. Mit Franz Welser-Möst haben Sie ein Jahr lang an der Elektra gefeilt, jetzt arbeiten Sie mit Teodor Currentzis. Was erwarten Sie von der Arbeit mit ihm?

Wir tauchen jetzt in den sehr intensiven Probenprozess ein. Und ich freue mich darauf. Teodor Currentzis erlaubt - und verlangt sogar -, sehr viele Farben und Effekte in den Gesang miteinzubringen, auch ins extreme Pianissimo. Das macht viel Spaß und hilft mir auch in der Darstellung. So kann ich die verschiedenen Seelenzustände Judiths klarer und voller ausdrücken.

SN: Viele Künstler schwärmen von den Probenbedingungen im Festspielsommer. Was macht Salzburg diesbezüglich so besonders?

Natürlich das Kaliber der besten Musiker und Coaches, mit denen man zusammenarbeiten darf, und die unglaubliche Unterstützung seitens der Festspielleitung. Dazu kommen für mich persönlich Basics, die im Theaterleben aber gar nicht selbstverständlich sind, nämlich die Luft und das Licht. Wir haben eine Probebühne mit riesigen Fenstern, die man öffnen kann - sogar während der Proben! Dabei eröffnet sich eine wunderbare Aussicht auf die Berge. Meistens probiert man in Theatern ohne Tageslicht und in künstlicher Luft im tiefsten Kellerstockwerk. Diesen Luxus, frische Luft und Tageslicht zu haben: Das ist für mich paradiesisch - wenn wir schon von Himmel und Hölle reden.

SN: Erst Ende Juni debütierten Sie in Krzysztof Pendereckis Die Teufel von Loudun" an der Bayerischen Staatsoper. Einen Monat danach steht die Festspielpremiere in Salzburg an. Wie hält man sich angesichts dieses Pensums fit?

Die größte Herausforderung ist, während der Probenzeit nicht zu ermüden. Ich teile mir deshalb die Energie bis zur Premiere gut ein. Dazu kam, dass ich an Corona erkrankt war und leider Vorstellungen in München absagen musste. Ansonsten mache ich viel Yoga. Während des Festspielsommers wohne ich in einer Hütte in den Bergen. Zwischen den Vorstellungen gibt es also genügend Möglichkeiten, mich zurückzuziehen.

SN: Auf Social Media hingegen sind Sie weniger anzutreffen als viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen, die diese Plattformen als willkommene Werbung nutzen.

Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal auf Facebook war. Das gibt mir gar nichts. Man ist ja in der Außendarstellung nicht man selbst, sondern muss erst recht eine Rolle einnehmen. Allerdings habe ich in der Coronazeit viel gemalt und meine Werke auf Social-Media-Plattformen geteilt.

SN: Bei den Salzburger Festspielen 2020 waren alle Blicke auf Sie gerichtet, bildete doch die „Elektra" nach monatelanger Coronapause das Opernereignis des Sommers. Gab das Ihrer Karriere einen Schub?

Eigentlich habe ich schon vor meinem Festspieldebüt auf den großen Bühnen gesungen. Insofern hat sich dadurch nicht viel verändert. Ich habe in Salzburg jedoch ein gesteigertes Interesse der Öffentlichkeit wahrgenommen.

"Doch richt' die Augen auf das Tal, es naht sich der Strom von Blut, in dem die alle kochen, die mit Gewalt an andern sich vergangen."
Dante, „Hölle", 12. Gesang

Die vielen Medienanfragen waren ungewohnt. Ich mag es eigentlich auch nicht, außerhalb meiner Präsenz auf der Bühne im Rampenlicht zu stehen.

SN: Salome, Elektra oder Katerina Ismailowa in Lady Macbeth von Mzensk": Sie haben viele große dramatische Sopranpartien des 20. Jahrhunderts bewältigt. Was reizt Sie an diesem Repertoire?

Ich bin keine Ausnahme, wenn ich sage, dass es viel mehr Spaß macht, die bösen Frauen zu spielen als die braven Mädchen. Aus irgendeinem Grund begannen die Komponisten erst im 20. Jahrhundert, die Bösewichtinnen auch mit Sopran zu besetzen. Vorher war das meistens das Privileg von Mezzosopranen.

SN: Welche Rollen warten darüber hinaus auf Sie?

Ich muss gestehen, dass ich die meisten meiner Traumrollen bereits gesungen habe. Was mich aber wirklich reizen würde, sind Isolde und Brünnhilde. Diese beiden dunkler gefärbten Wagner-Partien sind mir näher als beispielsweise eine Elsa oder eine Elisabeth.

Oper: „Herzog Blaubarts Burg" von Béla Bartók, „De temporum fine comoedia" Premiere am von Carl Orff. Felsenreitschule, 26. Juli. FLORIAN OBERHUMMER