„Il trittico". Giacomo Puccini nahm für sein Opern-Triptychon Anleihe bei einer Höllenfigur aus Dantes „Göttlicher Komödie".

„Drei Theaterstücke mit Musik": Regisseur Christof Loy und Dirigent Franz Welser-Möst arbeiten im Dienste von Giacomo Puccinis drei Opern-Einaktem eng zusammen. BILD: SN/FRANZ NEUMAYR
Es ist ziemlich düster dort unten im achten Höllenkreis, den Dante in seiner „Divina Commedia“ entwirft. Dort wütet ein Schatten, der einen anderen Sünder anfällt, ihm tief in den Hals beißt und den Mann wegschleppt. „Der Tolle dort ist Gianni Schicchi; in seiner Tollwut plagt er so die anderen“, schildert jemand dem Erzähler.
Diese Figur, ein Ritter aus der Florentiner Patrizierfamilie Cavalcanti, soll sich einem Notar gegenüber als der sterbende Buoso Donati ausgegeben haben; unter anderem, um sich selbst im Testament das schönste Maultier zu sichern. Giacomo Puccini ließ sich von diesem Betrüger zur Titelfigur seines Einakters „Gianni Schicchi" inspirieren. Tatsächlich legt sich das Schlitzohr ins Totenbett, vermacht sich selbst die besten Teile der Erbschaft - und überlistet damit die geldgierigen Hinterbliebenen.
„Diese Verwandtschaft, diese Scheusale, diese Menschen sind für mich die Hölle", sagt Christof Loy. Der Regisseur, dem im Festspielsommer 2020 eine überzeugende Inszenierung von Mozarts „Così fan tutte" gelang, vermag mit psychologischer Tiefe Figuren und deren Beziehungen zueinander zu entwickeln. Jetzt widmet er sich Giacomo Puccinis „Trittico", einem Triptychon von drei Einaktern.
Eine Frage der Reihenfolge
Wie begegnet man diesen Stücken, die sich für einen Opernregisseur wie eine Reihe von Kurzfilmen anfühlen müssen? „Ich vermisse in diesen Stücken nichts. Eigentlich mag ich es gerne, viel Zeit zu haben, um Figuren zu entwickeln. Andererseits handelt es sich hier um drei ideal gebaute Theaterstücke mit tollem Timing. Der Reiz ist, die realistischen, naturalistischen Vorgaben umzusetzen." Weniger ist mehr, dieser Maxime folgt Christof Loys Regiekunst der feinen Klinge. In Puccinis „Trittico" trifft er auf Werke des Verismo. „Wie viel Realismus ist nötig, um dieses Genre zu bedienen? Aber auch: Wie viel kann man weglassen? Was ist allein durch Körpersprache, Wortbehandlung und choreografische Anordnung von Figuren möglich? Die Antworten sind für jedes Stück unterschiedlich."
Damit stellt sich die maßgebliche Frage nach der Anordnung der drei Stücke, die aufgrund des immensen personellen Aufwands selten in ihrer Gesamtheit gezeigt werden. Giacomo Puccini setzte bei der Uraufführung des „Trittico" im Jahr 1918 an der New Yorker Met den düsteren Krimi „Il tabarro" an den Beginn, danach kam der lyrische Einakter „Suor Angelica" über eineNonne, die am Tod ihres unehelichen Kindes zerbricht. „Gianni Schicchi", diese bitterböse Komödie, folgte am Schluss. „Das macht ja auch Sinn, das Satyrspiel nach der antiken Anordnung ans Ende zu setzen", sagt Christof Loy. Dennoch gebe es Gründe, die Reihenfolge zu drehen. „Ich habe bei Opernbesuchen immer gespürt, welch starken Eindruck das vermeintliche Stiefkind ,Suor Angelica' auf die Besucher machte. Da hat sich in der Rezeption etwas verändert. Diese Tragödie einer ungerecht behandelten Frau ist, wenn man eine starke Darstellerin hat, ein so erschütterndes Erlebnis." Also wird „Gianni Schicchi" an den Beginn des Abends gesetzt, danach folgen „Il tabarro" und als emotionaler Höhepunkt „Suor Angelica".
In dieser Reihenfolge sieht Christof Loy nicht nur Dantes Prinzip von Hölle, Purgatorium und Paradies umgesetzt. Auch für die Solistin Asmik Grigorian spanne sich ein Bogen vom jungen Mädchen Lauretta, die ihr Leben noch vor sich habe, über das tragische Schicksal der verheirateten Giorgetta, die sich in der Trauer über ihr ungeborenes Kind in eine Affäre stürze, hin zur Einsamkeit der Angelica, die bewusst die Entscheidung zum Selbstmord fälle. „Es sind grundsätzlich drei unterschiedliche Stücke. Wenn es einen Faden gibt, dann ist es Asmik Grigorian."
Eine Sängerin auf Wahrheitssuche
Christof Loy verbindet eine langjährige Zusammenarbeit mit der litauischen Sängerin. Wie kann man sich ihre Aneignung einer Rolle vorstellen? „Bei Asmik Grigorian entwickelt sich immer stärker eine Wahrheitssuche. Die beginnt damit, dass sie in den ersten Tagen einer Probenphase äußerst zurückhaltend spielt. Bevor sie in ein Klischee verfällt, beobachtet sie sich zunächst selber. Eigentlich baut sie sich eine Figur aus dem, was ich um sie herum baue. Sie liebt es, zu sehen, wie ich an den anderen schon Konturen forme, und sie spürt: Das ist jetzt die Welt, in der sie als Giorgetta lebt. Und dann findet sie die Giorgetta für sich auf ihre persönliche Weise. Sie lässt sich reingleiten - und wird aktiver und aktiver."
Asmik Grigorian und Salzburger Festspiele: Großen Anteil an dieser geglückten Verbindung hat Franz Welser-Möst. Er feilte monatelang mit der Sängerin an ihrem Rollendebüt als Salome. Ihre Darstellung dieser Figur war das Ereignis des Festspielsommers. Auch als Chrysothemis in der „Elektra" von 2020 arbeitete Asmik Grigorian mit dem österreichischen Dirigenten zusammen. „Grundsätzlich bräuchte man zwei bis drei Sopranistinnen für diese Stücke", sagt Franz Welser-Möst. Doch obwohl Asmik Grigorian hier alle drei Rollen singe, könne man die stimmlichen Anforderungen nicht mit einer Salome vergleichen. Und außerdem handle es sich ja um kein Rollendebüt, fügt er an. Wie erzeugt man in diesem Festspielsommer also die gewohnte Intensität? „Man tauscht sich mit dem Regisseur aus. Ich bin jeden Tag mit Christof Loy über Telefon und WhatsApp in Kontakt. Ab dem ersten szenischen Probentag bin ich anwesend."
Verbindung von Wort und Ton
Zudem erfordere diese Musik extreme Präzision, führt der Dirigent aus. „Puccini ist in den Vortragsbezeichnungen extrem genau: wo er ein,rallentando', ein ,poco ritardando', ein ,ritardando' haben will. Nur leider gibt es viele schlechte Gewohnheiten, die sich durch selbstverliebte Sänger und schwache Dirigenten eingeschlichen haben. Wir treten an, den Beweis zu führen, dass das fantastisch komponierte Musik ist."
Die Werke von Richard Strauss, die Franz Welser-Möst bei den Salzburger Festspielen in exemplarischer Weise durchdrungen hat, und Giacomo Puccini ähnelten sich in der Verbindung von Wort und Ton. „Es sind nicht drei Opern, sondern drei Theaterstücke mit Musik. Ein so hochmusikalischer Regisseur wie Christof Loy hilft mir als Dirigenten sehr."
Bei dieser Gelegenheit räumt Franz Welser-Möst mit einem Klischee auf: Puccini könne irgendwer dirigieren. Genau diesen Satz habe er von einem Operndirektor, bezogen auf „La bohème", gehört. „Aber warum hat dann ein Carlos Kleiber, ein Herbert von Karajan Puccini-Opern aufgeführt? Das sind Dirigentenstücke."
Im Fall des „Trittico" komme hinzu, dass die Wiener Philharmoniker „Gianni Schicchi" vor fünfzehn Jahren und die beiden anderen Stücke zuletzt in den 1980er-Jahren gespielt hätten. Man kann also davon ausgehen, dass Franz Welser-Möst akribisch daran arbeitet, auch diese Oper in all ihren Facetten zu durchleuchten. „Es ist ja alles so kleinteilig. Es gibt wenige Arien oder Duette. Sonst ist ja das alles ein musikalisches Parlando, mit Kommentaren aus dem Orchester. Es ist ein ganz fein gewebtes Netz."
Puccinis personalintensives Triptychon erfordert also sowohl im Orchestergraben als auch auf der Bühne die bestmöglichen Kräfte. Regisseur Christof Loy schwärmt von den Möglichkeiten bei den Salzburger Festspielen: „Es ist schon toll, wenn man für die Badessa in ,Suor Angelica Hanna Schwarz hat, die der Titelfigur ankündigt, dass nun die Zia Principessa kommt. Und das ist dann Karita Mattila." FLORIAN OBERHUMMER
Oper: „Il trittico" von Giacomo Puccini. Großes Festspielhaus, Premiere am 29. Juli.